Identität statt Klasse Serienkritik: »Dear White People«

Kultur

Die Netflfix-Serie »Dear White People« wird seit 2017 ausgestrahlt und beleuchtet das Leben schwarzer Studierender an einer US-amerikanischen Elite Universität. Nach zwei erfolgreichen Staffeln geht die Serie 2019 in die dritte Runde.

Justin Simien an den Sundance Awards 2014.
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Justin Simien an den Sundance Awards 2014. Foto: PunkToad (CC BY 2.0 cropped)

13. Januar 2019
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»Dear White People«. So lautet die Sendung, die Hauptcharakter Sam White als universitäres Hobby regelmässig sendet. Inhalt und Fokus der Radiosendung ist, weisse Menschen auf alltägliches, rassistisches und diskriminierendes Verhalten gegenüber schwarzen Menschen auf dem Campus aufmerksam zu machen.

Die Handlung umspannt das Campusleben vieler schwarzer Studierender an der fiktiven Ivy League Universität Winchester, die viele Parallelen zur Harvard Universität aufweist. Die diversen Gruppen des Black Caucus, einer Art Dachverband schwarzer Communities im Rahmen von Winchester und des Wohnheims für schwarze Studierende, repräsentieren verschiedene politische und gesellschaftliche Anliegen schwarzer Studierender.

Die Intensität der Identitätspolitik von Winchesters erfolgreichen Studierenden aufzeichnend, legt die Serie ihren Fokus auf die Konflikte der schwarzen Gruppierungen untereinander. Dabei wird in jeder Episode abwechselnd das Leben der Hauptcharaktere mit Rückblenden aufgerollt. Die zentrale und immer wiederkehrende Frage ist, wie mit Rassismus- und Gewalterfahrungen auf dem Campus umzugehen ist.

Die Verschiedenheit der Charaktere

Auf der einen Seite ist da Medienmacherin Sam White, die sich resolut und kompromisslos für die antirassistische Bewegung einsetzt. Als Kind einer schwarzen Frau und eines weissen Mannes ist sie jedoch nicht ganz vertraut mit identitätspolitischen Bewegungen. In ihrem ersten Jahr an der Universität wird sie politisch radikalisiert und verfolgt als Anführerin der Black Student Union (Vereinigung schwarzer Studierender) und mit ihrer Radiosendung identitätspolitische Inhalte. Auf der anderen Seite ist da Erstsemester Lionel Higgins, ein introvertierter Journalist der unabhängigen Universitätszeitung.

Lionel hat, durch Rückblenden in seine Biographie verdeutlicht, in schwarzen Communities, geprägt von Über-Maskulinität und auch Homophobie, mit sich und seiner Sexualität gerungen. Troy Fairbanks, Exzellenz- und Karriereorientierter Student und Sohn des Studiendekans von Winchester, verfolgt aus eigennützigen Gründen eine Politik der „Mitte“ im Rahmen der Hochschulgruppe CORE (Coalition of Racial Equality, Koalition für Rassengleichheit), die wie die Vereinigung Schwarzer Studierender landesweit an Universitäten vertreten ist. Er besteht auf die Einhaltung von Netiquette, formaler Sprache, Gewaltlosigkeit und die gelegentliche Zusammenarbeit mit der Universitätsverwaltung. Gemeinsam mit Troy ist Studentin und Kassenwärterin Coco Conners bei CORE organisiert und legt viel Wert auf ihren persönlichen Erfolg und politischer Korrektheit.

Dabei verkörpert Coco eine Art Antithese zu Sams radikalen Aktivismus. Als Kind einer sozial schwachen Familie aus dem Süden von Chicago, das durch eigenen Fleiss aber auch durch Unterstützung eines weissen, wohlhabenden Mentors den Schulabschluss und den Zugang zu einer Elite-Universität fand, ist Coco stets darauf bedacht, ihre Familiengeschichte in Armut vor ihren Elite-Kommiliton*innen zu verbergen. Zudem wird durch Rückblenden in der Serie verdeutlicht, dass sie aufgrund ihres dunklen Hauttons oft zurückgewiesen und gemobbt wurde.

Die persönlichen Familien- und Klassenverhältnisse der Hauptcharaktere Coco und Sam unterscheiden sich stark voneinander und prägen im Verlauf auch ihren Umgang mit Alltagsrassismus. Sam, die zuvor keine Polizeigewalt erfahren hat, verfolgte entschlossen das Ziel einer radikalen Politik des Protests und der Kompromisslosigkeit gegenüber der Universitätsverwaltung bezüglich des Umgangs mit Gewalt durch die Campuspolizei. Coco hingegen, die Polizeigewalt innerhalb ihrer Familie und Nachbarschaft erlebt hat, plädierte für eine Form der Assimilation, um keine Eskalation herbeizuführen, die noch mehr schwarze Menschen bedrohen würde.

