Chopper Eigene und fremde Wunden
Kultur
Eric Bana war, bis er die Hauptrolle des Bruce Banner in „Hulk“ spielte, ein ausserhalb Australiens fast unbekannter Schauspieler.


Eric Bana am Tribeca Film Festival 2009. Foto: David Shankbone (CC BY-SA 4.0 cropped)
Vor Banas Leistung verblassen fast alle Figuren des von Hall und Hayward in fahlem Blau, kalt wirkendem Olivgrün und kräftigem Blutrot getauchten Porträts eines Mannes, dessen Charakter von krassen Widersprüchen gekennzeichnet ist. Bana spielt Chopper, aber man hat den Eindruck, man habe diesen Chopper vor sich. Als ich mir nach dem Film das auf der DVD als Bonusmaterial vorhandene Gespräch mit dem wirklichen Read (der heute, soweit ich mich erinnere, in Tasmanien lebt) ansah, war ich verblüfft, welche Ähnlichkeiten in Gestik und Mimik zwischen Read und seiner Darstellung durch Bana bestehen.
Der Film beginnt mit einer unheimlich und befremdlich wirkenden Szene in einem australischen Gefängnis, in dem Chopper einsitzt. Er und sein Mitgefangener und Freund – sofern Chopper überhaupt weiss, was Freundschaft bedeutet –, Jimmy (Simon Lyndon), stehen einer Gruppe von Gefangenen gegenüber, deren Anführer die Wut auf Chopper im Gesicht steht. Chopper gilt als Unruhestifter, als Provokant, wobei niemand so genau weiss, was ihn treibt. Am Ende dieser Auseinandersetzung steht ein brutaler Gewaltakt.
Chopper schlägt seinem Gegenüber mehrfach auf den Kopf, bis der umfällt und wehrlos in seinem eigenen Blut liegt. Dann bietet ihm Chopper eine Zigarette an. Als der Mitgefangene kurz darauf an den Folgen der Schläge stirbt, bereut Chopper – scheinbar oder wirklich, das bleibt in seinem Verhalten oft im Dunkeln – die Tat. Teils, um aus dem Zellenblock herauszukommen, teils, um sich selbst zu bestrafen, zwingt Chopper einen anderen Gefangenen, ihm grosse Teile seiner Ohren abzuschneiden.
Diese Widersprüchlichkeit in Choppers Verhalten durchzieht den gesamten Film. In einer anderen Szene schiesst er auf einen Dealer, den er verdächtigt, während seiner Haft ein Verhältnis mit seiner Freundin, der Prostituierten Tanya (Kate Beahan), gehabt zu haben. Dann fährt er ihn ins Krankenhaus, bezichtigt aber jeden gegenüber dem Polizisten Detective Downie (Bill Young) der Lüge, der so etwas erzählt. Downie und sein Kollege hören sich an, was Chopper, wieder in Freiheit, zu erzählen hat, versuchen, ihn für ihre Arbeit produktiv einzusetzen. Ob diese Geschichte wahr ist, die Gespräche zwischen Chopper und Downie so wirklich stattgefunden haben, bleibt unklar.
„Chopper“ ist vor allem anderen eine Charakterstudie, kein Actionfilm, kein Kriminalfilm, und vor allem kein Film, in dem Dominiks Regie oder Banas Darstellung nach einer Erklärung für die Mentalität dieses merkwürdigen Menschen fahnden. Chopper baut sich auf – im wahrsten Sinn des Wortes. Auf irgendeine skrupellose und zugleich groteske Art will er so etwas werden wie Australiens bekanntester Krimineller. Genau das hat Read ja auch wirklich geschafft.
Chopper verhält sich einerseits wie ein verletztes Tier, das allerdings andererseits nicht lange seine Wunden leckt, sondern zuschlägt: überraschend und brutal. Als die Gefangenen nach dem Mord beschliessen, unter sich einen zu suchen, der bereit ist, Chopper zu töten, findet sich ausgerechnet sein Freund Jimmy dazu bereit. Aber so aussergewöhnlich ist dies nicht. Jimmy hat erkannt, dass Chopper unberechenbar ist. Mit einem Messer sticht er mehrfach in Choppers Körper. Chopper bleibt stehen, betrachtet Jimmy, dann seinen Körper, der zu bluten anfängt. Chopper sieht sich an, als wäre der, dem dies geschehen ist, nicht er selbst.
