A Serious Man Schicksal! Schicksal??

Kultur

Warum erzählen die Coens uns diese Geschichte – nein, nicht die biblische des Hiob, sondern eine aus den 60er Jahren über Lawrence, genannt Larry, Gopnik?

Independent Spirit Award für Richard Kind als Onkel Arthur Gopnik in „A serious Man”, Los Angeles 2010.
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Independent Spirit Award für Richard Kind als Onkel Arthur Gopnik in „A serious Man”, Los Angeles 2010. Foto: Tomdog (CC-BY-SA 3.0 unported - cropped)

12. Juli 2023
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Korrektur
"Nackt kam ich hervor aus dem Schoss
meiner Mutter; nackt kehre ich
dahin zurück. Der Herr hat gegeben,
der Herr hat genommen; gelobt sei
der Name des Herrn." (Hiob 1, 21)

"When the truth is found to be lies
and all the joy within you dies
don't you want somebody to love
don't you need somebody to love
wouldn't you love somebody to love
you better find somebody to love."
(Jefferson Airplane, Musik im Film)

Rabbi: "This is life. You have to
see these things as expressions
of God's will. You don't have to
like it, of course."
Larry: "The boss isn't always right,
but he is always the boss."
(aus: "A Serious Man")

Das Leiden Hiobs hatte ein Ende. Die Frage nach diesem Leid nicht. Hiob, dieser ernste und gottesfürchtige Mann, dem alles genommen wird, der eine schlechte Botschaft nach der anderen bekommt, der seine Geburt verflucht, und dennoch in seiner Redlichkeit und Unschuld verharrt, gottesfürchtig und dennoch zweifelnd, warum er keine Antwort auf die Frage bekommt, warum gerade ihm das alles widerfahren musste. Am Schluss wird er von Gott belohnt – mit mehr Reichtümern, als er zuvor verloren hatte. Und Hiob lebte "danach hundertundvierzig Jahre und sah Kinder und Kindeskinder bis in das vierte Glied. Und Hiob starb alt und lebenssatt" (Hiob 42, 16, 17).

Nur eine Frage blieb offen. Warum dieses Leid? Hiob hatte mit dieser Frage abgeschlossen, ohne eine Antwort zu bekommen. Denn Gott hatte ihm gesagt, er solle bescheiden sein, er solle anerkennen, dass nur er, Gott, allmächtig ist – was bedeutet, er habe nicht nur die rechtschaffenen Menschen, sondern auch Leviathan und Behemoth geschaffen, er, Gott, habe die Welt geschaffen, und kein Lebewesen werde je begreifen, warum er sie so und nicht anders geschaffen habe. Gott werde die Menschen vor dem Bösen beschützen – aber wie er das mache, das allein sei ihm und nicht den Menschen.

Es bleibt?

Wer an den gerechten Gott glaubt, ohne zu zweifeln, dem wird Gutes widerfahren. Doch der Mensch kann Gottes Handeln nicht begreifen, denn er ist Geschöpf Gottes.

Der einzige Ausweg aus dieser Katastrophe – in einem theologischen Sinne, wohlgemerkt – lautet etwa so: Der Zweck des Buches Hiob ist es nicht, Antworten zu geben, "sondern den Menschen so stark zu machen, dass er sie selbst finden kann" (so z.B. Robert Aron: Das Buch Ijob, in: Prager, Mirjam / Stemberger, Günter (Hrsg.): Die Bibel. Altes und Neues Testament in neuer Einheitsübersetzung, Bd. 3, Salzburg, 1975, S. 1517).

Warum erzählen die Coens uns diese Geschichte – nein, nicht die biblische des Hiob, sondern eine aus den 60er Jahren über Lawrence, genannt Larry, Gopnik? Kurz gesagt, damit wir uns diese Frage selbst beantworten. Ich weiss nicht, wie die Coens ihre Geschichte von Larry Gopnik interpretieren, werten, oder was auch immer sie selbst damit anfangen. Sie setzen uns diese Geschichte vor die Augen und Ohren und sagen: Fangt selbst damit an, was ihr wollt, denkt Euch Euren Teil dazu, empfindet, was eben ihr empfindet. Aber lasst uns in Ruhe mit Euren Fragen, was das soll und warum diesem Larry Gopnik das passiert, was ihm eben passiert. Wir sind nicht Gott und ihr seid nicht Gott (oder eben doch?), wir erzählen Euch etwas, seht zu, was ihr damit anfangt.

