Christiane F. – Wir Kinder vom Bahnhof Zoo Einblick in die junge Drogenszene

Kultur

„Christiane F. – Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ schockierte seinerzeit mit der drastischen Darstellung etwa vom kalten Entzug der beiden Hauptfiguren.

Die Gropiusstadt.
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Die Gropiusstadt. Foto: /Sansculotte (CC BY-SA 3.0 unported - cropped)

3. August 2021
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Einige Szenen hinterlassen bis heute Eindruck, wenn sie dokumentarisch die Hoffnungslosigkeit vernachlässigter Jugendlicher einfangen. Aber nicht alles überzeugt, das Drama bleibt oft zu sehr an der hässlichen Oberfläche.

Richtig toll ist das Leben der 13-jährigen Christiane F. (Natja Brunkhorst) nicht. Zum Vater hat sie keinen Kontakt mehr, die inzwischen bei ihrem neuen Freund lebende Mutter (Christiane Lechle) hat keine Zeit für sie, gemeinsam hausen sie in einer heruntergekommenen Umgebung in Berlin-Gropiusstadt. Erst als sie Kessi (Daniela Jaeger) trifft und anfängt, mit ihr und ihrer Clique in der Diskothek Sound abzuhängen, hat sie wieder Spass am Leben. Dabei lernt sie nicht nur Detlef (Thomas Haustein) kennen, sondern kommt auch das erste Mal mit Drogen in Berührung. In der Annahme, sie könne damit umgehen, lässt sie sich darauf ein, selbst Heroin zu nehmen. Doch sie täuscht sich: Es dauert nicht lang, bis sie und die anderen abhängig sind und sich prostituieren müssen, um den Stoff zu finanzieren …

Einblick in die junge Drogenszene

Als vor inzwischen 40 Jahren der Film Christiane F. – Wir Kinder vom Bahnhof Zoo erschien, waren viele bei dem Anblick schockiert. Inhaltlich hatte man im Vorfeld natürlich schon gewusst, was geschehen würde. Schliesslich war das drei Jahre zuvor veröffentlichte Buch von Kai Hermann und Horst Rieck in aller Munde. In diesem schilderten die beiden Journalisten, wie die Jugendliche Christiane Felscherinow in die Drogensucht und damit auch in die Prostitution abrutschte. Gleichzeitig war das auf Tonbandprotokollen und Recherchen basierende Werk, welches zuerst als Fortsetzungsgeschichte im Stern erschien, ein allgemeiner Einblick in die damalige Jugendkultur und die Drogenszene, die sich am titelgebenden Bahnhof in Berlin traf.

Doch es war eben eine Sache, diese Geschichten mittels Distanz schaffenden Buchstaben zu vermitteln oder auf der grossen Leinwand zu zeigen. Tatsächlich sind in Christiane F. – Wir Kinder vom Bahnhof Zoo Szenen dabei, die ein heutiges Publikum zwar vielleicht nicht mehr schockieren, dafür sind Filme heute allgemein zu explizit geworden. Ganz einfach zu ertragen sind sie aber trotz allem nicht. Vor allem die Aufnahmen, wenn Christiane und Detlef den kalten Entzug wagen und sich schmerzerfüllt wie Tiere hin und her werfen, lassen einen selbst nicht kalt. Auch sonst zeigte sich Regisseur Ulrich Edel (Der Baader Meinhof Komplex) nicht unbedingt zurückhaltend. Vor allem bei der Darstellung der Umgebung gibt es viel Dreck und Schmutz, der den seelischen Abgrund der im Stich gelassenen, zunehmend verwahrlosten Jugendlichen spiegelt.

Mal authentisch, mal oberflächlich

Allgemein sind in Christiane F. – Wir Kinder vom Bahnhof Zoo die Szenen am stärksten, die einen tatsächlich dokumentarischen Charakter haben und man das Gefühl hat, mit den jungen Menschen unterwegs zu sein. Das klappt jedoch nicht immer. Wenn Edel hier mit lauter Laienschauspielern bzw. Laienschauspielerinnen zusammenarbeitet, dann steigert das manchmal die Authentizität. Manchmal wirkt es aber auch sehr unbeholfen, gerade wenn es irgendwie emotionaler werden soll, ist das nicht mehr so wirklich natürlich. Nur weil jemand etwas laut schreit, heisst das noch nicht, dass man ihm das abkauft. Auch wenn die holprigen Dialoge der Realität nachempfunden sind, überzeugend ist das nicht.

Schwierig ist zudem, dass der Film im Vergleich zum Buch doch recht viel streichen musste, des Platzes wegen. Die familiären Hintergründe von Christiane wurden zusammengestaucht, auch von den anderen erfährt man nicht viel, wer sie sind und was sie wollen. Da die Entwicklung von der „normalen“ Tochter zum sich prostituierenden Junkie trotz einer Laufzeit von mehr als zwei Stunden sehr schnell geht, klappt das mit dem Mitfühlen dadurch nicht so ganz. Anstatt wirklich aufzuzeigen, was in der Hauptfigur vor sich geht und wie es zu all dem kommen konnte, gibt es hier Aufnahmen, die zwar ungeschönt sind, aber auch auf Distanz bleiben, uns nie so wirklich viel darüber verraten, was dahinter geschieht.

Verloren in einer gleichgültigen Welt

Doch trotz dieser Oberflächlichkeit, die auch mit diversen Klischees einhergeht: Christiane F. – Wir Kinder vom Bahnhof Zoo ist noch immer ein sehenswertes Drama, das zumindest eindrucksvoll aufzeigt, wie vernachlässigte Kinder in den Abgrund hineinrutschen und kaum aus diesem wieder herausfinden. Der Film ist auch eine interessante Alternative zu heutigen Werken über drogensüchtige Jugendliche, etwa Beautiful Boy oder Ben Is Back, die deutlich professioneller sind, denen aber die raue Natur des deutschen Themenbeitrags fehlt – zumal es hier eben keine helfende Familie gibt, die sich um den Ausstieg bemüht. Hier darf man sich richtig verloren fühlen in einer Welt, die sich nicht für dich interessiert.

Oliver Armknecht
film-rezensionen.de

Christiane F. – Wir Kinder vom Bahnhof Zoo

Deutschland

1981

-

131 min.

Regie: Uli Edel

Drehbuch: Herman Weigel

Darsteller: Natja Brunckhorst, Thomas Haustein, Jens Kuphal

Produktion: Bernd Eichinger, Hans Weth

Musik: Jürgen Knieper, David Bowie (Lieder)

Kamera: Justus Pankau, Jürgen Jürges

Schnitt: Jane Seitz

Dieser Artikel steht unter einer Creative Commons (CC BY-NC-SA 4.0) Lizenz.