Der zerrissene Vorhang Hitchcock ganz unten

Kultur

Gibt es einen schlechten Hitchcock-Film? Zumindest gibt es Filme, die einem vielleicht persönlich nicht besonders liegen.

Paul Newman in Wisconsin, 1968.
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Paul Newman in Wisconsin, 1968. Foto: Christopher Peterson (CC-BY 2.0 cropped)

24. Mai 2023
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Für mich gehört dazu „Torn Curtain“, eine relativ platte und logisch zweifelhafte Agentengeschichte, die eher an Kalte-Krieg-B-Movies erinnert, denn an den Master of Suspense. Das Drehbuch schrieb der aus Irland stammende und später in Kanada u.a. durch Kriminalromane berühmt gewordene Brian Moore.

Inhalt

Der amerikanische Physiker Michael Armstrong (Paul Newman) plant, sich von Skandinavien aus nach Ost-Berlin abzusetzen. Armstrong arbeitete in den USA an einem Raketenabwehrprojekt, für dessen Vollendung ihm allerdings die entscheidenden wissenschaftlichen Grundlagen fehlen. Diejenige Macht, die eine solche Technologie als erste entwickeln könnte, hätte einen enormen Vorsprung im Rüstungswettlauf. Armstrong nimmt mit seiner Assistentin und Geliebten Sarah Sherman (Julie Andrews) an einem Kongress teil und hat Kontakt mit dem DDR-Kollegen Karl Manfred (Günter Strack), der Armstrong penibel beobachtet. Sarah liebt Michael und will nichts weiter, als ihn endlich heiraten. Doch als ihr einige Dinge merkwürdig vorkommen – z.B. ein geheimnisvolles Buch, das sie für Armstrong von einem Buchhändler besorgt –, stellt sie Michael zur Rede. Sie kann es nicht glauben, dass Michael sich zum Feind absetzen will, und ist erschüttert, als er ihr unmissverständlich erklärt, es gebe keine gemeinsame Zukunft.

Sarah gibt jedoch nicht auf. Sie bucht einen Platz im selben Flugzeug nach Ost-Berlin und bleibt ihm auf den Fersen. Der Oberst der Staatssicherheit Gerhard (Hansjörg Felmy), sein Adjutant Gromek (Wolfgang Kieling) und einige andere Herren der Parteiführung begrüssen den Überläufer auf dem Flugplatz. Dass er Sarah bei sich hat, findet man zwar merkwürdig, schert sich aber nicht weiter darum. Was weder sie, noch Sarah ahnen: Armstrong läuft nur zum Schein über. Er hat Kontakt zu einer Oppositionsgruppe namens „Pi“ (¶), die Regimegegnern zur Flucht verhilft, und will dem Leipziger Professor Lindt (Ludwig Donath) die Informationen entlocken, die den Amerikanern fehlen, um danach die DDR illegal zu verlassen. Endlich beichtet er Sarah seine Pläne.

Nur einer traut dem Frieden um den willkommenen Überläufer nicht: Gromek. Als Armstrong heimlich auf einem abgelegenen Hof mit einem Bauern (Mort Mills) und seiner Frau, die zu „Pi“ gehören, Kontakt aufnimmt, folgt Gromek ihm mit dem Motorrad. Gromek stellt die Frau (Carolyn Conwell) und Armstrong zur Rede. Beide können ihn allerdings überwältigen. Die Bäuerin sticht ihm mit einem Messer in die Brust, Armstrong schlägt Gromek zu Boden, und beide zwängen seinen Kopf in den Gasherd. Gromek erstickt.

Was Armstrong allerdings nicht bedacht hat: Der Taxifahrer, der ihn zu dem Hof gefahren hatte, erkennt Gromek in der Zeitung wieder, in der die Stasi die Bevölkerung um Hinweise über den Verbleib Gromeks bittet. Armstrong und Sherman befinden sich in akuter Lebensgefahr. Die Zeit drängt, auch wenn Armstrong von Lindt die nötigen Informationen im letzten Moment erhält, bevor der merkt, dass Armstrong ein amerikanischer Agent ist ...

