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“Wir” und der Konsum | Untergrund-Blättle

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Freizeit und Arbeit “Wir” und der Konsum

Gesellschaft

Niko Paech, seines Zeichens Ökonom, findet das “Konsum nervt”. Wer wie Paech behauptet, “Konsum macht keine Freude, sondern strengt an” dem möchte man ein Leben im Wald nahelegen, wo er die Anstrengung in einer Wohnung zu leben endlich hinter sich lassen kann.

Der Volkswirt Niko Paech auf einer Veranstaltung zur Postwachstumsökonomie (2011).
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Der Volkswirt Niko Paech auf einer Veranstaltung zur Postwachstumsökonomie (2011). Foto: Marcus Sümnick (CC BY 3.0 cropped)

3. September 2014
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Aber es geht ihm natürlich gar nicht um Konsum an sich, sondern um den “überflüssigen Konsum”. Da weiss einer wie Paech auch zielgenau wie der vom Richtigen zu unterscheiden ist:

Das “knappste Gut ist unsere Lebenszeit – die wir [!] damit verschwenden, Waren herzustellen und zu kaufen, die wir [!] nicht benötigen.” Dieses w i r ist dabei mehr als interessant, weil es nur im Kopf eines Paechs existiert. Wo Lohnarbeiter ihr Leben damit zubringen für den Konsum so basaler Dinge wie Wohnung, Essen, Kino und Bier für andere Leute und in anderer Leute auftrag Privatjets, Lofts und Waffen zu produzieren, wird tatsächlich so einiges produziert was d i e s e Leute nicht brauchen. Von einem “wir” ist dabei allerdings keine Spur.

Die meiste Mehrarbeit fliesst im Kapitalismus allerdings nicht in die Konsumgewohnheiten der Arbeiter und auch nicht in die ausgefallenen Wünsche einer Oberschicht, sondern in die Reinvestitionen des Kapitals. Über Kategorien wie Lohn, Preis und Profit hört man einen wie Paech natürlich nicht sprechen – dafür umso mehr über den “überflüssigen Konsum” von “uns”.

Ist allerdings erstmal die Klassengesellschaft per gut gesetztem Personalpronom erste Person Plural ausradiert, lässt sich auch an dieses “wir” appellieren: “Dabei kann es den Genuss steigern, weniger zu konsumieren. Man hat mehr Zeit für die Tätigkeiten, die einem wirklich wichtig sind.” Ein Tipp dieses Kalibers ist wirklich nur mit einem “wir” machbar, wo der Durschnittsprolet der über 1/3 seines Lohnes allein für die Wohnung ausgibt einfach mit demjenigen Ingenieur zusammengefasst wird, der trotz fünfstelligem Monatsgehalt nicht daran denkt sein Arbeitspensum zu reduzieren.

Aber einer wie Paech will da auch gar nicht unterscheiden. Deswegen geht es ihm auch gar nicht darum, dass die Menschen weniger Arbeiten k ö n n e n und trotzdem gut leben: “Wenn jeder Mensch nur noch 20 Stunden pro Woche arbeitet, bleibt genug Zeit, um ergänzende Formen der Selbstversorgung zu praktizieren, etwa Nahrung selbst anzubauen, Güter gemeinschaftlich zu nutzen oder Dinge zu reparieren.” Das mit den heutigen Produktionsmitteln nach 20 Stunden Arbeit pro Woche keiner mehr Zuchinis im eigenen Garten ziehen müsste bei zweckmässiger Planung der Produktion bleibt einem natürlich verschlossen, wenn man für die Verwüstungen des Planeten den privaten Konsum der Lohnabhängigen verantwortlich macht.

Dabei gäbe es zur Reduzierung des Arbeitstags doch einiges zu sagen. Das von Marx propagierte “Reich der Freiheit”, welches auf dem “Reich der Notwendigkeit” aufbaut und “die Verkürzung des Arbeitstags” als seine Grundbedingung hat, könnte man zum Beispiel etwas näher erläutern. Marx erkannte zu Recht: “Das Reich der Freiheit beginnt in der Tat erst da, wo das Arbeiten, das durch Not und äussere Zweckmässigkeit bestimmt ist, aufhört; es liegt also der Natur der Sach nach jenseits der Spähre der eigentlichen materiellen Produktion”.

Das “Reich der Notwendigkeit” ist dabei die Basis jeder frei verfügbaren Zeit: “Die Freiheit in diesem Gebiet kann nur darin bestehn, dass der vergesellschaftete Mensch, die assoziierten Produzenten, diesen ihren Stoffwechsel mit der Natur rationell regeln, unter ihre gemeinschaftliche Kontrolle bringen, statt von ihm als von einer blinden Macht beherrscht zu werden; ihn mit dem geringsten Kraftaufwand und unter den ihrer menschlichen Natur würdigsten und adaequatesten Bedingungen vollziehn.” (MEW 25/828)

Paech hingegen geht es gar nicht darum, den Charakter der Arbeit grundsätzlich zu ändern und das Joch der Lohnarbeit endlich wegzuschaffen. Statt dessen sollen doch alle von etwas Lohnarbeit und Subsistanz dahinvegetieren und am besten wieder für stumpfe Arbeit hergerichtet werden: “50 Prozent der jungen Menschen sollen zu Akademikern ausgebildet werden. Aber an wen delegieren wir dann die physische Arbeit, die steigender Konsum voraussetzt?”

Am Ende möchte man dem Ökonomen mit Brecht antworten:

- Das simple Leben, lebe wer da mag Ich habe unter uns genug davon Kein Vögelchen von hier bis Babylon Vertrüge solche Kost, nur einen Tag

Was hilft da Freiheit, es ist nicht bequem, Nur wer im Wohlstand lebt, lebt angenehm. -

Berthold Beimler

B. Brecht: Ballade vom angenehmen Leben – Dreigroschenoper

Alle Zitate von Paech aus: http://www.taz.de/Niko-Paech-ueber-Postwachstum/!145119/

Marx, Karl 1983: Das Kapital dritter Band. Seite 828

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