Fury - Blinde Wut Wie sämtliche Schranken fallen ...

Kultur

„Fury – Blinde Wut” erzählt von Joe Wilson, der seine Verlobte Katherine heiraten will, zuvor aber einen Job sucht, der beiden ein einigermassen vernünftiges Auskommen sichern kann.

Der US-amerikanische Schauspieler Walter Abel spielt in dem Film die Rolle des Bezirksanwalts Adams.
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Der US-amerikanische Schauspieler Walter Abel spielt in dem Film die Rolle des Bezirksanwalts Adams. Foto: Unknown author (PD)

17. Mai 2023
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Nein, es ist nicht Neugierde, sondern eher ihre voyeuristische Abart; es ist nicht Interesse, sondern massive, brutale Einmischung in die Angelegenheiten anderer. Es ist nicht die Sorge um ein Entführungsopfer, nein, es sind ominöse Rachsucht und der Wille zur Macht – die den Mob treiben. Es ist jener lack of culture, jene geübte Lücke, jene grenzenlose und ungebändigte Lust am Töten, an der Vernichtung – die den Pöbel in Bewegung setzt. Kein einzelner vermag, was jeder einzelne in der Menge schafft. Dort, wo der einzelne zu feige oder ängstlich ist, wird er in der Masse übermütig und unberechenbar. Die Masse trägt ihn, lässt ihn sich aufbäumen, verhilft ihm zu Handlungen, die er als einzelner nie vollziehen würde. Hitler hat davon viel gewusst; er wusste um die Macht der Masse, genauer: um den Schein dieser Macht, wenn man ihn für sich selbst auszunutzen gedenkt. Hitler wusste es.

Und auch Fritz Lang wusste um diese Macht. Gerade aus Nazi-Deutschland emigriert, schickte er sich an, seinen ersten US-amerikanischen Film zu drehen – einen Film, der nach seiner Fertigstellung wegen seiner unverhohlenen Kritik an pöbelhaften Ausbrüchen, aber eben auch an der Kritik der Politik(er) und der Medien und nicht zuletzt an der Preisgabe fundamentaler Menschenrechte und Grundfreiheiten in bestimmten Situationen beinahe von MGM zurückgezogen worden wäre.

„Fury – Blinde Wut” erzählt von Joe Wilson (Spencer Tracy), der seine Verlobte Katherine (Sylvia Sidney) heiraten will, zuvor aber einen Job sucht, der beiden ein einigermassen vernünftiges Auskommen sichern kann. Sylvia hat eine Arbeit in einer anderen Stadt angenommen. Joe ist ein rechtschaffener Kerl. Er glaubt an Recht und Gesetz, an die Freiheit des einzelnen und er glaubt an die Vereinigten Staaten als ein Land, in dem all dies möglich erscheint – vor allem: Gerechtigkeit. Er setzt alles daran, seine Brüder Charlie und Tom (Frank Albertson, George Walcott) aus dem Umkreis eines Gangsters herauszuholen. Alle drei pachten eine Tankstelle. Und knapp ein Jahr später, nachdem Joe und seine Brüder sich eine Existenz geschaffen haben, verabreden sich Joe und Katherine, die sich so lange nicht gesehen haben, um endlich zu heiraten.

Auf der Fahrt zum verabredeten Treffpunkt aber wird Joe von einem Polizisten festgenommen. Und der Sheriff erklärt ihm, er stehe unter dem Verdacht, das Kind einer reichen Familie entführt zu haben. Die Indizien sind mager: Der Täter soll Erdnüsse gern gemocht haben – wie Joe. Und man findet bei Joe einen Geldschein, der angeblich aus dem bezahlten Lösegeld stammen soll.

All das ist für Joe und Katherine – die vergeblich auf ihn wartet und nicht weiss, was geschehen ist – schlimm genug. Es kommt schlimmer. Schnell sorgen die einschlägigen Klatschbasen der kleinen Stadt, in der Joe im Gefängnis sitzt und auf den Staatsanwalt wartet, dafür, dass sich die Verhaftung des vermeintlichen Kidnappers überall herumspricht. Und ebenso schnell sind Männer wie der Aufrührer Kirby Dawson (Bruce Cabot) zur Stelle, um Front gegen Joe zu machen. Dawson und ein Dutzend andere Männer „wissen” genau, was mit Kerlen wie Joe zu tun sei. Laschheit helfe da nicht weiter. Und in Windeseile sind einige hundert Menschen vor dem Gefängnis zusammengelaufen, um sich Zugang zum Gefängnis zu verschaffen – mit der fadenscheinigen Begründung, sie handelten nur zum Schutz ihrer Kinder. Der Sheriff und seine paar Leute sind der sich bildenden Meute gegenüber machtlos. Und ehe man es sich versieht, wird das Gefängnis gestürmt und wenig später in Brand gesteckt.

Die Meute denkt, Joe sei bei dem Brand ums Leben gekommen. Alle denken dies, auch Joes Brüder und Katherine, die ohnmächtig vor dem brennenden Gefängnis zusammengebrochen war.

Doch Joe lebt. Wie durch ein Wunder kann er den Flammen entkommen – und sinnt auf Rache am Mob ...

