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Kultur

Maskerade und Demaskierung sind zentrale Momente in Hitchcocks Filmen. Im Fall von „Notorious“ kommt noch ein Betrug hinzu: 1950 kam der Film unter dem Titel „Weisses Gift“ auf deutsche Leinwände.

Cary Grant spielt in dem Film den Regierungsagenten Devlin.
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Cary Grant spielt in dem Film den Regierungsagenten Devlin. Foto: David Hume Kennerly (PD)

Datum 15. Oktober 2020
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Lesezeit7 min.
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Aus den Nazis im Film wurden Drogenhändler, aus dem radioaktiven Material Rauschgift, aus der Deutschen Alicia Hubermann eine Schwedin und aus dem Bösewicht Sebastian ein Herr Sebastini. Erst später erhielt der Film eine neue deutsche Synchronisation und aus den Drogendealern wurden wieder die ursprünglichen Nazis. (Auf der DVD von „EuroVideo“ ist leider nur die verfälschende deutsche Synchronisation benutzt worden. Englische Untertitel sind nicht vorhanden – alles in allem unverständlich, zumal die DVD auch kein weiteres Zusatzmaterial enthält.)

Allerdings spielt diese Fälschung – so sehr sie auch etwas über den Umgang in Deutschland mit der eigenen Vergangenheit verraten mag – in bezug auf die Geschichte, die der Film erzählt, so gut wie keine Rolle. Denn Hitchcock legte mit „Notorious“ vielleicht seinen „einfachsten“, auch visuell in jeder Hinsicht überzeugenden Film vor, in dem die Konstellationen sich im wesentlichen auf drei Personen und ihre Mentalität und Gefühlswelt reduzieren lassen – und auf die „mit Leben gefüllten“ Objekte, die in Hitchcocks Filmen eine entscheidende Bedeutung spielen.

Inhalt

Die Geschichte ist denkbar einfach. Die Tochter eines wegen Spionage für die Nazis verurteilten Herrn Hubermann, Alicia (Ingrid Bergman), wird vom US-Geheimdienst in Gestalt von T. R. Devlin (Cary Grant) angeworben, einen geheimen Ring von nach Brasilien geflüchteten Nazis in Rio aufzuspüren. Alicia, die das Treiben ihres Vaters verabscheute und Amerika liebt, ertränkt ihre Verzweiflung in Alkohol und Männern. Trotzdem lässt sie sich anheuern und fliegt mit Devlin nach Rio, um sich in das Vertrauen von Alexander Sebastian (Claude Rains) einzuschleichen, den sie aufgrund der Beziehungen ihres Vaters zu Sebastian von früher kennt. Er war schon vor Jahren in Alicia verliebt. Als sie jetzt in Rio bei ihm auftaucht, hat er nichts anderes im Sinn, als Alicia zur Heirat zu bewegen – trotz Protestes seiner Mutter (Leopoldine Konstantin), die der jungen Frau nicht traut.

Was Sebastian nicht weiss: Alicia ist in Devlin verliebt. Devlin, der sich einerseits zu Alicia hingezogen fühlt, sie andererseits wegen ihres bisher lockeren Lebens und Alkoholkonsums verachtet, treibt sie in die Arme Sebastians. Alicias Hoffnungen auf eine Verbindung mit Devlin schwinden, als der ihr erklärt, sie solle Sebastian ruhig heiraten.

Alicia findet heraus, dass Sebastian und sein Kreis radioaktives Material besitzen, das sie in Weinflachen im Keller des Hauses verstecken. Als Sebastian durch ein Missgeschick Devlins im Weinkeller hinter die wahren Absichten Alicias kommt, beschliesst Sebastians Mutter, Alicia langsam und unauffällig mit Arsen zu vergiften. Wenn Sebastians Organisation dahinter kommen würde, dass er einen entscheidenden Fehler durch die Heirat mit Alicia gemacht hat, wäre dies sein Todesurteil ...

Inszenierung

Alicia scheint verloren – zwischen der Vergangenheit ihres Vaters und der Zukunft als Helfershelferin der amerikanischen Behörden. Dazwischen liegt der Alkohol. In einer Szene zu Anfang des Films sieht man sie im Bett liegen. Sie fühlt sich schlecht, weil sie am Abend zuvor zu viel getrunken hatte. Vor ihr steht ein Glas mit Alka-Seltzer. In der Tür steht Devlin, im Dunkeln, fordert sie auf, das Glas auszutrinken. Alles im Raum wirkt für Alicia undeutlich, verschwommen, es dreht sich. Später, viel später in Rio trinkt Alicia aus einer Tasse mit Goldrand Kaffee, in dem sich eine geringe Dosis Arsen befindet, das sie langsam umbringen soll.