Inszenierung

Das alles hört sich mehr nach James Bond, denn nach Hitchcock an. Dies allein wäre keine Tragödie. Doch die Story ist von vorn bis hinten – eine mittelmässige Katastrophe. Newman selbst schrieb vor Drehbeginn an Hitchcock, an dem Drehbuch müsste wohl noch einiges geändert werden. Hitchcock änderte selbst etliche Szenen und Dialoge. Das alles aber half nicht allzu viel. Um nur einige Beispiele zu nennen:

Armstrong handelt offensichtlich nicht im Auftrag der CIA, sondern in eigenem Namen. Wie verhält er sich? Strohdumm. Seine engste Mitarbeiterin und Geliebte kommt relativ einfach dahinter, dass er überlaufen will. Wieso verständigt sie nicht die amerikanischen Behörden? Aus Liebe? In der DDR soll Armstrong lediglich einer Befragung durch Wissenschaftler unterzogen werden. Die Staatssicherheit selbst lässt ihn mehr oder weniger in Ruhe (nur Gromek scheint Zweifel zu hegen). Armstrong, der wissen muss, dass eine Kontaktaufnahme zu Oppositionellen gut vorbereitet sein will, damit die Stasi nichts davon erfährt, verhält sich, als ob es sich bei seinen Plänen um einen verbotenen Dumme-Jungen-Streich handeln würde. Dass er dann auch noch das griechische Pi , das er vor dem Hof in den Sand zeichnet – Erkennungszeichen für die Bäuerin, dass er kein verkappter Stasi-Spitzel, sondern eben Armstrong ist –, nicht wieder wegwischt, als Gromek dort erscheint, grenzt an Debilität.

Der Mord an Gromek – ohne Musikuntermalung gedreht – lässt zwar die Handschrift Hitchcocks erkennen, ist allerdings wider alle Logik inszeniert: Dass ein Mann, dem ein Messer in die Brust gejagt wird, dessen Klinge abbricht, nicht vor Schmerz schreit, geschweige denn um Hilfe ruft – der Taxifahrer wartet vor dem Hof auf Armstrong ! –, ist unglaubwürdig. Dass die Bäuerin – eine nicht gerade sehr starke Frau – Gromek, der am Boden liegt, in den Gasherd ziehen kann, obwohl Armstrong fast mit seinem ganzen Gewicht auf ihm kniet, kann man Hitchcock nun wirklich nicht abnehmen.

Aber es kommt noch schlimmer. Als Armstrong Lindt Informationen entlocken will, stellt er sich – einen bekannten, sehr erfahrenen Wissenschaftler, was auch seine Kollegen in der DDR wissen – derart dumm, dass Lindt sofort vermuten müsste, das etwas nicht stimmt. Statt dessen löst Armstrongs angebliche, dümmlich vorgebrachte Unwissenheit aus, dass Lindt wie ein Buch anfängt zu reden und eine Formel nach der anderen an der Tafel korrigiert.

Als Armstrong und Sarah in Verdacht geraten, CIA-Spitzel zu sein, werden sie zwar gesucht. Doch bei dieser Suche stellt die Stasi sich derart unbeholfen an, dass einem die Haare zu Berge stehen. Auf der Flucht mit einem Bus, in dem sich nur Leute aus „Pi“ befinden, versucht der Fluchthelfer Jakobi (David Opatoshu) einem Vopo weiszumachen, ihr angeblicher Linienbus sei zusätzlich eingesetzt worden. Der Vopo zweifelt nicht daran und eskortiert den Bus bis in die Stadt. Als die Vopos dann dort herausbekommen, dass irgend etwas nicht stimmt, ballern sie wie wild und völlig sinnlos (man will doch schliesslich von denen was erfahren, oder?) auf die flüchtenden Passagiere.

