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»Islamophobie« und Antisemitismus

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Neue Fragen im Immigrationsland Deutschland »Islamophobie« und Antisemitismus

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Gesellschaft

Anfang Dezember 2008 veranstaltete das Zentrum für Antisemitismusforschung (ZfA) in Berlin eine Tagung unter dem Titel »Feindbild Muslim – Feindbild Jude« zum strukturellen Zusammenhang von Islamophobie und Antisemitismus.

Mekka während des Haddsch 2009.
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Mekka während des Haddsch 2009. Foto: Al Jazeera English (CC BY-SA 2.0 cropped)

Datum 21. November 2009
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KorrekturKorrektur
Kurz nach deren Ankündigung durch den Direktor des Zentrums, Wolfgang Benz, hagelte es Kritik der Autoren Matthias Küntzel, Benjamin Weinthal, Clemens Heni, Henryk M. Broder und einiger anderer ob der Untragbarkeit des Vergleichs dieser beiden Phänome und der Verwendung des Begriffs Islamophobie. Sie kritisierten die Arbeit des ZfA, die Theoriebildung des Zentrums und die Inhalte der geplanten Konferenz insbesondere.

Benz reagierte ungehalten und schoss via tageszeitung vom 5. Dezember 2008 zurück: »ZfA-Leiter Wolfgang Benz reagierte im Gespräch mit der taz empört auf die Vorwürfe Küntzels. Sie seien ›völlig lachhaft‹. Das Ganze sei ›nicht ernst zu nehmen‹, wie ihm auch Ilan Mor, der Gesandte der israelischen Botschaft in Berlin, die Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde der Hauptstadt, Lala Süsskind, und der SPD-Bundestagsabgeordnete Gert Weisskirchen, Beauftragter des OSZE-Vorsitzenden zur Bekämpfung des Antisemitismus, zugesichert hätten.«

Sowohl Ilan Mor als auch Lala Süsskind verwahrten sich daraufhin gegen die Vereinnahmung durch Benz und widersprachen dessen Darstellung, sie hätten seine Positionen gerechtfertigt.

Der Streit ist mittlerweile etwas verebbt, auch wenn jüngst Micha Brumlik noch einmal anhob, die Kritik an Benz und dem ZfA mit der kolossalen Einschätzung blosszustellen, »dass die Autorengruppen [Küntzel, Weinthal, Heni sowie Henryk Broder] sich ebenso fundamentalistisch verhält wie die radikalen Islamisten« und er überhaupt nicht verstehe, »warum er [Wolfgang Benz] sich überhaupt darauf eingelassen hat, sich gegen diese Angriffe zu verteidigen«.

Die Fragen, die hinter der Debatte stehen, bleiben aber relevant, vor allem dann, wenn man sie mit den Ereignissen während des israelischen Militäreinsatzes im Gazastreifen im Winter 2008/09 ins Verhältnis setzt. In jenen Wochen kam es auf deutschen Strassen zu den grössten antijüdischen Manifestationen der zurückliegenden Jahrzehnte, wahrscheinlich sogar seit 1945. Auch wenn es 1968 und zum Beginn der Zweiten Intifada im Jahr 2000 grosse antiisraelische Demonstrationen gab, war das Besondere der zurückliegenden Demonstrationen der ungefilterte Antisemitismus, der nicht mehr als Teil eines antisemitischen Diskurses geäussert wurde, sondern als direkter, unverhüllter Antisemitismus ohne Israel.

Die starke Präsenz von MigrantInnen bei diesen Demonstrationen, ja mehr noch deren Dominanz, und die Tatsache, dass ein Grossteil dieser Demonstrationen von MigrantInnenorganisationen angemeldet und getragen wurden, wirft die Frage nach der Einordnung jenes Phänomens auf und auch die Frage, wie eine Linke auf derartige Ereignisse reagieren soll. Die Linke in Deutschland hat in jenen Wochen diese Frage eindeutig und eindrucksvoll beantwortet: Es gab in Deutschland keine einzige relevante, von Linken organisierte Protestaktion, Demonstration oder sonstiges gegen das Vernichtungsgeschrei des antisemitischen Aufruhrs. All das Gerede von der Durchsetzung anti-antisemitischer Standards in das Repertoire des (anti-)deutschen Linksradikalismus blamierte sich vor der Realität der bedingungslosen Kapitulation vor dem antisemitischen Mob auf den deutschen Strassen.

