Besessen Leidenschaften, Zusammenhang und Trennung

Kultur

Neil LaBute ist – allerdings hierzulande wenig – bekannt für eher düstere, bissige Filme wie etwa „Nurse Betty“ (2000), „Your Friends and Neighbors“ (1999) oder „In the Company of Men“ (1997).

Der US-amerikanische Regisseur, Autor und Dramatiker Neil LaBute, 2010.
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Der US-amerikanische Regisseur, Autor und Dramatiker Neil LaBute, 2010. Foto: Phil Bray, Screen Gems (CC BY-SA 4.0 cropped)

21. August 2021
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Seine filmische Adaption eines Romans von Antonia Byatt (die dafür 1990 u.a. den Booker-Preis erhalten hatte) dagegen ist sicherlich auch, aber nicht nur, eine Romanze der besonderen Art. Unter der Voraussetzung, dass man diesen Film als hoffnungsloser Romantiker anschaut, muss „Possession“ eigentlich begeistern. Und ich werde im folgenden schlicht diese Voraussetzung einmal machen.

Der amerikanische Literaturwissenschaftler Roland Michell (Aaron Eckhart) arbeitet über seinen Lieblingsschriftsteller Randolph Henry Ash (Jeremy Northam) – der als Queen Victorias Hof-Literat galt – und begibt sich aus diesem Grund nach England. In der Bibliothek findet er in einem Buch zwei Original-Liebesbriefe, die Ash – ohne einen Namen zu nennen – an eine Geliebte geschrieben haben musste. Eine umwerfende Entdeckung, denn Ash galt als überaus treuer Ehemann. Michell vermutet, dass die beiden Briefe der Schriftstellerin Christabel LaMotte (Jennifer Ehle) galten, und nimmt Kontakt zu der führenden LaMotte-Forscherin Maud Bailey (Gwyneth Paltrow) auf, die Michells Vermutung für weit hergeholt hält.

Als beide jedoch auf einem alten Landsitz, wo die LaMotte lange Jahre lebte, in einem Puppenwagen Liebesbriefe finden, wird aus einer vagen Vermutung Gewissheit. Nach und nach decken Maud und Roland die verborgenen Geheimnisse einer Beziehung und tragischen Liebe auf und entdecken sich dabei gegenseitig. Allerdings müssen sie sich auch den unlauteren Machenschaften eines Kollegen, Fergus Wolfe (Toby Stephens, der Bösewicht in „Stirb an einem anderen Tag“) und eines fanatischen und geldgierigen Kunstsammlers (Trevor Eve) erwehren ...

LaBute erzählt im Grunde die Geschichte zweier Beziehungen, vom Kennenlernen über eine sanfte, aber stetige Annäherung bis zur leidenschaftlichen Liebe, im Fall von Ash und LaMotte einer tragischen Liebe, im Fall von Bailey und Michell eher einer romantischen, wenn auch nicht unrealistischen Liebe. Je mehr Bailey und Michell über das Paar aus dem 19. Jahrhundert herausfinden, desto stärker wird ihre Sympathie füreinander. Gwyneth Paltrow spielt die kühle, fast unterkühlte Frau, die mit Männern offenbar bislang keinen grossen Wurf gemacht hat, Aaron Eckharts Michell ertränkt seine Enttäuschung, seine gescheiterten Beziehungen in ein bisschen Selbstmitleid und geübter Distanz zum anderen Geschlecht. Es hilft beiden wenig.

Viel schwieriger als die beiden Wissenschaftler hatten es Ash, der verheiratet war und seine Frau Ellen (Holly Aird) trotz allem liebte, und Christabel, die – bisexuell – mit ihrer Freundin Blanche Glover (Lena Headey) eher mehr als weniger heimlich zusammenlebte. Ash und LaMotte konnten jedoch nicht anders, trafen sich heimlich, erlaubten sich vier Wochen gemeinsame Zeit. Ihre Liebesgeschichte endete tragisch – mehr sei nicht verraten.

LaBute verknüpft durch Rückblenden, die oft gar nicht wie flashbacks wirken, die Liebesgeschichten der beiden ungleichen Paare, die allerdings eines gemeinsam haben: die Leidenschaft, sich zu besitzen. Während Ash / LaMotte durch die strenge Moral der viktorianischen Epoche an einem Ausleben ihrer Liebe gehindert sind, trennt (zunächst) Bailey / Michell ihre innere Abwehr gegen jede Form von Romantik und ihr fehlender Glaube an wirkliche Leidenschaft. Während die ersteren sich später trennen müssen, kommen die beiden Wissenschaftler nach und nach zusammen.

Das Schöne und zugleich Tragische an diesen miteinander über mehr als ein Jahrhundert verknüpften Liebesgeschichten ist, dass „Possession“ nicht auf den sonst üblichen Hormonüberschuss und Phantastereien gründet wie so viele Billig-Streifen des Genres, sondern LaBute durch eine dialogfreudige, aber nicht dialogüberfrachtete und poetische Atmosphäre glaubhaft bleibt. Nicht Fleisch steht hier im Vordergrund, sondern echte tiefe Zuneigung und die romantische Idee, die zudem dadurch an Realismus gewinnt, dass ihre Chancen durch die konkreten Verhältnisse (mit)bestimmt werden, nicht durch Luftschlösser. Es gibt etliche Szenen in „Besessen“ – ein verfälschender deutscher Titel, der Besessenheit im negativen Sinn assoziiert, wo leidenschaftlicher Besitz, nicht Eigentum am anderen gemeint ist – zwischen den beiden Paaren, die jenseits von Rührseligkeit und kitschiger Romantizismen deren Leidenschaft füreinander im ehrlichen Sinn des Wortes herzergreifend zum Ausdruck bringen können – wozu die vier Hauptdarsteller nicht unwesentlich beitragen.

Gwyneth Paltrows Maud wie Jennifer Ehles Christabel sind Frauen zwischen grandioser Stärke und ebenso deutlicher Verletzbarkeit. Während Jeremy Northams Ash sich durch die Moral seiner Zeit hindern lässt, seiner Leidenschaft ohne Einschränkungen zu folgen, hindert sich Eckharts Michell durch die Grenzen, die er sich selbst auferlegt. LaBute kann diese gleichen wie ungleichen Merkmale seiner beiden Paare – exzellent gefilmt von Jean-Yves Escoffier – in einer einheitlichen und spannenden Weise zu einem homogenen Drama verschmelzen. Das zeichnet den Film besonders aus.

Ein Film für Romantiker, ein Kleinod der romantischen wie der tragischen Liebesgeschichte, vielleicht mit einigen Längen, die mich persönlich allerdings nicht weiter gestört haben, und ein Film, der sich abseits von üblichen Genre-Mängeln einem Realismus verschrieben hat, der von Zusammenhang und Trennung in zwei Geschichten aus unterschiedlichen Zeiten wirklichkeitsgetreu erzählen kann.

Ulrich Behrens

Besessen

USA

2002

-

98 min.

Regie: Neil LaBute

Drehbuch: David Henry Hwang, Laura Jones, Neil LaBute

Darsteller: Gwyneth Paltrow, Aaron Eckhart, Jeremy Northam

Produktion: Len Amato, David Barron

Musik: Gabriel Yared

Kamera: Jean-Yves Escoffier

Schnitt: Claire Simpson