Armstrong und Sarah entkommen natürlich, und dann wird man mit der nächsten schrecklichen Szene konfrontiert: Eine Polin, die Gräfin Kuchinska (Lila Kedrova), will den beiden unter der Bedingung helfen, dass Armstrong für sie bei den staatlichen Stellen bürgt. Sie will nämlich ausreisen. Was soll das? Erstens ist sie Polin und wird wohl kaum von den DDR-Behörden ein Ausreisevisum erhalten. Zweitens wird ihr die Bürgschaft eines von den Behörden gesuchten Agenten kaum etwas nützen. Drittens spielt Lila Kedrova diese Rolle derart übertrieben, sozusagen „ausser Rand und Band“, dass man lieber wegschauen möchte.

Auch die schauspielerischen Leistungen lassen zu wünschen übrig. Newman spielt, als gehöre er gar nicht in den Film. Er ist entweder völlig unterfordert oder gibt sich derart unglaubwürdigen Szenen hin wie der mit Lindt an der Tafel. Julie Andrews hat zwar ein paar gute Szenen – etwa die Auseinandersetzung mit Newman zu Anfang, als sie von seinen Absichten erfährt –, wirkt aber ansonsten eher wie (fast schon überflüssige) eine Statistin. Hansjörg Felmy als Oberst der Stasi ist völlig fehl am Platz (der Liebhaber steht ihm besser). Die Fluchthelfer – u.a. auch die Ärztin Dr. Koska (Gisela Fischer) – treten immer dann in Aktion, wenn das Drehbuch mal gerade wieder in einer Sackgasse gelandet ist.

Der einzige, der mich wirklich überzeugt hat, ist Wolfgang Kieling. Kieling, im schwarzen Ledermantel, mit bissigen, ironischen und zynischen Bemerkungen, einem ebensolchen Blick, spielt diesen Stasi Gromek überzeugend: einen skrupellosen, intelligenten Mann, der Armstrong immer wieder mit englischen Zitaten begegnet, weil er offenbar einmal in New York war. Gerade Gromeks Zweifel an Armstrongs Echtheit, die der kaum übersehen kann, veranlassen den amerikanischen Wissenschaftler in keiner Weise, vorsichtiger zu sein und vorbereiteter zu handeln.

Fazit

Kurzum: Dieses Drehbuch und diese Inszenierung sind eine reine Katastrophe. Die Charaktere sind (mit Ausnahme Gromeks) entweder flach, unausgegoren, unterfordert oder einfach nur peinlich (Kedrova). Und als Sahnehäubchen inszenierte mein geliebter Alfred Hitchcock eine Flucht Armstrongs und Sarahs, die sich gewaschen hat, sprich: der nicht vorhandenen Plausibilität dieses Films die Krone aufsetzt: Die beiden flüchten ins Theater und werden dort in grossen Körben versteckt, die zum Transport der Kleider der Schauspieler benutzt werden. Stasi-Gerhard und seine Männer, die sich im Theater aufhalten und die beiden Flüchtenden verfolgen, sehen offenbar keinen Anlass dazu, das ganze Theater gründlich zu durchsuchen – jedenfalls nicht die Körbe, die munter auf ein Schiff transportiert werden. Fluchthilfe gelungen, Film allerdings daneben gegangen.

Hitchcock drehte später eine weitere Agentenstory, „Topas“ (1969), die zwar auch nicht zu den Meisterwerken des Regisseurs gehörte, aber wenigstens logisch, spannend und gut gespielt war. Mit „Torn Curtain“ jedenfalls konnte Hitchcock eigentlich selbst nicht zufrieden gewesen sein.

Ulrich Behrens

Der zerrissene Vorhang

USA

1966

-

122 min.

Regie: Alfred Hitchcock

Drehbuch: Brian Moore

Darsteller: Paul Newman, Julie Andrews, Lila Kedrova

Produktion: Alfred Hitchcock

Musik: John Addison

Kamera: John F. Warren

Schnitt: Bud Hoffman