Ob die Coens ihre eigene Kindheit und Jugend im jüdischen Milieu mit diesem Film behandelt oder verarbeitet haben, diese Frage banne ich mal sofort in den Bereich der Spekulation. Nein. Dieser Film zwingt uns alle, uns ausschliesslich selbst Gedanken zu machen, was wir mit ihm anfangen können und wollen oder auch nicht. Basta!

Larry Gopnik ist Professor für Physik, verheiratet mit Judith, zwei Kinder, die pubertierenden Danny und Sarah. Larry ist so ein rechtschaffender Mann, der sich nichts hat zu Schulden kommen lassen. Er glaubt an die Exaktheit von Mathematik und Physik, wohnt im Reihenhaus und glaubt daran, alles würde ewig so weitergehen, wie es nun einmal geht. Als der Student Clive ihn zwecks besserer Noten mit Geld bestechen will, weist er dieses Ansinnen empört zurück – obwohl er Schulden hat und zusätzlich anonyme Briefe bei der Universitätsleitung aufgetaucht sind, die Larry schlecht machen, der doch auf seine Anstellung auf Lebenszeit wartet. Die zweite Hiobsbotschaft: Fast nebenbei – "Honey, you've talked to Sy?" – verkündet ihm seine Frau, sie und sein bester Freund Sy Ableman hätten ein Verhältnis, schon länger, sie wolle die religiöse Scheidung. Ein Schlag bleibt selten allein. Zwei Schläge auch nicht. Dritter Schlag: Sein Töchterchen stiehlt ihm Geld. Viertens: Sein Sohnemann interessiert sich nur für Rock'n'Roll und Drogen – und last but not least: Sein Schwager Arthur, geplagt durch eine Zyste im Genick, plagt seinerseits Larry mit dem FBI, das Arthur des illegalen Glücksspiels bezichtigt.

Mit Arthur zieht er in ein Motel namens Jolly Roger.

Während der alte und nicht besonders attraktive Sy Ableman – das erinnert mich irgendwie an: "Sei fähig, Mann" – Larry betont ruhig, ja fast lässig, lächelnd und verständnisvoll in den Arm nimmt, um ihn zu trösten (!!!), kennt Larry nur noch eine Möglichkeit, diesen Katastrophen zu begegnen: den Weg zu Gott, sprich zum nächsten Rabbi. Und natürlich will er von immerhin drei Rabbis nur eines wissen: WARUM – DAS – MIR?

Der eine Rabbi erzählt ihm die Geschichte eines Zahnarztes, der auf der hinteren Seite der Vorderzähne eines Patienten hebräische Zeichen entdeckt und verzweifelt versucht hatte, hinter den Sinn dieser Merkwürdigkeit zu gelangen – bis er eines Tages aufgab: "He looked a while, then returned to life." Larry ist jetzt nicht schlauer als vorher. Und Träume plagen ihn – von Sex (mit der scharfen Nachbarin Mrs. Samsky, die er vom Dach seines Hauses schon einmal beim Nacktsonnenbaden beobachtet hatte) und Tod (als Sy Ableman über ihm im selben Traum den Sargdeckel schliesst).

Was nun? Der Schluss des Films lässt alles offen. Da ist kein Hiob mehr, der 140 Jahre von Gott dazu bekommt, und vieles mehr an Besitz. Nee, das nicht. Für Larry und seinen Sohn Danny endet alles anders. Wie, das soll man ja bei einem Film nicht erzählen.

