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Die andere Seite der Hoffnung Melancholie und lakonischer Witz

Kultur

In „Die andere Seite der Hoffnung“ nimmt sich Aki Kaurismäki der aktuellen Flüchtlingsproblematik an, tut dies aber auf seine eigene, für ihn typische Weise.

Das Film-Team der finnischen Tragikkomödie „Die andere Seite der Hoffnung“ auf der Berlinale 2017.
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Das Film-Team der finnischen Tragikkomödie „Die andere Seite der Hoffnung“ auf der Berlinale 2017. Foto: Martin Kraftphoto.martinkraft.com (CC BY-SA 3.0 unported - cropped)

10. Juni 2022
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Zwischen wunderbarer Melancholie und wortloser Komik zeigt er die Absurdität eines Asylantrags, gibt aber trotz der tragischen Ereignisse immer wieder Grund zur Hoffnung.

Es war schon eine recht abenteuerliche Reise, die den jungen Syrer Khaled (Sherwan Haji) nach Helsinki geführt hat. Geplant war die nicht: Seine Flucht aus seinem kriegsgebeutelten Heimatland führte ihn durch ganz Europa, bis er – verfolgt von Neonazis – in Finnland landet. Dort will er nun dann auch bleiben. Einfach wird das jedoch nicht, denn die Behörden gewähren derzeit nur ungern Ausländern Asyl. Auch Wikström (Sakari Kuosmanen) will einen Neustart wagen. Sein altes Geschäft hat er verkauft, seine Frau verlassen. Nun ist es ein kleines Restaurant, in dem er seine Zukunft sieht. Aber auch das ist mit allerlei Problemen verbunden. Die Einnahmen sind nicht berauschend, die Angestellten meckern. Ganz klar: Hier muss etwas geschehen.

Etwas verspätet, dafür umso geballter kamen in den letzten Monaten eine ganze Reihe von Filmen in die Kinos, welche das Thema der Flüchtlingsproblematik aufgreifen. Der Dokumentarfilmbereich ist in diesem Bereich besonders stark vertreten, erzählt von Einzelschicksalen, zeigt grundsätzliche Schwierigkeiten sowie bittere Erfahrungen mit Behörden. Aber auch die Spielfilmzunft hat das Thema zunehmend für sich entdeckt, nutzt es meist im Drama- oder Komödienumfeld. Es wäre daher ein Leichtes, Die andere Seite der Hoffnung als nur einen weiteren Beitrag schon im Vorfeld zu ignorieren. Nur handelt es sich dabei eben um ein neues Werk von Aki Kaurismäki. Und wenn sich der finnische Regisseur und Drehbuchautor nach einigen Jahren Pause zurückmeldet, dann ist man aus Prinzip schon gern dabei.

Melancholie und lakonischer Witz

Anhänger des eigenwilligen Filmemachers werden hier auch nicht enttäuscht werden. Das Thema mag aktuell sein, die Bestandteile sind aber typisch Kaurismäki: die leise Melancholie, der lakonische Witz auf dem Wege zum Slapstick, die skurrilen Figuren. Und die schönen Bilder natürlich. Mit solchen beginnt Die andere Seite der Hoffnung dann auch, wenn sich der von Schmutz bedeckte Khaled als blinder Passagier in Helsinki einschleicht. Eine neue Welt, fremd, dunkel und doch hoffnungsvoll. Die kunstvoll komponierten Lichter einer Grossstadt am Ende des Tunnels. Der Finne vertraut dann auch auf die Wirkung der Bilder, gibt keinen Kontext für das Geschehen, lässt lange niemanden reden.

Grundsätzlich bleibt Kaurismäki auch im Folgenden der Devise: Schweigen ist Gold. Da wird kein Wort zu viel verloren, im hohen Norden beschränkt man sich auf das Nötigste. Und doch wird immer eine ganze Menge gesagt. Wenn beispielsweise Polizisten auf altmodischen Schreibmaschinen herumhämmern, dann braucht es keine Dialoge, um die Rückständigkeit der Behörden aufzuzeigen. Immer wieder kehrt Die andere Seite der Hoffnung zu diesem Thema zurück, zeigt den wahnwitzigen Kampf eines Menschen, der seine alte Heimat verloren hat, aber keine neue bekommt.

Zwischen Realität und Märchen

Das ist oft witzig, wenn die Absurdität der Vorgänge veranschaulicht wird. Auch deshalb: In der Welt von Kaurismäki gibt es keine Heiterkeit. Er habe kein Verständnis für Witze, sagt Khaled an einer Stelle, wenn sich doch ausnahmsweise hier einer daran versucht. Mit einem Ernst, als stünde die Welt vor ihrem Ende, tragen die Figuren ihr Anliegen vor. Und es ist eben dieser Kontrast aus steinerner Miene und bescheuertem Inhalt, der einen immer wieder zum Lachen bringt. Aber so komisch Die andere Seite der Hoffnung auch ist, so bitter ist der Film manchmal. So traurig und bewegend. Inmitten der komischen Nummern kämpft sich die Realität doch immer wieder ihren Weg ins Geschehen. Nachrichtensendungen, die von einem zerstörten Kinderkrankenhaus in Aleppo berichten. Sinnlose Brutalität an Ausländern – Khaled wird regelmässig Opfer von Rassisten.

Und doch werden die düsteren Ausflüge in die Wirklichkeit immer mit einer gewissen Losgelöstheit kombiniert. Geradezu poetisch-märchenhaft wird es zuweilen. Kaurismäki spottet nicht nur über seine Landsleute, verzweifelt nicht an der Härte und Gefühlskälte der Welt. Die Hoffnung, die Khaled zu Beginn des Films nach Finnland brachte, sie bleibt, wird belohnt. Mit viel Sympathie, man will gar sagen Zärtlichkeit begegnet die sehr menschliche Tragikomödie den Figuren, nimmt sie und das Publikum auf eine Reise. Eine Reise mit vielen ungeplanten Zwischenstopps und Umwegen. Eine Reise auch mit ungewissem Ausgang. Aber eine Reise, die wichtig ist, an der alle beteiligt sind, beteiligt sein sollten, die am Ende daran erinnert, unterwegs die anderen Menschen nicht zu vergessen, die verloren am Rand herumstehen.

Oliver Armknecht
film-rezensionen.de

Die andere Seite der Hoffnung

Finnland

2017

-

100 min.

Regie: Aki Kaurismäki

Drehbuch: Aki Kaurismäki

Darsteller: Sherwan Haji, Sakari Kuosmanen, Janne Hyytiäinen

Produktion: Aki Kaurismäki

Kamera: Timo Salminen

Schnitt: Samu Heikkilä

Dieser Artikel steht unter einer Creative Commons (CC BY-NC-SA 4.0) Lizenz.

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