Es ist nicht allein eine inhaltliche Frage, welche die spürbare Resignation hervorbrachte. Aber es ist auch eine inhaltliche Unsicherheit, wie reagiert werden kann, wenn es keine Nazis sind, die Antisemitismus vertreten, sondern die vermeintliche Mitte, die Zivilgesellschaft oder eben MigrantInnen und deren Kindergeneration.

Islamophobie und Antisemitismus

Im 17. Jahrbuch für Antisemitismusforschung, das zeitgleich zur Tagung erschien, werden die Anliegen des ZfA konkretisiert: »Antiislamische Ressentiments haben seit dem 11. September 2001 weltweite Konjunktur. […] Für die Vorurteilsforschung hat sich damit ein neues Arbeitsfeld ergeben. […] Die Parallelen [der Islamophobie] zu Antisemitismus und Judenfeindschaft sind unverkennbar: Mit Stereotypen und Konstrukten, die als Instrumentarium des Antisemitismus geläufig sind, wird Stimmung gegen Muslime erzeugt. Dazu gehören Verschwörungsphantasien ebenso wie vermeintliche Grundsätze und Gebote der Religion, die mit mehr Eifer als Sachkenntnis behauptet werden. Die Wut der neuen Muslimfeinde gleicht dem alten Zorn der Antisemiten gegen die Juden« schreibt im Vorwort Wolfgang Benz. Angelika Königseder ergänzt im gleichen Band: »Seit den Anschlägen auf das World Trade Center in New York, auf Djerba, in London und Madrid, den blutigen Bildern von Selbstmordattentaten im Irak, vor allem aber seit der Ermordung des niederländischen Filmemachers Theo van Gogh gewinnt das Feindbild Islam neue Qualität. Nicht nur Rechtsextreme richten ihre Agitation verstärkt gegen Muslime und ›den Islam‹, sondern auch in der Mitte der Gesellschaft und im linken Spektrum finden islamfeindliche Einstellungen Zustimmung.«

Die Begriffe von Islamophobie, Muslim- oder Islamfeindschaft werden dabei in synonymer Weise gebraucht, ein spezifischer Gehalt damit eher verschleiert als gefördert. Die Nähe dieser Phänomene zum Antisemitismus erschliesst sich nicht sofort, wird aber von den AutorInnen in einer Menge ähnlich gelagerter Stereotype verortet: Verschwörungstheorien, Kollektivkonstruktionen, Missdeutung religiöser Imperative und Verdammung der Religion als Ganzes. Micha Brumlik springt den AutorInnen zur Seite: »Tatsächlich gab und gibt es im christlichen Abendland schon im Mittelalter und erst recht in der Neuzeit eine theologisch begründete Feindschaft gegen den Islam.«

Die einzelnen Beobachtungen, soweit kann mitgegangen werden, sind durchaus nicht falsch. Das christliche Abendland sah in den Juden eine Gefahr ihrer eigenen Konstitution, wie sie ebenso die Gefahr der Islamisierung des Kontinents mit abenteuerlichen Phantasien bebilderte. »Die Türken vor Wien« waren ein beliebtes Schreckensbild des Mittelalters bis in die Neuzeit, immer wieder gern aktualisiert in Einwanderungsdebatten um Muslime nach Europa.

Und doch lässt sich hier schon der entscheidende Unterschied beschreiben, der auch die fort folgende Parallelisierung von »Islamophobie« und Antisemitismus zum Einstürzen bringt: Die Mauren von Asturien oder die »Türken vor Wien« waren immer das Andere, das von Aussen die europäische Christenheit bedrohte. Ihnen konnte man sich entgegenstellen, man konnte sie bekämpfen, vertreiben, besiegen oder man konnte ihnen unterliegen. Sie waren nicht nur die Muslime, sondern eben auch und vor allem die Mauren und Türken. Sie stellten die für den Rassismus klassische Form des Fremden dar: das sichtbare Aussen, Andere oder den sichtbare Feind.