Die Hiobsbotschaft – vielleicht ist das der Film selbst. Die Coens bugsieren uns in die Rolle des Interpreten, des Direktors, des Allmächtigen, der wir nun gerecht werden sollen. Oder wir lassen es einfach. "A Serious Man" glänzt vor trockenem Humor in einer Tragik, die meinem Gefühl nach wenig mit Tragischem zu tun hat, sondern mehr mit der Frage, wie wir unser Leben verstehen. Larry trifft der strafende Gott – aber nur über diese Geschichte und vor allem uns. Das kann am Schluss gut ausgehen oder auch nicht. Wie bei uns. Roger Deakins fasziniert mich mit den schönen, manchmal hübsch-hässlichen Bildern, ab und an in den Farben der 60er Jahre, und ergänzt damit die skurrilen Figuren der Coens in überzeugender Weise. Diese Skurrilität geht bis in die Dialoge, seien sie nun zu Ende geführt oder nicht, wie meistens in diesem Film.

Larry steht für mich dabei für mich selbst (und vielleicht ein bisschen für uns alle), die wir glauben, rechtschaffen zu sein, zumindest meistens, und die doch hier und da und manches Mal geballt das Leid trifft, dessen Sinn wir nicht erfassen – noch viel weniger als die Religion, die alles auf den Schöpfer schiebt. Doch vielleicht hat Aron ja recht mit dem starken Menschen, der selbst Antworten finden kann. Larry findet nichts, wie viele von uns. Denn Larry glaubt, irgendwie. Und dieser Larry, so exzellent gespielt von Michael Stuhlbarg, harrt seinem Schicksal, das so wenig Mathematisches, Exaktes an sich hat – wie die beiden Unfälle, die gleichzeitig passieren; der eine überlebt, der andere nicht. Vorsehung?! Folgt die Strafe auf dem Fuss? Der Film lässt dies zu – wie das Gegenteil. Zufall statt Schicksal. Ja, was denn nun?

All diese Fragen scheinen mir – nicht erst nach dem Genuss dieses Films – sinnlos, weil nach einem Sinn gefragt wird, wo es keinen gibt – wenn morgen der berühmte Dachziegel fällt ... Larry weiss nicht, warum sich seine Frau von ihm trennen will. Er habe doch nichts falsch gemacht ... Larry ist ein guter Professor. Warum legen ihm anonyme Denunzianten Steine in den Weg? Ist es vielleicht doch der gnostische Abraxas, jener Gott, der zugleich Gut und Böse, Engel und Satan ist, der das Weltgeschehen bestimmt? In einer prägnanten Szene bekommt Larry einen Anruf eines LP-Verkäufers (sein Sohn hatte heimlich dort Rockmusik-LPs abonniert), und Larry wehrt sich dagegen, er habe nie etwas bestellt, und das neue Santana-Album Abraxas wolle er nicht hören. Verzweifelt kämpft Larry gegen diese Dinge – gegen Abraxas. Nein, Gott ist gut – fertig.

Wie man vielleicht bemerkt, ist "A Serious Man" nicht nur voll von Anspielungen, Konnotationen usw. Lässt man sich auf diese Geschichte ein, ist der Film auch gespickt mit Fragen, die uns selbst betreffen – ob wir das wollen oder nicht. Tragödie? Komödie? Noch eine unwichtige Frage! "A Serious Man" hat mich bewegt, belustigt, nachdenklich gemacht – was will man mehr? Larry ist kein depressiver Typ, nein, er ist voller Hoffnung und auch voller Fragen – Larry sind irgendwie wir. Die Coens stossen uns zugleich in seine Rolle und in die Rolle eines temporären Allmächtigen. Wir bestimmen das Ende dieser Geschichte. Vielleicht gelingt es uns zu differenzieren, was wir selbst verursachen und was uns eben einfach trifft – ob wir es wollen oder nicht, verdient haben oder nicht.

Und an diesem Ende wird uns der zunächst merkwürdige Prolog des Films über einen Dibbuk – also jenen ehemals bösen Lebenden, der sich von seiner irdischen Existenz nicht lösen kann und dessen Seele sich daher in einem anderen Lebenden festsetzt, von ihm Besitz ergreift, ihn zur Besessenheit treibt – verständlicher.

Well done!

Ulrich Behrens

A Serious Man

USA

2009

-

105 min.

Regie: Ethan und Joel Coen

Drehbuch: Ethan und Joel Coen

Darsteller: Michael Stuhlbarg, Richard Kind, Fred Melamed

Produktion: Ethan und Joel Coen

Musik: Carter Burwell

Kamera: Roger Deakins

Schnitt: Ethan und Joel Coen als Roderick Jaynes