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Butterfly Kisses | Untergrund-Blättle

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Rezension zum Film von Rafael Kapelinski Butterfly Kisses

Kultur

„Butterfly Kisses“ fängt wie die meisten Sozialdramen aus Grossbritannien an, geht aber doch auch eigene Wege. Da wären zum einen die Schwarzweiss-Aufnahmen, welche dem Film eine poetische Note geben. Doch dahinter verbergen sich Abgründe, die erst auf den zweiten Blick sichtbar werden, wenn es für das Publikum längst zu spät ist.

Die Tower Blocks in Edmonton, Nord-London.
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Die Tower Blocks in Edmonton, Nord-London. Foto: Rept0n1x (CC BY-SA 3.0 unported - cropped)

16. Januar 2018
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Sie sind die besten Freunde, verbringen einen Grossteil ihrer Freizeit miteinander. Und von der haben sie eine ganze Menge, schliesslich haben Kyle (Liam Whiting), Jarred (Byron Lyons) und Jake (Theo Stevenson) nicht wirklich etwas Besseres zu tun. Im Garten herumalbern, Billard spielen. Und Pornos natürlich. Der schüchterne Jake tut sich jedoch schwerer damit, im Gegensatz zu seinen selbstbewussten Freunden. Deswegen wird er auch gerne mal zur Zielscheibe für ihren Spott: Mal verunglimpfen sie ihn für seine Jungfräulichkeit, dann wiederum für seine offensichtlichen Gefühle für die neue Nachbarin Zara (Rosie Day). Jake schreckt ja nicht einmal davor zurück, auf Zaras kleine Schwester aufzupassen, um ihr näherzukommen.

Sozialdramen sind ja eine der grossen Stärken der Briten. Am bekanntesten sind hierbei sicher die Werke von Ken Loach, der zuletzt mit «Ich, Daniel Blake» bewiesen hat, dass er auch jenseits der 80 Jahre noch Geschichten zu erzählen hat. Doch dahinter tummelt sich eine ganze Armee aus Filmemachern, deren Alltag in erster Linie daraus zu bestehen scheint, mit Kameras in Hinterhöfen und Sozialbauten unterwegs zu sein. Auch Butterfly Kisses scheint auf den ersten Blick aus dieser Ecke zu kommen. Wir beobachten ein paar Jungs, die keine echte Perspektive, wohl aber eine grosse Klappe haben. Jungs, die irgendwie zur Szenerie dazugehören, deren Fehlen einem aber wohl kaum auffallen dürfte. Gespielt werden diese zum Teil mal wieder von Laien, was die Authentizität erhöhen soll (und vermutlich einiges an Geld spart).

Der poetische Blick in den Abgrund

Das mag kein besonders neuer Ansatz sein. Und doch zeigt der polnische Regisseur Rafael Kapelinski bei seinem Langfilmdebüt, dass dieser Ansatz in den richtigen Händen Sehenswertes hervorbringen kann. Und sehenswert ist Butterfly Kisses, allein schon der Bilder wegen. In betörenden Schwarzweissbildern bringt uns der Filmemacher eine Welt näher, die eigentlich nicht schön sein sollte, es hier aber doch ist. Ob die Jungs nun rauchend über das Viertel blicken, sich bei kleinen Wettstreitigkeiten ihre Männlichkeit beweisen oder in der Gruppe um einen Porno herumstehen, das Drama ringt den banalen Szenen eine geradezu poetische Qualität ab.

Das dürfte auch durch das Ziel motiviert sein, ein klein wenig Distanz zu schaffen. Anfangs irritiert das, steht es doch in einem Widerspruch zu einem Filmgenre, das eben jene Distanz aufheben will. Und doch darf man Kapelinski dankbar dafür sein. Nicht nur weil die Aufnahmen für sich genommen sehr ästhetisch sind. Sie helfen dem Publikum auch darüber hinweg, wenn Butterfly Kisses später inhaltlich einen etwas unerwarteten Weg einschlägt. Einen sehr düsteren, auf seine Weise tragischen Weg. Dass da irgendwo ein Abgrund lauert, das ahnt man schon früh. Denn auch wenn der Film immer mal wieder mit humorvollen Szenen das Geschehen auflockert, so bleibt eine etwas unheilvolle Stimmung.

Schwieriger Balanceakt

Kapelinski vermeidet es jedoch, diese zu explizit werden zu lassen. Ob die Balance zwischen zu viel und zu wenig zeigen ganz geglückt ist, darüber kann man geteilter Meinung sein. Schnell ist man hier von alltäglichem Geplänkel abgelenkt und entsprechend überrascht, wenn das Ende naht. Oder auch schockiert. Denn Butterfly Kisses nimmt sich hier eines sehr unangenehmen Themas an, verurteilt nicht, wo man es lieber hätte. Lässt einen alleine mit einem Gefühl, das man gar nicht haben mag: Die Bilder in dem Drama mögen schwarzweiss sein, die Geschichte ist es nicht. Wenn der Film bislang keinen deutschen Kinostart hat, dann ist das nicht weiter verwunderlich. Dafür ist er auf diversen Festivals zu sehen, beispielsweise aktuell dem Heimspiel Filmfest in Regensburg und dem Exground Filmfest in Wiesbaden.

Oliver Armknecht
film-rezensionen.de

Butterfly Kisses

England

2017

-

89 min.

Regie: Rafael Kapelinski

Drehbuch: Greer Ellison

Darsteller: Honor Kneafsey, Rosie Day, Thomas Turgoose

Produktion: Merlin Merton

Musik: Nathan W Klein

Kamera: Nick Cooke

Schnitt: Antonella Sarubbi

Dieser Artikel steht unter einer Creative Commons (CC BY-NC-ND 3.0) Lizenz.

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