Audrey Rose - Das Mädchen aus dem Jenseits Daneben gegangen ...

Kultur

Robert Wise, der u.a. mit 1961 „West Side Story” einen grossen Kinoerfolg hatte, widmete sich 1977 einem Roman von Frank de Felitta, der auch das Drehbuch zu „Audrey Rose” schrieb.

Der Film Produzent und Regisseur Robert Wise, 1990.
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Der Film Produzent und Regisseur Robert Wise, 1990. Foto: photo by Alan Light (CC BY 2.0 cropped)

3. August 2020
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Klassiker wie Polanskis „Rosemarys Baby”, „The Omen” oder „Der Exorzist” standen wohl Pate, um diese übersinnliche Geschichte 1977 in die Kinos zu bringen. Zentrales Thema von „Audrey Rose” war dieses Mal nicht eine Teufelsgeburt, eine Teufelsaustreibung oder die Rückkehr des Teufels auf die Erde, um dort die Macht zu erobern. Nein, Felitta und Wise haben es nicht mit dem Teufel, sondern mit so etwas Profanem wie: Reinkarnation.

Gleichgültig, was man von diesem Thema bzw. dem Glauben daran halten mag – immerhin glauben einige hundert Millionen Menschen an Wiedergeburt –, kann man sicher ein solches Thema in einem Film spannend oder weniger spannend umsetzen. An Filmen, die Übersinnliches zum Thema haben, scheiden sich vielleicht die Geister. So kann ich beispielsweise mit Shyamalans Filmen dieser Art nichts anfangen. Aber das liegt eher am Stil, an der Art und Weise der Inszenierung als am Thema. Polanskis „Rosemarys Baby” oder Friedkins „The Exorcist” spielen in einer spannenden und manchmal fast zerreissenden Weise mit der Angst vor Dingen, die dem Verstand nicht unbedingt zugänglich sind – und das in einer Zeit, in der die Rationalität aller Orten als fast einziges Kriterium menschlichen Lebens gefeiert wurde.

Warum also nicht Reinkarnation? Der Film handelt von der Familie Templeton, dem Ehepaar Janice und Bill (Marsha Mason, John Beck) und ihrer Tochter Ivy (Susan Swift). Sie leben in New York, Bill hat einen sehr gut bezahlten Job, während Marsha sich vor allem um Ivy kümmert. Ivy hat immer wieder Alpträume, und die Eltern machen sich Sorgen um ihre Tochter. Noch mehr Sorgen machen sie sich allerdings darum, dass ein Mann mit einem Vollbart die Familie zu beobachten scheint. Er steht vor der Schule, wenn Janice Ivy abholt, er steht vor dem Haus der Templetons, und er scheint sie zu verfolgen. Die Polizei sieht keinen Grund, gegen diesen Mann einzuschreiten, da er sich keines Verbrechens oder auch nur Vergehens schuldig gemacht hat.

Eines Tages jedoch passiert etwas, was die Templetons aus der Fassung bringt: Als Janice in einen Autounfall verwickelt wird, kommt sie zur spät zur Schule. Ivy ist weit und breit nicht zu sehen. Und dann erfährt sie von dem unbekannten Mann, dass der Ivy nach Hause gebracht hat. Er schickt dem Ehepaar einen Brief, in dem sich seine Kurzbiografie aus einer Zeitung befindet. Kurze Zeit später ruft der Unbekannte die Templetons an und will sich mit ihnen treffen. In einem Restaurant stellt er sich den Templetons als Elliot Hoover (Anthony Hopkins) vor. Hoover erzählt von seiner vor Jahren verstorbenen Tochter Audrey Rose, die bei einem Verkehrsunfall im Auto verbrannt war. Aber er erzählt auch von einem Medium und einem Mann, die ihm beide gesagt hätten, Audrey Rose wäre nicht tot; ihre Seele würde in einem anderen weiterleben. Der Mann hätte ihm genau beschrieben, in welchem Kind Audrey Roses Seele wiedergeboren sei und in welchem Haus, das er ihm genau beschrieben habe, sie lebe. Ivy sei nur zwei Minuten nach Audrey Roses Tod geboren. In ihr sei seine Tochter reinkarniert – nur viel zu früh.

Die Templetons sind entsetzt. Vor allem Bill weist Hoovers Ausführungen als Phantastereien eines Psychopathen zurück, während Janice vor allem Angst hat. Und obwohl Hoover mehrfach Ivy nach deren Alpträumen wieder beruhigen kann, indem er sie als seine Tochter anspricht, kennt Bill nur eine Reaktion: Er will Hoover per einstweiliger Verfügung verbieten lassen, auch nur in die Nähe von Ivy zu kommen. Janice dagegen beginnt, Hoover zu glauben und ihn nicht für einen Psychopathen zu halten oder ihm zu unterstellen, er wolle den Templetons die Tochter wegnehmen. Schliesslich hat Ivy nach einem Alptraum Verbrennungen an den Händen. Auch anderes weist darauf hin, dass Hoover recht haben könnte.

