Rezension zum Film von Alexander Sokurow Faust

Kultur

Faust ist der letzte Teil von Alexander Sokurows Tetralogie über das Thema „Macht“. Moloch (1999) ging über Adolf Hitler, Taurus (2000) über Wladimir Lenin und Die Sonne (2005) über Kaiser Hirohito.

Der russische Regisseur Alexander Sokurov in Volgograd.
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Der russische Regisseur Alexander Sokurov in Volgograd. Foto: www.volganet.ru (CC BY-SA 3.0 unported - cropped)

2. Juni 2016
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Der russische Regisseur gilt als legitimer Nachfolger seines Landsmannes Andrej Tarkowskij. Das sind grosse Fussstapfen, in die Sokurow tritt, denn Tarkowski (Solaris, Stalker) war internationaler Meister des experimentellen Autorenkinos. Mit Faust wagt Sokurow eine Neuinterpretation von Goethes gleichnamiger Tragödie. Den Film hat der Russe mit deutschen und russischen Schauspielern und wie seine anderen Filme der Tetralogie in der Originalsprache, also auf Deutsch gedreht.

Der Gelehrte Faust (Johannes Zeiler) hadert mit sich und dem Leben generell. Er sucht die Seele in Leichen und die Erleuchtung im Evangelium. Der Wucherer (Anton Adassinsky) zieht den Professor auf magische Weise an. Faust trifft Margarethe (Isolda Dychauk), in die er sich verliebt. Durch einen Unfall tötet Faust ihren Bruder, dennoch kommen sich die beiden bei der Beerdigung näher. Es kommt zu einem unmoralischen Vertrag zwischen Faust und dem Wucherer, der Faust eine Nacht mit dem „Gretchen“ zusagt und dem Wucherer Fausts Seele verspricht.

Faust ist nicht die erste Filmadaption des Goethe-Klassikers. Der deutsche Filmemacher Friedrich-Wilhelm Murnau schuf 1926 mit Faust – Eine deutsche Volksaga einen expressionistischen Stummfilm, auf den Sokurow stilistisch zurückgreift. 1960 folgte eine Verfilmung des ersten Teils durch Gustaf Gründgens und Peter Gorski mit einem eindrucksvollen und omnipotenten Mephisto. Sokurow stellt dem einen deformierten und hässlichen Widerpart entgegen, der bewusst nicht als Teufel inszeniert wird.

Sokurow zerlegt den opulenten Faust-Stoff, bedient sich an Handlungselementen beider Teile und konstruiert die Handlung so, wie es zu seiner Faust-Vision und seiner Macht-Tetralogie passt. Faust wirkt absurd, grotesk, sperrig, schwer zugänglich, artifiziell, aber auch skurril. Der Prosa-Text wurde „filmgerecht“ umgeschrieben und Fausts Gedanken erklingen als Voice Overs aus dem Off.

In ausdrucksstarken Bildern und einer genialen Kamera von Bruno Delbonnel (Die fabelhafte Welt der Amelie) erschafft Sokurow eine surreale Faust-Version, die teilweise durch visuelle Verzerrungen und Licht-/Farbfilter eine eigenwillige Ästhetik erzeugt. Untermalt wird das durch klassische Musik (Andrey Sigle), die schwebend, beiläufig im Hintergrund ertönt und die bizarre Stimmung unterstreicht.

Die eher unbekannten Schauspieler liefern überzeugende Darstellungen. Zeiler und vor allem Adassinsky überzeugen mit starken Leistungen, Dychauk bleibt gemäss ihrer Rolle sehr passiv und blass. Erwähnenswert ist auch eine Nebenrolle von Hanna Schygullla, die als Fassbinder-Darstellerin bekannt wurde, als über den Dingen schwebende Frau des Wucherers.

Der 133 minütige bizarre Trip ist so weit von einer angestaubten Literaturadaption entfernt wie Mephisto von Gott. Es ist allerdings avantgardistisches Kunstkino in Reinform, auf das man sich erst einmal einlassen muss. Sokurow versucht die Vorzüge von Kino, Theater und Literatur zu vereinen und erzielt dabei ein beachtenswertes Ergebnis. Das ganz grosse Meisterwerk ist ihm dennoch nicht gelungen. Form und Inhalt passen zwar gut zusammen, aber der Erzählfluss leidet unter den innovativen Stilmitteln und der Symbolhaftigkeit. Hier steht definitiv der „Food for thought“-Aspekt vor der Unterhaltung.

Die DVD enthält als Bonusmaterial Trailer, ein aufschlussreiches Interview mit dem Regisseur und das Feature „Behind the scenes“.

Marco Behringer
film-rezensionen.de

Faust

Russland

2011

-

134 min.

Regie: Alexander Sokurow

Drehbuch: Juri Arabow, Marina Korenewa, Aleksander Sokurow

Darsteller: Johannes Zeiler, Anton Adassinski, Isolda Dychauk

Produktion: Andrei Sigle

Musik: Andrei Sigle

Kamera: Bruno Delbonnel

Schnitt: Jörg Hauschild

Dieser Artikel steht unter einer Creative Commons (CC BY-NC-SA 3.0) Lizenz.