Rezension zum Film von Nicole Weegmann Ein Teil von uns
Kultur
Eine Familie hadert mit der psychisch kranken und obdachlosen Mutter. Das ist schwerer Stoff, „Ein Teil von uns“ macht es weder sich, noch dem Publikum einfach. Das ist vor allem aufgrund der grossartig aufspielenden Hauptdarstellerin sehenswert, selbst wenn um sie herum vieles verblasst.


Die deutsche Filmregisseurin Nicole Weegmann im Gespräch, Juni 2011. Foto: Claus Ableiter (CC BY 3.0 unported - cropped)
Es gibt Themen, über die möchte eine Gesellschaft nicht reden, auch jetzt nicht, im Jahr 2016. Themen, von denen man nicht einmal möchte, dass es sie überhaupt gibt, einfach weil es sie nicht geben darf. Gleich zwei davon versammelt Ein Teil von uns, bringt sie auf eine Weise zusammen, dass man auf dem heimischen Sofa nur noch unangenehm berührt hin und her rutscht. Das erste wäre Obdachlosigkeit. Etwas, von dem wir nicht glauben können, dass so etwas in einem zivilisierten Land überhaupt noch möglich sein soll. Von den Betroffenen selbst verschuldet, so möchte man oft denken, um sich zu beruhigen. Das zweite wären psychische Krankheiten. Teile davon, etwa Burnout oder Depressionen, finden sich jetzt zwar etwas leichter im alltäglichen Diskurs wird. Doch je tiefer die Störung, umso grösser nach wie vor das Tabu.
Das allein gibt dem Fernsehfilm schon eine Daseinsberechtigung, zwingt er doch das Publikum, sich mit zwei Punkten auseinanderzusetzen, die wir ganz gern mal gedanklich beiseiteschieben. Dabei macht es Ein Teil von uns weder sich noch dem Publikum einfach. Es wäre der Alkohol, der Irene zu dem gemacht, was sie heute ist, sagt ihr früherer Mann, der sie vor Jahren schon verlassen hat. Aber das ist eben nur ein Teil der Wahrheit. Woher die psychischen Probleme kamen, wird nie ganz klar, eine eindeutige Antwort bekommen wir nicht. Klar ist dafür, dass die Frau Hilfe braucht. Hilfe, die ihr weder die Angehörigen, noch der Staat geben können oder wollen.
„Dann einigen wir uns darauf, dass wir sie verrecken lassen“, lautet der härteste Satz des Films, weil er auf den Punkt bringt, was keiner sagen oder wahrhaben will. Doch so abscheulich das Fazit auch klingen mag, Ein Teil von uns versucht auch hier, etwas differenzierter an die Sache zu gehen. Irene ist keine liebe alte Frau, die einfach nur vernachlässigt wurde. Sie spuckt, sie kratzt, sie schimpft, nimmt keine Hilfe an, zerstört das Leben der anderen, verabscheut Nähe und will doch nicht allein sein. Das ist von Jutta Hoffmann grossartig gespielt: Wann immer sie krakeelend die Szene betritt, walzt sie alles nieder, was um sie herum passiert.
Dass der Rest neben ihr verblasst, ist da die wenig überraschende Erkenntnis und doch auch ein bisschen schade. Gerade die Männer in der Runde werden eigentlich nur dadurch charakterisiert, wie sie auf die Situation reagieren, darüber hinaus erfahren wir nicht viel. Und auch bei Nadja wurde etwas die Chance verpasst, ihr mehr Profil zu geben. Sie ist pflichtbewusst, aber unnahbar, jemand der funktionieren möchte und es doch nicht tut, weil sie – wie auch ihre Mutter – keine Hilfe in Anspruch nimmt. Das mag man irgendwo nachvollziehen, führt aber zusammen mit einer über weite Strecken regungslos auftretenden Hobmeier, dass man nur zum Teil mitfühlen kann, was in ihr vor sich geht. Aber selbst wenn Ein Teil von uns nur selten bewegend ist, hinterlässt das Drama Eindruck, lässt den Zuschauer hilflos und betroffen zurück, weil man das alles gern anders hätte, aber nicht weiss, wie das zu schaffen ist.
Ein Teil von uns
Deutschland
2016
-89 min.
Regie: Nicole Weegmann
Drehbuch: Esther Bernstorff
Darsteller: Brigitte Hobmeier, Jutta Hoffmann, Nicholas Reinke
Produktion: Kerstin Schmidbauer
Musik: Florian van Volxem, Sven Rossenbach
Kamera: Alexander Fischerkoesen
Schnitt: Andrea Mertens
Dieser Artikel steht unter einer Creative Commons (CC BY-NC-SA 3.0) Lizenz.
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