UB-Logo Online MagazinUntergrund-Blättle

In Zeiten des Teufels | Untergrund-Blättle

6974

In Zeiten des Teufels Gesänge der Wut und des Schmerzes

Kultur

„In Zeiten des Teufels“ ist ein Film, der seinen Zuschauer auf thematischer und formaler Ebene fordert, der die Unaushaltbarkeit des Terrors beschreibt und fühlbar macht.

Die ehemalige Limousine des philipinischen Diktators Ferdinand Marcos.
Mehr Artikel
Mehr Artikel

Die ehemalige Limousine des philipinischen Diktators Ferdinand Marcos. Foto: Julan Shirwod Nueva (CC BY-SA 4.0 cropped)

15. April 2022
2
0
4 min.
Drucken
Korrektur
Im Jahr 1979 stehen die Philippinen im Zeichen des streng autoritären Regimes des Vorsitzenden Marcos (Noel Sto. Domingo), dessen Truppen hart gegen Kommunisten und Rebellen vorgehen. Keiner ist vor ihnen sicher und Gerüchte um Folter, Erschiessungskommandos und Massengräben beherrschen alltägliche Gespräche. Auch im kleinen Ginto warnt der Dorfälteste (Bart Guingona) vor den Soldaten und protestiert gegen die wiederholten Repressalien, welche die Bewohner des Dorfes zu erdulden haben.

Eine Truppe Soldaten, angeführt von einer für ihren Sadismus berüchtigten Offizierin (Hazel Orencio), bedroht den Mann und macht ihn letztlich mundtot. Trotz all dieser Ereignisse und der eindringlichen Bitten ihres Mannes, dem Poeten Hugo (Piolo Pascual), eröffnet seine Frau Lorena (Shaina Magdayao) eine Klinik für die Dorfbewohner. Als er kein Wort mehr von ihr hört, vermutet Hugo das Schlimmste und begibt sich selbst in das Dorf und damit auf die Suche nach seiner Geliebten.

Wiederentdeckte Zeit

Wenn man das Kino eines Lav Diaz mit dem Etikett „slow cinema“ versieht, umgeht man die Zweideutigkeit seines Werkes und dessen Themen. Ähnlich wie schon die Filme eines Nuri Bilge Ceylan (Winterschlaf) oder Andrei Tarkowski verbleibt der Fokus bei einem solchen Titel eher bei der äusseren Zeit, der Laufzeit der Filme, die sich im Fall von Diaz auch mal jenseits der Fünf-Stunden-Marke befinden kann.

In seinem für die epd film verfassten Artikel Lav Diaz: Zeit zum Sehen stellt Autor Sascha Westphal mit Rückgriff auf Interviews mit dem Regisseur die These auf, dass die Zeit eine Grösse ist, die in dessen Filmen wiederentdeckt und zurückerobert wird. Viel zu oft wurde die Zeit von äusseren Einflüssen wie Diktatoren oder den spanischen Eroberern definiert und ausgefüllt, was es nötig macht, diese unabhängig von diesen Implikationen mit Inhalt zu erfüllen.

Bei In Zeiten des Teufels kann diese These in zweierlei Hinsicht verstanden werden. Auf der Oberfläche erzählt Diaz' Film die Geschichte einer Zeit des Terrors, wobei er weniger an einer authentischen Chronologie interessiert ist, sondern vielmehr, wie diese Jahre die Menschen verändert haben. Wie man anhand der Dorfbewohner oder Hugos Protesten gegen den Plan seiner Frau merkt, definiert sich diese Zeit als eine Ära des Terrors, des Schreckens und der Unberechenbarkeit. Diese Hoffnungslosigkeit und omnipräsente Furcht wird betont durch die Bilder Larry Mandas, der die Schwarz-Weiss-Optik nutzt, um eben jene Zeit und Atmosphäre für den Zuschauer spürbar zu machen.

Verfolgt man diese These weiter, ergibt sich die Frage, inwiefern man diese Zeit zurückerobern kann. Das deutliche Schweigen, das Vertuschen dieser Zeit ist für Diaz scheinbar unerträglich, weshalb seine Bilder die Frage stellen, was nun mit dieser wiederentdeckten Zeit zu machen sei, wie man selbst zu diesen Menschen und ihren Geschichten steht.