Als Hoover bei einem erneuten Alptraum Ivys das Mädchen in eine Wohnung entführt, die er in dem Haus, in dem auch die Templetons leben, angemietet hat, kommt es zum Prozess gegen ihn, in dem dessen Verteidiger beweisen will, dass Hoover kein Verrückter ist. Der Richter ordnet schliesslich an, dass ein erfahrener Psychologe mit Ivy eine Hypnose durchführen soll, in der Dr. Lipscomb (Norman Lloyd) das Mädchen in eine Zeit zurückzuversetzen will, in der sie noch nicht geboren war ...

Wie Polanski in „Rosemarys Baby” lässt Wise diese Geschichte an einem normalen Ort (New York) spielen. Die ganze Umgebung verheisst nichts Mysteriöses, weder die Stadt, noch das Haus der Templetons, noch sonst irgendein Schauplatz. Selbst Hoover, von dem man anfangs nicht weiss, was er eigentlich will, erscheint kaum als eine Gefahr, eher als jemand, der zwar ein Geheimnis mit sich trägt, aber nichtsdestotrotz harmlos ist. Nie gewinnt man den Eindruck, er beabsichtige Böses oder stelle auch nur den Hauch einer Gefahr dar.

Das Grauen, das in diese „normale” Atmosphäre grossstädtischen Lebens eindringt – oder sagen wir besser: nach dem Willen von Autor und Regisseur eindringen soll –, sind die Idee der Wiedergeburt und die damit verbundenen Konsequenzen für Ivy und deren Eltern. Und genau das funktioniert letztlich nicht.

Die langen Ausführungen Hoovers in dem Gespräch mit den Templetons in einem Restaurant über den Glauben an die Wiedergeburt haben nichts Erschreckendes oder gar Grauenhaftes. Auch der „Trick”, Audrey Rose sei zu früh in Ivy wiedergeboren und daher müsse Hoover den Templetons helfen, funktioniert nicht einmal bedingt. Denn was um alles in der Welt soll das heissen? Nichts anderes, als dass die Seele von Audrey Rose ihren Frieden finden soll, sprich: den Körper von Ivy verlassen muss. Fast von Anfang an ist damit eigentlich klargestellt, dass nur der Tod (des Körpers) von Ivy die wandernde Seele von Audrey Rose befreien kann. Genau diese Konstellation der Geschichte aber nimmt dem Film ein hohes Mass an Spannung.

Mit dieser Konstellation korrespondiert, dass Wise sehr viel Zeit darauf verwendet, den Konflikt zwischen Hoover und den Templetons, vor allem Bill, eskalieren zu lassen, was der Inszenierung allerdings keinen Pluspunkt verschafft. Auch die Schlusssequenz, in der Dr. Lipscomb zum einen lang und breit erklärt, was er mit Ivy vorhat, andererseits sie ebenso lang und breit in verschiedene Stadien der erinnerten Vergangenheit zurückversetzt, trägt nicht dazu bei, dem Film den nötigen Pfiff zu geben. Ebenso wiederholen sich unnötig die Szenen, in denen Hoover Ivy aus ihren Alpträumen zurückholt. Man weiss es schon beim ersten Mal, dass nur er dazu in der Lage ist, aber Wise muss uns das gleich mehrfach in längeren Szenen vorsetzen.

Man kann es auch anders formulieren: Die Macher des Films sind in ihr Thema Wiedergeburt allzu sehr „verliebt”. Sie nehmen es zu ernst, drücken dem Betrachter die Ernsthaftigkeit des Themas und die Glaubwürdigkeit des Glaubens an Reinkarnation zu dick auf's Auge. Auch die Schauspieler folgen leider insofern diesem Konzept, als sie das tun, was man overacted nennt: Besonders John Beck kehrt den Mann mit Vernunft und Verstand allzu geradlinig und klischeehaft heraus. Und Marsha Mason reitet allzu sehr auf der Rolle der fast schon weinerlichen Mutter. Lediglich Hopkins lässt einen in der Rolle des Hoover im Rückblick ahnen, was dieser Schauspieler in der Zeit danach für Fähigkeiten entwickelte.

Alles in allem also eine Enttäuschung, ein Film, der mit seinen 113 Minuten angesichts der Art der Inszenierung viel zu lang geraten ist.

Ob man nun an Wiedergeburt glaubt oder nicht: Das Thema, wie es Wise in Szene setzt, hat nichts Erschreckendes. Der Film zieht sich schier endlos hin bis zur vermeintlichen Befreiung der Seele des Kindes, von dessen angeblicher Notwendigkeit wir aber schon fast am Anfang wussten.

Ulrich Behrens

Audrey Rose - Das Mädchen aus dem Jenseits

USA

1977

-

113 min.

Regie: Robert Wise

Drehbuch: Frank De Felitta

Darsteller: Marsha Mason, Anthony Hopkins, John Beck

Produktion: Frank De Felitta, Joe Wizan für United Artists

Musik: Michael Small

Kamera: Victor J. Kemper

Schnitt: Carl Kress