Die Juden (Westeuropas) hingegen waren vor allem der Feind von innen, sie waren das Andere des Selbst, StaatsbürgerInnen ihrer Nationen, denen ihre Andersartigkeit erst bewiesen werden musste. Als sich in Europa seit 1789 die Juden als sichtbare Gruppe auflösten und in den nationalen Homogenisierungen aufgingen, versuchte der moderne Antisemitismus sie als Gruppe und Individuen wieder sichtbar zu machen, sie zum kollektiv Fremden des Eigenen zu stilisieren. Der moderne Antisemitismus war u.a. eine Reaktion auf das visuelle Verschwinden der Juden. Die Rede von den Muslimen spricht von ihnen als den sichtbaren Eroberern von aussen, die Rede von den Juden sieht in ihnen die unsichtbaren ZersetzerInnen von innen.

Diese grundsätzlich gegenläufige Beschreibung ist eine der wesentlichen Grundlagen der Unterscheidung von Rassismus und Antisemitismus. Eine weitere ist die Unterscheidung von der den Juden gegenüber betriebenen Zuschreibung der Omnipotenz einerseits und der rassistischen Annahme der eigenen kulturellen, intellektuellen, historischen Überlegenheit andererseits. Die westliche Debatte um Muslime wird heutzutage immer als Wertedebatte in der Weise geführt, dass die eigenen kulturellen und ethischen Werte denjenigen des Islam grundsätzlich überlegen sind. Dass die islamische Welt eine der westlichen in nahezu allen Bereichen unterlegene ist, wird in diesen Diskussionen kaum bestritten.

Und auch ein dritter Punkt zur Differenzierung ist entscheidend: Die Juden galten immer als die VertreterInnen der Moderne, sei es in der Form des Liberalismus, des Kapitalismus oder des Kommunismus. Der Antisemitismus war und ist die moderne Bewegung der Antimoderne. Er rationalisiert und personifiziert das Abstrakte und Unverstandene im Juden. Die »Islamophobie« hingegen ist das genaue Gegenteil davon, versteht sie sich doch selbst vor allem als Verteidigung von Aufklärung und Moderne gegen die Regression des Islam bzw. Islamismus.

Drei der wesentlichen Säulen des Antisemitismus stehen also im völligen Gegensatz zu dem Phänomen, das vom ZfA als Islamophobie, Muslim- und Islamfeindschaft bezeichnet wird. Einem Zentrum für Antisemitismusforschung ist diese Leerstelle vorzuwerfen, weil sie ein bezeichnendes Licht auf die eigene Theoriearbeit wirft, die in der Vergangenheit immer wieder kritisiert wurde. Dass die MitarbeiterInnen des Zentrums, allen voran Wolfgang Benz, lieber von Judenfeindschaft denn von Antisemitismus sprechen, hat auch damit zu tun, dass sie von der Besonderheit des Antisemitismus wenig verstehen und es lieber in den Kategorien einer Vorurteilsforschung beschreiben. So heisst es bei Benz: »Aufgabe der Antisemitismusforschung, die sich als Vorurteilsforschung begreift und Judenfeindschaft als erkenntnisleitendes Paradigma versteht, ist es, beide Phänomene in den Blick zu nehmen: Hass gegen die Juden und den Judenstaat, wie er von Muslimen artikuliert wird, und Hass gegen die Muslime, der sich der gleichen Methoden bedient, die vom christlichen Antijudaismus wie vom rassistischen Antisemitismus entwickelt wurden.«

Die »Vorurteilsforschung« abstrahiert von den inneren Besonderheiten des Antisemitismus und konzentriert sich lieber auf die äusserlichen Phänomene von Vorurteilen. Auf dieser Ebene ist der Hass gegen Kampfhunde(-halterInnen), gegen Muslime oder aber gegen Juden durchaus ähnlich.

