Der Dolmetscher Seien Sie kein Opfer!

Kultur
Mit „Der Dolmetscher“ kommt ein Film in die Kinos, der die Geschichte vom Zusammentreffen zweier Männer erzählt, die Nachkommen von Tätern und Opfern des faschistischen Terrors sind. Dabei macht er vieles richtig, als Komödie funktioniert er jedoch nicht.


Mehr Artikel

Peter Simonischek beim Österreichischen Filmpreis 2017 (Festsaal des Rathauses in Wien, Österreich). Foto: Manfred Werner (Tsui) (CC BY-SA 4.0 cropped)

1
0



Dabei legt Peter Simonischek („Toni Erdmann“) den Ex-Sprachlehrer Graubner als grosskotzigen Vertreter einer untergehenden Welt jovialer Mittelklassemachos an. „Warum benehmen Sie sich wie ein Opfer?“, fragt er den Mann, den sein Vater zum Vollwaisen gemacht hatte einmal allen Ernstes und erklärt ihm: „Ich weigere mich, die Schuld zu übernehmen für etwas, das ich nicht getan hab“, worauf Ungar antwortet: „Ich will nicht, dass Sie Busse tun. Mich stört, dass Sie sich wie ein Grobian benehmen.“ Womit vieles zum Umgang der NS-Nachfolgegesellschaften mit ihren Opfern gesagt ist.
Der Film nimmt sich aber nicht nur die deutschen bzw. österreichischen Massenmörder vor, sondern reflektiert auch die Rolle der slowakischen Hitler-Verbündeten und die Verweigerung grosser Teile der heutigen slowakischen Bevölkerung, die eigene faschistische Vergangenheit anzuerkennen.
Angenehm wenig an diesem Film ist auf kommerziellen Erfolg gebürstet, Regisseur Martin Sulik und Drehbuchautor Marek Lescak dürften sich mit „Der Dolmetscher“ wenig Freunde machen. Mit seinem schmucklosen Realismus, der oftmals fast dokumentarisch wirkt, manifestiert sich auch ästhetisch die dem Thema zustehende Nüchternheit.
Der Versuch, aus dem Umgang mit dem Grauen eine fröhlich-flockige Angelegenheit unter glücklicherweise nicht direkt Betroffenen zu machen, wird in den erfolglosen Schürzenjagden des Österreichers zur peinlichen Farce und Graubner entwickelt sich erst dadurch zu einer wirklich ernstzunehmenden Figur, dass er anfängt, mit den monströsen Verbrechen des Vorfahren und dessen Opfer sensibel umzugehen. Und obwohl sich die beiden Protagonisten zunehmend zusammenraufen, bleiben sie bis zum Ende des Films beim distanzierten „Sie“, auf Ranschmeissversuche Graubners geht Ungar nicht ein, er kann und will nicht.
Hier geht es nicht um die Frage, ob die heutige Generation an irgendetwas schuld ist, sondern darum, wie das Menschheitsverbrechen die Gesellschaften bis heute beeinflusst und beschäftigt, und wie ein bewusster und angemessener Umgang damit aussehen könnte.
Ganz nebenbei ist „Der Dolmetscher“ echtes Schauspielerkino, gewissermassen ein Film in Slow Motion, der sich für das, was er erzählen will, immer genug Zeit nimmt. Die Charaktere bedienen allerdings die ihnen zugeschriebenen Klischees etwas zu routiniert und der Versuch, die personifizierte Opfer-Täter-Konfrontation zum Gegenstand von Pointen zu machen, misslingt fast durchgehend und endet schon mal in albernen Witzchen auf Kosten der Potenz uralter Männer.
Als Komödie, als der er rätselhafterweise (u.a. mit einem seltsam unpassenden Plakat, siehe oben) angekündigt wird, funktioniert „Der Dolmetscher“ zwar nicht, aber wo deutsche Regisseure „Unsere Mütter, Unsere Väter“ reinzuwaschen versuchen, hat Sulik einen sehenswerten Film gedreht, der dem Thema gerecht wird.
Der Dolmetscher
Slowakei, Tschechien, Österreich
2008
-113 min.
Regie: Martin Šulík
Drehbuch: Marek Leščák, Martin Šulík
Darsteller: Peter Simonischek, Jiří Menzel, Zuzana Mauréry
Produktion: Rudolf Biermann, Martin Šulík, Bruno Wagner
Musik: Vladimír Godár
Kamera: Martin Štrba
Schnitt: Olina Kaufmanová