Dieser Kontrast zwischen (vermeintlicher) Wirklichkeit und (vermeintlichem) Schein, zwischen eigen und fremd, Wahrheit und Trug durchzieht den Film wie einen roten Faden. Chopper verändert sich weiter nach diesem Anschlag. Seine Ohren sind fast gänzlich weggeschnitten, er lässt sich Metall in den Mund implantieren, wird rundlicher mit der Zeit, trägt einen Bart und eine dunkle Brille. Bana – dem eine Maske (wegen der Ohren) verpasst wurde und der kaum noch wieder zu erkennen ist – gelingt eine Darstellung Choppers, die Bild und Selbstbild dieses Menschen in überzeugender Weise wiedergeben kann.
Banas Chopper baut sich eine eigene, oft Angst auslösende und von Gewalt als einzigem „Heilmittel“ beherrschte Welt auf, in der das Zuschlagen und streckenweise die Hinrichtung zum zentralen Katalysator eines Lebens wird, in dem sich Chopper als Held und Opfer zugleich empfindet. Choppers Verhalten, Denken und Fühlen könnte man als minimalistisch bezeichnen. Es gründet auf einer umfassenden Gleichgültigkeit anderen gegenüber, die für Chopper entweder gefährlich sind oder die er als Instrument seiner trivialen, simplen Lebensauffassung benutzt und missbraucht.
Chopper richtet überall, wo er auftritt, ein heilloses Chaos an. Als auch nach Verbüssung seiner langjährigen Haftstrafe irgend jemand irgend jemand anderes beauftragt haben soll, Chopper zu töten, sieht er überall nur noch gedungene Mörder. Nach Jahren sieht er seinen Ex-Freund Jimmy wieder, der inzwischen mit einer drogensüchtigen Frau in einer miesen Wohnung lebt, Kinder hat. Chopper sucht ihn auf, Jimmy ist vorsichtig; er kennt Chopper am besten. Chopper muss alle Waffen abgeben, bevor er Jimmys Wohnung betreten darf, hat aber natürlich noch eine in Reserve versteckt. Chopper vermutet wiederum in Jimmy den gedungenen Mörder. Auch in dieser Szene wird dem Betrachter die egozentrische und psychopathische Mentalität Choppers drastisch bewusst.
Wie ein alter Freund tritt Chopper auf, doch nichts lässt Zweifel an seiner Amoralität. Kriminalität ist nicht Choppers Berufssparte, sie ist Teil seiner Lebensweise, die keine ethischen Überzeugungen kennt. Freundlichkeit gegenüber anderen kann sich – ausgelöst durch einen Funken, den nur Chopper selbst entfacht – im nächsten Moment in rasende Wut verwandeln, und nach der Tat kann wiederum trügerischer Frieden herrschen. Es ist diese Unberechenbarkeit als ein Prinzip in Choppers Leben, die aber nicht als Grundsatz formuliert ist, sondern die Chopper einfach „lebt“.
„Chopper“ ist erst ab 18 freigegeben. Der Film enthält einige sehr bewegende Szenen der Gewalt, und wer das nicht mag, sollte „Chopper“ lieber meiden. Der Streifen ist jedoch keine Hymne auf die Gewalt, genauso wenig geht es um irgendwelche Versuche, die Ursachen von Gewalt zu ergründen. „Chopper“ ist eine Charakterstudie, der Versuch einer Annäherung, und gibt – über den Aspekt der Gewalt weit hinaus – Anlass zu vielen Fragen, Überlegungen, Diskussion. Dominik erzählt eine Geschichte und Bana spielt exzellent einen Mann, dem gegenüber man während des Films die unterschiedlichsten Gefühle hat: Angst, Mitleid, Wut, Hass, was auch immer.
Bana schafft als Chopper eine Atmosphäre zwischen infantiler Opfermentalität und Rücksichtslosigkeit, die sich an einer zentralen Stelle des Films deutlich erfühlen lässt. Als Chopper durch Jimmy zerstochen wird, glaubt man einen Gekreuzigten vor sich, einen, der das nicht verdient hat, jemand, der auserkoren wurde zum Tod für das, was andere angerichtet haben. Aber zugleich zerfällt dieses Bild wieder, denn wir wissen, dass es allein Chopper war, der diese Situation heraufbeschworen hatte. Er überlebt. Heute lebt Chopper irgendwo in Tasmanien und schreibt Bestseller – obwohl er gar nicht schreiben kann. Aber das ist ungefährlicher – auch bezüglich der Frage, was hier eigentlich wahr und was trügerischer Schein ist.
Chopper
Australien
2000
-94 min.
Regie: Andrew Dominik
Drehbuch: Andrew Dominik
Darsteller: Eric Bana, Simon Lyndon, David Field
Produktion: Michele Bennett
Musik: Mick Harvey
Kamera: Geoffrey Hall, Kevin Hayward
Schnitt: Ken Sallows
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