Der Alkohol steht für die Selbstaufgabe einer Frau, der Kaffee für den Stoss, den ihr andere versetzen wollen. Dazwischen stehen zwei Männer, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Devlin, gut aussehend, charmant, der Mann, der für das Gute steht, der Alicia dafür benutzt, um das Ziel der Behörden zu erreichen, die Nazi-Gruppe hochgehen zu lassen. Er begegnet Alicia vor allem mit Misstrauen und Verachtung. Auf der anderen Seite Sebastian, der Bösewicht, der – obwohl elegant – lange nicht so gut aussieht wie Devlin, der allerdings Alicia wirklich liebt und ein enormes Vertrauen in sie setzt. Rains wird nicht nur bitter enttäuscht. Sein Vertrauen wird ihm den Tod bringen. Devlins Misstrauen hingegen führt zum Erfolg: die Bande ist zum Schluss am Ende.

„Notorious“ ist vor allem anderen eine Liebesgeschichte mit Hindernissen, Zerwürfnissen und Maskerade. Niemand ist ehrlich in diesem Spiel bis auf Alicia, deren Liebe zu Devlin echt ist. Devlin versteckt sich hinter seiner Pflicht und benutzt Alicia. Alicia lässt sich auf ihre Undercover-Rolle ein, aber weniger aus patriotischen Gefühlen, sondern vor allem aus Liebe zu Devlin. Sebastian wühlt im Untergrund. Alicia gaukelt ihm Zuneigung vor. Sebastians Mutter ist skrupellos und zu allem entschlossen. Das alles würde in eine totale Katastrophe führen: Alicia würde langsam an dem Arsen zugrunde gehen, Sebastian würde mit radioaktivem Material Unheil anrichten, Devlin würde mit einem schlechten Gewissen wegen Alicias Tod leben müssen, wenn nicht, ja wenn nicht Devlin dem Maskenball ein Ende setzen würde. Er holt Alicia aus dem Haus Sebastians und fährt sie ins Krankenhaus. Der Schlüssel zum Weinkeller von Sebastian erweist sich letztlich als Schlüssel zum engen Portal, durch das Devlin Alicia aus dem Hause führt – heraus aus der Verzweiflung und der Todessehnsucht.

„Notorious“ enthält den bis dato längsten Kuss der Filmgeschichte. Ein mehr oder weniger ungeschriebenes Gesetz lautete damals, ein Kuss dürfe nicht länger als drei Sekunden dauern. Hitchcock zieht die Kuss-Szene über drei Minuten. Beide umarmen sich über die gesamte Zeit, unterbrochen von Küssen, die nicht länger als drei Sekunden dauern, und sprechen dazwischen miteinander:

„Alicia: It's nice out here. Let's not go out to dinner. Let's stay here.
Devlin: We have to eat.
Alicia: We can eat here. I'll cook.
Devlin: I thought you didn't like to cook.
Alicia: No I don't like to cook, but I have a chicken in the icebox and you're eating it.
Devlin: What about all the washing up afterwards?
Alicia: We'll eat it with our fingers.
Devlin: Don't we need any plates?
Alicia: Yes, one for you and one for me.
Devlin: You mind if I have dinner with you tonight?
Alicia: I'd be delighted. Where are you going?
Devlin: If you're going to stay in, I have to telephone the hotel, see if there are any messages.
Alicia: Do I have to?
Devlin: I have to. (They walk inside to the telephone where he dials the hotel for messages.)
Alicia: This is a very strange love affair.
Devlin: Why?
Alicia: Maybe the fact that you don't love me.
Devlin: ...When I don't love you, I'll let you know.
Alicia: You haven't said anything.
Devlin (kissing her): Actions speak louder than words.“

Fazit

Das Gift und der Alkohol sind am Ende unwichtig geworden. Hitchcock, der Regisseur der Paarbeziehung, lässt ein Happyend zu, feiert das Paar, das zu sich selbst gefunden hat – und überlässt Sebastian seinem Schicksal. Ein ganz anderer Schluss als etwa der in „Vertigo“, als James Stewart den Tod einer Frau, die er liebt (oder die er zu lieben glaubte) sozusagen zweimal erleben muss. Ihm bleibt nur die Befreiung von Höhenangst – ein schwacher Trost. Oder das Ende in „To Catch A Thief“ (sprich: wie angle ich mir einen Mann). Cary Grant und Grace Kelly umarmen sich im Hause des Ex-Diebes, und Kelly meint, ihrer Mutter würde es hier bestimmt sehr gut gefallen. Ein Happyend mit Pferdefuss, was Grants Gesicht unzweifelhaft zum Ausdruck bringt.

Ulrich Behrens

Berüchtigt

USA

1946

-

98 min.

Regie: Alfred Hitchcock

Drehbuch: Ben Hecht, Alfred Hitchcock, Clifford Odets

Darsteller: Cary Grant, Ingrid Bergman, Claude Rains

Produktion: Alfred Hitchcock für RKO Radio Pictures

Musik: Roy Webb

Kamera: Ted Tetzlaff

Schnitt: Theron Warth