Herausforderungen der schwarzen Studierenden Community

Auslöser für das Zusammenkommen und Kollaborieren der verschiedenen Gruppen war eine Studierenden Party mit dem Motto »Black Face«. Dort schminkten sich nicht-schwarze Menschen »schwarz« und verkleideten sich nach rassistischen Stereotypen sowie als bekannte schwarze Persönlichkeiten. Die provozierende Feier brachte zeitgleich Einigkeit und Uneinigkeit unter den schwarzen Studierenden des Black Caucus mit sich. Der Höhepunkt ihrer Handlungsentschlossenheit wurde jedoch während einer politischen Auseinandersetzung über den Umgang mit Rassismus nach der »Black Face« Party im Wohnheim schwarzer Studierender erreicht.

Nebencharakter Reggie wurde indes von einem Campuspolizisten als einziger dazu aufgefordert sich auszuweisen und zudem mit einer geladenen Waffe bedroht, wodurch die Parallelen zur täglichen Lebensrealität vieler schwarzer Menschen in den USA aufgezeigt wurden. Die Community fand keine Einigung auf die Frage nach einer radikalen Reaktion auf die Polizeigewalt oder einer diplomatischen Zusammenarbeit mit der Universitätsverwaltung. Die identitätspolitische Ausrichtung spiegelte sich nicht nur in der Abspaltung von weissen, aber auch in der internen Spaltung zwischen Karrierist*innen und Assimilationist*innen auf der einen Seite, und etwas radikaleren und über die Universitätsverwaltung hinaus agierenden Gruppen auf der anderen Seite.

Identität statt Klasse

Obwohl die Serie viele wichtige Aspekte um die Probleme schwarzer Menschen in den USA widerspiegelt, werden andere zentrale Faktoren, besonders in der Verbindung zwischen Rasse/ Rassismus und Klasse, nicht angesprochen. Zum einen ist die Universitätsaffinität der Serie naheliegend, da es um das Leben von Studierenden geht, jedoch ist der Kampf um Befreiung schwarzer Menschen nicht allein ein universitärer. Im Gegenteil, in den meisten Fällen sind es nicht-Akademiker*innen und Menschen die nicht zur Mittelklasse gehören, die von den gröbsten und (lebens-)gefährlichsten Formen von Rassismus und Gewalt im Alltag betroffen sind.

Auch wenn die Protagonist*innen ausschlaggebende Rassismus- und Gewalterfahrungen auf dem Campus machen, gehören sie selbst schlussendlich einer Elite an, die sich weitestgehend rhetorisch, symbolisch, bildungspolitisch und ressourcenorientiert dagegen wehren und organisieren kann. Zudem besteht kein sichtbarer Kontakt oder strukturierte Organisierung mit anderen schwarzen Communities ausserhalb der Universität und besonders mit nicht-akademischen Institutionen wie regional oder aber bundesweit organisierten Vereinen, politischen Gruppen oder Gewerkschaften. Der Grossteil der mehrfach marginalisierten Menschen in den USA, also besonderes nicht-weisse und von Armut betroffene Menschen, sind nicht im Blickwinkel der schwarzen studentischen Organisierung.

Jegliche »Widerstandspläne«, angefangen bei Sams Radiosendung bis hin zur Stürmung der »Black Face« Party oder aber die Reaktionen nach Reggies Gewalterfahrung mit einen Campuspolizisten, drehen sich immer wieder um einzelne Massnahmen innerhalb der Universität. Damit wird nur auf bestimmte Geschehnisse und mit Fokus der eigenen Betroffenheit reagiert, nicht aber auf das allgemein und übergreifend bestehende Problem von Polizeigewalt gegenüber schwarzen Menschen, welche sich zentral ausserhalb des Campus abspielt. Rassismus und Polizeibrutalität erscheinen in der Serie als Produkt einer mehrheitlich ungebildeten und rassistisch erzogenen Gesellschaft und nicht hauptsächlich als Ergebnis beabsichtigter ungleicher ökonomischer Kräfteverhältnisse, die durch rassistische und patriarchale Arbeitsteilung weiter geschürt werden.

