Boy A Ein lebenslanger Film

Kultur

„Boy A“ erzählt von einem jungen Mann, der als Kind ein schreckliches Verbrechen begangen hat und nun sein Leben nach dem Gefängnis sucht.

Der schottische Schauspieler Peter Mullan spielt in dem Film die Rolle des Bewährungshelfers Terry.
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Der schottische Schauspieler Peter Mullan spielt in dem Film die Rolle des Bewährungshelfers Terry. Foto: Andymiah (CC-BY 3.0 cropped)

9. September 2023
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Die Romanadaption gibt viel Stoff zum Denken mit, ist spannend erzählt und mit einem jungen Andrew Garfield gut besetzt. Subtil und ausgewogen ist das alles nicht gerade, in der Summe aber sehenswert.

Nachdem er 14 Jahre im Jugendgefängnis war, ist Eric Wilson (Andrew Garfield) ein freier Mann. Doch die Tat, die er als Kind begangen hat, hängt ihm noch immer nach. Um ihm einen Wiedereinstieg in die Gesellschaft zu ermöglichen, zieht er in eine neue Gegend und trägt nun den Namen Jack Burridge. Sein Bewährungshelfer Terry (Peter Mullan) versucht, ihn dabei zu unterstützen, wo immer er kann. Er verschafft ihm auch eine Stelle in einem Lager. Tatsächlich fühlt er sich dort schnell wohl, schliesst Freundschaft mit Chris (Shaun Evans). Besonders aber hat es ihm seine Kollegin Michelle (Katie Lyons) angetan, für die er schnell Gefühle entwickelt. Doch noch immer wird er von seiner Vergangenheit heimgesucht. So leidet er immer wieder unter Alpträumen. Und auch die Welt da draussen hat nicht vergessen, was er getan hat …

Ein lebenslanger Film

In den letzten Jahren hat es eine ganze Reihe von Filmen gegeben, bei denen es um einen Menschen geht, der aus dem Gefängnis entlassen wird und nun den Weg zurück ins Leben sucht. Meistens geschieht das in Form eines Dramas, seien es Lorelei oder Palmer. Mandrake – Wurzel des Bösen siedelte dieses Thema im Horrorgenre an. Jedes Mal geht es darum, wie diese Figuren damit zu kämpfen hat, normal weiterzumachen. Einen grossen Anteil an diesen Schwierigkeiten haben dabei die Reaktionen der Gesellschaft. Nur weil jemand seine Zeit im Gefängnis abgesessen hat, heisst das nicht, dass damit die Schuld abgetragen wäre. Je nach Verbrechen kann es keinen wirklichen Neuanfang geben, wie auch das Beispiel Boy A beschreibt.

Dabei ist die Adaption des gleichnamigen Romans von Jonathan Trigell in mehrfacher Hinsicht ungewöhnlich und unterscheidet sich in entscheidenden Punkten von den obigen Filmen. Einer davon ist das Alter. Wo die Täter ansonsten meistens Jugendliche sind, sofern sie nicht schon das Erwachsenenalter erreicht haben, da ist Eric zur Zeit seiner Tat gerade mal 10 Jahre. Das bedeutet zum einen, dass die Persönlichkeit noch nicht so weit gefestigt ist, dass man sich nicht bessern kann. Wer kann von sich schon behaupten, als Erwachsener noch die Person zu sein, die man als Kind war? Damit verbunden ist die Frage, ob jemand, der mit zehn ein Verbrechen begangen hat, bis ans Ende seines Lebens dafür büssen muss. Auch wenn Boy A natürlich von einer sehr schlimmen Tat spricht.

Auf der Suche nach Antworten

Oder auch nicht spricht: Regisseur John Crowley (Der Distelfink) legt seinen Film als verschachteltes Rätsel an, bei dem lange nicht klar ist, worum es denn eigentlich geht. Zwar wird gleich zum Einstieg verraten, dass es richtig schlimm gewesen sein muss. Ansonsten wäre er kaum dazu gezwungen, im Anschluss eine neue Identität anzunehmen. Mit Details wird jedoch geknausert, die werden erst nach und nach verraten. Zu dem Zweck verwendet Boy A zwei Handlungsstränge. Der grössere ist der in der Gegenwart und zeigt Jack bei seinen Versuchen, ein normales Leben zu führen. Der andere spielt vor dem Verbrechen und erzählt von dem jungen Eric (Alfie Owen) und seiner Freundschaft zu Philip Craig (Taylor Doherty). In diesem ist nicht nur das Verbrechen selbst thematisiert, sondern auch die Hintergründe, wie es dazu kommen konnte.

Das ist einerseits spannend, weil das Publikum auf diese Weise bis zum Schluss miträtseln darf. Es dient vor allem aber auch dazu, Eric/Jack von einer anderen Seite zu zeigen und Verständnis zu erzeugen für seine Lage. Das Ergebnis ist etwas zwiespältig. So will Boy A dazu aufmuntern, genauer hinzusehen und statt Schwarzweiss auch mal Grautöne zu erkennen. Dabei ist der Film ebenso einseitig bei seiner Darstellung und legt etwas zu grossen Wert darauf, Jack als Opfer zu zeigen. Subtil ist das nicht gerade. Sehenswert aber schon, gerade auch für einen jungen Andrew Garfield, der hier noch am Beginn seiner Karriere stand. Ihm gelingt der schwierige Balanceakt und überzeugt als junger Mann, dem so viele Jahre seiner Entwicklung durch das Gefängnis fehlen, dass er immer wieder verloren durch die Aussenwelt stolpert und selbst keinen Weg durch diese sieht.

Oliver Armknecht
film-rezensionen.de

Boy A

England

2007

-

100 min.

Regie: John Crowley

Drehbuch: Mark O'Rowe

Darsteller: Andrew Garfield, Peter Mullan, Siobhan Finneran

Produktion: Lynn Horsford

Musik: Paddy Cunneen

Kamera: Rob Hardy

Schnitt: Lucia Zucchetti

Dieser Artikel steht unter einer Creative Commons (CC BY-NC-SA 4.0) Lizenz.