Der Hass auf Juden war nie weg Wir Antisemiten

Gesellschaft

"Nix gegen Juden im Prinzip, aber man wird ja wohl noch sagen dürfen." Das war gestern.

Mural Antifaschistische Aktion (
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Mural Antifaschistische Aktion ("Gegen jeden Antisemitismus", "Nie wieder Deutschland") in Berlin-Friedrichshain, Juni 2020. Foto: Singlespeedfahrer (PD)

2. November 2023
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Heute haben wir aus dem sicheren Hinterland stapelweise gute Ratschläge für Israel und die Juden. Die hatten wir damals auch.

Unter der Hand riet man den jüdischen Nachbarn seinerzeit: Haut ab, sucht das Weite, verschwindet, wenn sie nicht eh' schon fort waren. Anschliessend teilten wir das Tafelsilber und schützten die Täter, so gut es ging. Es ging gut. Da es naturgemäss keine Kollektivschuld gibt, waren wir fein raus. Klar, als alles zu Ende war und die Väter und Täter bei den Müttern wieder die Beine unter den Tisch strecken konnten, mussten viele wegen seelischer Probleme in Behandlung. Das war teurer als die Wiedergutmachung.

Vom Antisemitismus wollten und wollen wir naturgemäss nicht viel wissen, wir haben da böse Erfahrungen gemacht. Antisemitismus ist ja eher unangenehm und bringt einen nur in Verruf. Ein Streichholz zuviel - und schon bist du Antisemit!

Ganz unter uns: Vieles wird ja garnicht so heiss gekocht, wie es gegessen wird. Nur ein Beispiel: Viele sagen ja, der Einfluss der Juden bei uns sei viel zu gross - aber fast 30 % sagen, das stimmt überhaupt nicht! So etwas muss einen doch froh machen, vor allem, wenn man weiss, dass bestenfalls 33 % Gefallen an der Idee finden, dass wir einen Führer haben sollten, der Deutschland zum Wohle aller mit starker Hand regiert und sich auch über Gesetze hinwegsetzen kann. Lächerliche 25 % sind der Meinung, dass der Nationalsozialismus auch seine guten Seiten hatte.

Übrigens, "die" sind wir. Und nicht alle sind Nazis oder AfD, nein, es sind ja auch viele von unseren, die das so sehen, die auf Republik und Institutionen pfeifen und in Menschenrechten eher eine Kunstausstellung sehen. Antisemitismus und Rassismus sind keine Randgruppenphänomen von Extremisten, sondern tief in der Mitte der Gesellschaft verwurzelt.

Und was sehen wir? Wie erfolgreich Schule, Bildung auf Aufklärung waren? Bis zur Machtübernahme der Populisten ist es noch ein weiter Weg, auch wenn die rechte Szene (und nicht nur in Deutschland) aus dynamischen Netzwerkern jeglichen Alters besteht. Je mehr die progressive Linke und die demokratischen Ränder der Mitte an Einfluss verlieren, umso zahlreicher werden ihre Analysen zu den Ursachen.

«Zweifle nicht an dem, der dir sagt, er hat Angst. Aber hab Angst vor dem, der dir sagt, er kennt keinen Zweifel.»

Wie treffend von Erich Fried. Der Hass auf Juden in Deutschland war nie weg, er hat nur geschlummert. Wie unangenehm. Antisemiten? Nein, natürlich nicht Sie!

Peter Grohmann