Fritz Lang – bekannt durch Filme wie „M” (1931), „Das Testament des Dr. Mabuse” (1933) – drehte „Fury” nach seiner Emigration in die USA und nach „Liliom” (1934) – einem Film, mit dem er sich insbesondere bei der katholischen Kirche keine Freunde gemacht hatte – sicher auch unter dem Eindruck der Verfolgungssituation in Hitler-Deutschland und den immer wieder gezeigten Massenszenen der NS-Wochenschauen in den Kinos. Nachdem Hitler inzwischen dem teilweise unkontrollierten SA-Mob durch die Ermordung des SA-Führers Röhm und dessen Anhänger den Garaus gemacht hatte, präsentierten sich die Massen in Deutschland nun als wohl organisierter und staatlich gesteuerter Haufen – ganz im Sinne der NS-Ideologie.

„Fury” zeigt im Grunde auch, aus welchen Elementen sich derartige Organisationsstrukturen entwickeln konnten.

Darüber hinaus aber zeigt Lang nicht nur, wie zivilisatorische und kulturelle Schranken – sozusagen über Nacht – eingerissen werden. Er zeigt auch, wie sich Politik und Medien aus taktischen respektive kommerziellen Interessen heraus sozusagen dem Mob „anhängen”. Der Gouverneur, der schon die Nationalgarde gegen die zur Lynchjustiz bereiten Menschen einsetzen will, lässt sich von einem „Berater” aus wahltaktischen Gründen davon abhalten. Die Journalisten aus allen Ecken des Landes strömen an den Ort des Geschehens – aus welchen Gründen, lässt sich denken. Lang gelingt es, diese lebensgefährliche Atmosphäre in erschreckenden Bildern Wirklichkeit werden zu lassen.

Aber „Fury” zeigt darüber hinaus auch, wie ein Opfer solcher Exzesse seinen Glauben an Zivilisation und Kultur, an Freiheit und Recht verliert. Denn Joe – exzellent verkörpert von Spencer Tracy – sinnt nach seinem Entkommen aus dem brennenden Gefängnis nur noch auf: Rache. Mit Hilfe seiner Brüder und des über die Geschehnisse empörten Staatsanwalts (der nicht weiss, dass Joe noch lebt) will er die Verantwortlichen – ca. ein Dutzend Einwohner, Männer und Frauen – vor Gericht bringen und zum Tode verurteilen lassen, ohne dass jemand erfahren soll, dass er, Joe, noch lebt. Lang zeigt hier, wie ein bis dahin an Menschlichkeit und Gerechtigkeit glaubender Mann durch die Dinge, die ihm zustossen, zum geraden Gegenteil seiner selbst wird. Joe ist alles gleichgültig: was mit ihm passiert, was mit Katherine passiert, und seine Brüder, die er vor kaum einem Jahr aus dem Sumpf des Verbrechens herausgeholt hatte, instrumentalisiert er, um seine Rachegelüste zu befriedigen.

Joe lässt alles fallen, an was er bislang geglaubt hat. Er stellt sich – ohne dass ihm das (zunächst) bewusst ist – auf dieselbe Ebene wie der Mob, der ihn lynchen wollte. Die Schwere des Verbrechens an ihm scheint jedes Mittel recht zu machen, um Vergeltung zu üben. Das Verfahren, das Staatsanwalt Adams (Walter Abel) gegen zwölf Rädelsführer des Mobs anstrengt, gerät so – in Unkenntnis, dass Joe noch lebt und die Fäden des Verfahrens zieht – zu einer Farce, an dessen Ende die Verurteilung der Angeklagten zum Tode stehen könnte. Selbst Katherine, die von Joes Überleben nichts weiss, weil auch dessen Brüder schweigen, will Joe für seine Rache funktionalisieren – bis sie anhand eines anonymen Briefes erkennt, dass Joe noch lebt und welches „Spiel” er offensichtlich treibt.

Für Katherine spielt sich das Geschehen sozusagen doppelt ab: Zuerst muss sie zusehen, wie Joe hinter den Gitterstäben den Flammen ausgesetzt ist. Dann muss sie erleben, wie Joe sich grundlegend verändert hat.

Lang lässt Joe am Schluss erkennen, dass Rache keine geeignete Antwort auf das Geschehene ist. Aber man könnte sich auch den umgekehrten Fall praktisch vorstellen.

Leider gehört „Fury” zu den eher vergessenen Filmen des grossartigen Fritz Lang – und dabei ist dieser Film, der auch die Gesellschaft der USA nicht besonders gut aussehen lässt, nicht nur in Inszenierung, Konzentration auf das Wesentliche und Darstellung ein Meilenstein in seinem Werk. Der Film ist hochaktuell und weiterhin brisant wie damals. Das betrifft nicht nur das Problem pöbelhafter Ausbrüche. Es betrifft vor allem auch die Veränderungen, die Opfer von Gewalttaten bzw. deren Angehörige durchmachen können – wenn alle Überzeugungen in Bezug auf Menschlichkeit, Rechtsstaatlichkeit usw. plötzlich verschwinden, wenn auch hier zivilisatorische und kulturelle Schranken einreissen, wenn plötzlich das furchtbare Denken des „Auge um Auge” Platz greift.

Ulrich Behrens

Blinde Wut

USA

1936

-

89 min.

Regie: Fritz Lang

Drehbuch: Bartlett Cormack, Fritz Lang

Darsteller: Sylvia Sidney, Spencer Tracy, Walter Abel

Produktion: Joseph L. Mankiewicz für Metro-Goldwyn-Mayer

Musik: Franz Waxman

Kamera: Joseph Ruttenberg

Schnitt: Frank Sullivan