Heat Ein Teufelskreis

Kultur

Wer die Filme von Takeshi Kitano (etwa „Sonatine”) kennt, wird sich bei „Heat” vielleicht an diesen japanischen Regisseur der Extraklasse erinnert fühlen.

Al Pacino am Film Festival von Venedig, September 2004.
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Al Pacino am Film Festival von Venedig, September 2004. Foto: Thomas Schulz (CC BY-SA 2.0)

13. Mai 2020
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Wie Kitano schildert Michael Mann eine gefährliche, bedrohliche und zugleich in sich verlorene Welt. „Lass nichts an dich ran, was du nicht problemlos in dreissig Sekunden zurücklassen kannst, wenn du merkst, der Boden wird zu heiss.” Das scheint nicht nur Neil McCauleys (Robert de Niro) Lebensdevise zu sein; sie ist es in (fast) jeder Phase dieses packenden Actionfilms aus dem Jahr 1995, in dem de Niro und Al Pacino ihr Bestes geben.

McCauley leitet eine Gang, zu der Michael (Tom Sizemore), Nate (Jon Voight) und Chris (Val Kilmer) gehören, die sich auf Banken, Geldtransporte und ähnliches spezialisiert haben. McCauley ist Einzelgänger, ohne feste soziale Bindungen. Selbst die Verbindung mit seinen drei Gangmitgliedern ist ausschliesslich zweckgebunden, so scheint es jedenfalls. Der letzte Coup der Bande allerdings endet mit einem Fiasko: Ein in die Band aufgenommener Gangster ermordet drei Wachmänner. McCauley ist ausser sich, denn seine Devise lautet: Schiessen nur im äussersten Notfall.

McCauleys Gegenüber auf seiten der Polizei ist Vincent Hanna (Al Pacino), fanatischer, aber nicht unrealistischer Detective in Los Angeles, verheiratet, eine Stieftochter. Hanna lebt ausschliesslich vom Jagen, zum Verdruss seiner Frau. Hanna gibt nie auf; eine Niederlage ist für ihn nur der Beginn einer erneuten Verfolgungsjagd. Und so beginnt er, Tag und Nacht alle Indizien, Beweisketten, Informationen zu sammeln, bis er McCauley als den Hauptverdächtigen ausgemacht hat.

Es beginnt eine unaufhaltsame Verfolgungsjagd auf McCauley und seine Gang. McCauley muss alle Register seines Könnens ziehen, um sich dem Zugriff Hannas zu entziehen. Beide treffen sich in einem Restaurant zu einem Zeitpunkt, als Hanna noch keine stichhaltigen Beweise gegen McCauley in der Hand hat. McCauley und Hanna erklären sich gegenseitig, dass sie kein anderes Leben führen können: Beide Jäger, beide einsame Wölfe, beide vollkommen verstrickt in Gewalt. Sie sind sich letztlich sehr ähnlich, nur, dass sie auf verschiedenen Seiten stehen. Bei diesem Gespräch fällt der Startschuss zum entscheidenden Endkampf: Nur einer von beiden wird und kann überleben ...

Sicher muss man ein gewisses Faible für solche Filme haben, die von Schiessereien, Morden etc. stark geprägt sind. Aber diese Gewalt ist nur Ausdruck einer bestimmten Lebensweise. Hanna ist im Grunde nichts anderes als die andere Seite der Medaille, das Spiegelbild McCauleys. Beide sind als einsame Jäger unterwegs, rücksichtslos gehen sie diesen Weg. Beide leben in einer Welt, die man „kriminalisierte Lebensweise” nennen könnte; dies ist ihr soziales Leben: der eine auf der Seite des Gesetzes, der andere auf der spiegelverkehrten Seite des Verbrechens. Beide sind unfähig, andere soziale Bindungen aufzubauen; denn dies bedeutete für Hanna wie McCauley einen gnadenlosen (oder gnadenvollen?) Abschied von der „kriminalisierten Lebensweise”. Hannas Frau, die ihren Mann liebt, ist so verzweifelt, dass sie sich einen mittelmässigen Liebhaber besorgt. Seine Stieftochter, deren Vater sich nicht um sie kümmert, begeht einen Selbstmordversuch in der Badewanne von Hannas Hotelzimmer. Beide fordern Liebe und Zuwendung.

Genauso McCauley: Er lernt eine junge Frau kennen, die sich in ihn verliebt. In ihr sieht er eine winzige Chance, nach dem letzten grossen Coup, einem Banküberfall, ein anderes Leben anzufangen. Doch er verbaut sich diesen Ausstieg aus der „kriminalisierten Lebensweise” selbst, indem er nicht umhin kann, den Mörder der drei Wachmänner, der ihn und seine Gang später verraten hat, zu töten. Das Drama spitzt sich zu in einer letzten Verfolgungsjagd zwischen den Speerspitzen der „kriminalisierten Gesellschaft”. Egal, wer dabei auf der Strecke bleibt, einer bleibt übrig und wird das Funktionieren dieser Lebensweise garantieren; der andere wird einen Nachfolger haben. Der Kreis schliesst sich und kann anscheinend nicht durchbrochen werden.

Man könnte den Film daher zugleich als Abgesang auf eine „Männerwelt” interpretieren, die sich zugleich aber immer wieder reproduziert, eine Welt, die durch Gewalt vorangetrieben wird und nicht zu durchbrechen scheint, einen Teufelskreis, bei dem alle anderen auf der Strecke bleiben: Hannas Frau, Stieftochter, McCauleys Geliebte, eine zivilisierte Gesellschaft ... Aber dieser Teufelskreis umfasst mehr Personen als nur Hanna und McCauley und ihre Helfershelfer und Freunde. Sie schliesst auch diejenigen ein, die vor ihr kapitulieren, kapitulieren müssen oder nur kapitulieren können. Das Gesetz ist das Gesetz, aber es ist eben auch nur das Spiegelbild der Ohnmacht.

Ulrich Behrens

Heat

USA

1995

-

171 min.

Regie: Michael Mann

Drehbuch: Michael Mann

Darsteller: Al Pacino, Robert de Niro, Val Kilmer

Produktion: Art Linson, Michael Mann

Musik: Elliot Goldenthal

Kamera: Dante Spinotti

Schnitt: Pasquale Buba, William Goldenberg, Dov Hoenig