»Die Menschen werfen einen Blick auf meine Haut und nehmen an, ich sei arm oder ungebildet oder Ghetto.«

Demnach zielen die angestrebten Veränderungen nicht auf eine revolutionäre Mobilisierung mit weitreichenden Veränderungen, sondern um eine Kompromissfindung innerhalb des bestehenden liberalen Systems. Dafür ist Charakter Coco beispielhaft. Trotz mehrfacher Diskriminierung aufgrund der sozial schwachen Verhältnisse ihrer Familie und auch ihres dunklen Hauttons als prägende Teile ihrer Biographie, entscheidet sich Coco einen starren Karriereweg zu gehen und beschliesst dabei, über verheerende und auch rassistische Äusserungen sowie Praktiken gegenüber Schwarzen als Kollektiv hinwegzusehen. „Die Menschen werfen einen Blick auf meine Haut und nehmen an, ich sei arm oder ungebildet oder Ghetto. Also halte ich mich zurück, versuche zugänglicher zu sein, trete einer Studentinnenverbindung bei.“

In der Serie wird die gesamtgesellschaftliche Problematik angesprochen, dass die Darstellungsweisen schwarzer Frauen mit dunklem Hautton und schwarzer Frauen mit hellem Hautton in visuellen Medien stark voneinander abweichen. Dennoch ist schlussendlich Sam in der aktiven, resoluten Hauptrolle und Coco in der fast als Nebencharakter verkörperten verunsicherten, passiven Rolle. Ausserdem ist Sam in einer Familie der Mittelschicht mit akademischen Hintergrund gross geworden ist, während Coco in armen Familienverhältnissen im von Gewalt und Armut dominierten Süden von Chicago aufwuchs. Die Verbindung zwischen der Darstellungsweise und der Form des politischen Aktivismus innerhalb des Black Caucus wird demnach anhand sozialer Herkunft und Hautton hergestellt.

Die Identitätspolitik, die durch den gesamten Handlungsstrang deutlich wird, ist symptomatisch für das liberale Narrativ, welches zum Thema Rassismus in den USA – und in Deutschland – vorherrscht. Trotz teilweise stark abweichender politischer Einstellungen, gibt es sowohl einen grosser Zusammenhalt als auch Solidarität unter den schwarzen Studierenden. Damit wird eine bedingungslose Solidarität gegenüber anderen schwarzen Menschen postuliert, auch wenn diese in politisch-ideologischen Fragen und Handlungen stark voneinander abweichen.

Die Frage über Zusammenarbeit sowie private Beziehungen mit weissen Menschen wird an verschiedenen Stellen der Serie thematisiert, von gemeinsam organisierten Demonstrationen bis hin Liebesbeziehungen. Tendenziell werden jedoch eher Allianzen mit politisch abweichenden schwarzen Menschen eingegangen als mit weissen Menschen, die dieselben Ziele verfolgen. Schlussendlich verfolgt die Serie keine auch nur ansatzweise revolutionär-antirassistische Politik – und das obwohl das Wort »revolutionary«, revolutionär, in jeder Folge mehrmals fällt – , sondern hat auch keinerlei Klassenperspektive. Diese müsste schliesslich auf die exzessive ökonomische Ungleichheit und damit erfolgende soziale Segregation als zu bekämpfende Ursache aufmerksam machen.

»Dear White People« sucht und findet die Schuld von Rassismus und Gewalt an schwarzen Menschen bei Weissen und erklärt diese folglich zum Feind. Von ihnen wird sich dann identitätspolitisch distanziert anstatt auf einer ökonomischen Basis die Ursachen von ökonomischer und damit auch sozialer Ungleichheit zu identifizieren und damit auch Hand in Hand mit nicht-schwarzen Personen einen gemeinsamen Kampf zu führen.

Alles in Allem ist »Dear White People« eine interessante, abwechslungsreiche und humorvolle Serie, in der alle Hauptfiguren und fast alle Nebencharaktere Schwarze sind. Durch die Rückblenden in den Episoden und die persönlichen sowie politischen Verflechtungen der Figuren untereinander, wird eine Spannung hergestellt, die die Zuschauenden in den Bann zieht. Und natürlich kommen Momente auf, die vor allem nicht-weisse Studierende auch in Deutschland als nah an ihrer Lebensrealität sehen werden. Die Serie hat in Zeiten erstarktem anti-rassistischen Bewusstseins und konkreten Kampfes in den Betreiben und auf den Strassen der USA jedoch auch Konjunktur. Verkürzt wird jedoch ein rein universitärer Kosmos aufgebaut, der zu einer Über-Identifizierung mit den kleinbürgerlichen Problemen auf dem Campus führt und keine emanzipatorische Perspektive eröffnet.

Dimitra Dermitzaki / lcm