Gesänge der Wut und des Schmerzes

Wie bereits beschrieben, geht es Diaz weniger um das Erzählen einer Geschichte, in die man als Zuschauer eintauchen kann. Gerade die Anlage des Filmes als Musical, was dem Brechtschen Verfremdungseffekt nahe kommt, ermahnt immer wieder zur kritischen Distanz, zum Fragen und Suchen. Die von Diaz komponierten Songs kommen ohne instrumentale Unterstützung aus, konzentrieren sich lediglich auf den oftmals leiernden Gesang der Akteure und sind meist bar jeder Melodie. In einer Zeit, die sich durch die Zersetzung von Schönheit und Moral definiert, ist eine solch atonale, oft eindringlich-wiederholende Darbietung eine nicht zu verachtende Provokation des Zuschauers. Dies sind Lieder des Schmerzes, der Gewalt und der Wut, ein Choral der Hoffnungslosigkeit und des Terrors, vor dem sich der Zuschauer nicht verstecken kann.

Rouven Linnarz
film-rezensionen.de

In Zeiten des Teufels

Philippinen

2018

-

234 min.

Regie: Lav Diaz

Drehbuch: Lav Diaz

Darsteller: Piolo Pascual, Shaina Magdayao, Angel Aquino, Pinky Amador

Musik: Lav Diaz

Kamera: Larry Manda

Schnitt: Lav Diaz

Dieser Artikel steht unter einer Creative Commons (CC BY-NC-SA 4.0) Lizenz.

Mehr zum Thema...
Akira Kurosawa am Filmset während den Dreharbeiten zu «Seven Samurai».
Rezension zum Film von Akira KurosawaRashomon - einer der ungewöhnlichsten Filme der Geschichte

26.08.2011

- Michael Hanekes Statement, dass es keine Wahrheit gebe, da diese vom Standpunkt abhinge, trifft vielleicht auf keinen Film in grösserem Umfang zu, als auf „Rashomon“ von Akira Kurosawa, einen der ungewöhnlichsten und beeindruckendsten Filme der Geschichte.

mehr...
Der iranische Regisseur Arsalan Amiri am Film Festival von Venedig, September 2021.
ZalavaEin Dämon im Dienste eines Menschen

02.05.2022

- „Zalava“ ist eine Mischung aus Drama und Horror, wobei der erste Aspekt eindeutig überwiegt. Arsalan Amiri geht es um die Vermutung oder um den Zweifel, der die Figuren ebenso nicht mehr loslässt wie auch das Publikum nicht, allein schon wegen der subtilen Bildsprache.

mehr...
Carrie-Ann Moss an den Peabody Awards 2016.
Matrix RevolutionsÜber das Unbehagen in unserer Kultur

10.10.2022

- Wer Erlösung – und Auflösung – sucht, wird Rätsel finden. Allerorten wird beklagt, der letzte Teil der Matrix-Trilogie biete nicht das, was man sich erhofft hat: Antworten auf die Frage, wie sich die Verhältnisse in dieser Welt nun eigentlich aufklären lassen.

mehr...
Der Dutertismo lebt fort-Die Wahl von Ferdinand Marcos und Sara Duterte auf den Philippinen

30.05.2022 - Bei den Präsidentenwahlen auf den Philippinen bekam der 64-Jährige Ferdinand Marcos jr. nach einer inoffiziellen Auszählung mehr als doppelt so viele Stimmen wie seine schärfste Rivalin, die Oppositionsführerin Leni Robredo.

Free LAVA - Hilfe für Gefangene auf den Philippinen

24.06.2005 - Rechtsstaatlichkeit ist Amnesty International zufolge auf den Philippinen bis heute keine Selbstverständlichkeit. Deshalb ist die Aufgabe der Gefangenenhilfe-Organisation Free LAVA auch nach der Ära des Diktators Ferdinand Marcos nicht unbedingt leichter geworden.

Dossier: Psychiatrie
Klinikenhöxter (   - )
Propaganda
Kein Platz für Kinder?

Aktueller Termin in Berlin

Solicafé Schlürf // Regenbogencafé

Hallo,
heute wieder Kaffee und Kuchen (und/oder Sandwiches) im Schlürf gegen Spende, 12-18 Uhr.
Spenden gehen derzeit an die Gruppe No Nation Truck (https://nonationtruck.org/).

————————

Hello,
today ...

Dienstag, 28. März 2023 - 12:00 Uhr

Regenbogencafe, Lausitzer Str. 22a, 10999 Berlin

Event in Berlin

Schaunwama ist eine GEMA

Dienstag, 28. März 2023
- 18:30 -

Baiz

Schönhauser Allee 26A

10435 Berlin

Mehr auf UB online...

Marlene Dietrich in Holland, Oktober 1963.
Vorheriger Artikel

Marlene Dietrich: Her Own Song

„Von Kopf bis Fuss ...“

Schwedische Arctic Rangers bei einer Übung im Februar 2008.
Nächster Artikel

US-strategische Vorherrschaft und globale Russland-Einkreisung

Finnland und Schweden wollen in die NATO - Warum?

Untergrund-Blättle