Rassismus und Kritik – Muslim- und Islamfeindschaft

Neben dieser unbegreiflichen Begriffslosigkeit hinsichtlich des Antisemitismus ist zudem die Begriffslosigkeit hinsichtlich der »Islamophobie« bedenklich. Tatsächlich verbirgt sich hinter dem bombastischen Begriff auch eine bombastische Ansammlung von Strategien, die getrennt gehören, um sie verstehen zu können. Unter den Begriff der Islamophobie stecken die ZfAlerInnen rassistische Stereotypisierungen, Religionsauseinandersetzungen und politische Kritik. Folgt man den Ausführungen Angelika Königseders, vereinigt der Begriff die Überfremdungsdiskurse, die Diskussionen um Moscheebau und Kopftuch, Karikaturenstreit und »Parallelgesellschaft«.

Eine wirkliche politische Diskussion wird damit unmöglich gemacht, weil das politische Argument gegen das Kopftuch und das religiöse gegen die Moschee als Teil des rassistischen Stereotyps verhandelt werden.

Dabei sind aber Rassismus und politische Kritik, Muslim- und Islamfeindschaft verschiedene Dinge. Sowohl allgemein der Rassismus als auch spezifisch die Muslimfeindschaft richten sich gegen die Menschen, die als Träger verschiedener rassischer, ethnischer oder kultureller Eigenschaften identifiziert werden. Es ist die verallgemeinernde Zuschreibung, die in jedem Araber den Patriarchen, Sexisten und Terroristen vermutet und diese »Eigenschaften« zu Teilen seiner kulturellen Identität verklärt und sie somit anthropologisch in ihn einschreibt.

Es ist jedoch etwas Grundverschiedenes, die Elemente als solche zu kritisieren bzw. zu bekämpfen und sich vor allem auf das Verhältnis der Menschen zu ihren Einstellungen zu konzentrieren. Kritik und Ablehnung des Kopftuchs und der Moschee sind zunächst politische Formen, die auch als solche betrachtet werden können. Die Kritik am Kopftuch kann als politischer Kampf geführt werden, weil er sich mit dem Verhältnis der Trägerinnen zu Religion und Politik auseinandersetzt, weil sie davon ausgeht, dass die Trägerinnen sich für etwas entscheiden, was ihnen nicht »natürlich« vorgegeben ist, und sie in diesen Handlungen kritisierbar sind. Damit soll nicht geleugnet werden, dass sich der rassistische Diskurs hierzulande häufig hinter den politischen Parolen gegen Moschee und Kopftuch verbirgt, dass er vorgibt, eine politische Debatte zu führen, wo er nur dem rassistischen Ressentiment freien Lauf lässt. Dennoch muss in diesen Fällen der Nachweis des Rassistischen erbracht werden, die Argumentationslinien zwischen Kritik und Rassismus freigelegt und – wenn vorhanden – deren gegenseitigen Bezüge dargelegt, statt behauptet werden.

Die verallgemeinernde Rede von Islamophobie kann die Unterschiede nicht fassen und macht somit aus jeder berechtigten Kritik an Religion und politischen Artikulationsformen eine Art Rassismus. Dieses Zukleistern des Unterschieds kann nur gelingen, wenn MigrantInnen über ihren Opferstatus wahrgenommen werden, anstatt sie als politische Subjekte zu begreifen. Jochen Müller schreibt im Jahrbuch des ZfA: »Als Identität und Gemeinschaft stiftende Ideologien sind Israelhass und Antisemitismus nicht nur im Nahen und Mittleren Osten attraktive Angebote – nicht zuletzt vor dem Hintergrund von Diskriminierung und Ausgrenzung sind sie es auch für deutsche Jugendliche arabischer Herkunft und/oder muslimischen Glaubens.«

In der bestmöglichen Form entmündigt Müller hier die »Jugendlichen«, um ihren Antisemitismus als Folge ihres Opferstatus zu begreifen. Nun ist es sicherlich so, dass soziale und kulturelle Umstände Menschen und ihre Einstellungen durchaus prägen. Aber Entscheidungen wie Juden zu hassen und auch anzugreifen, nicht nur an eine Religion zu glauben, sondern sie aktiv zu befördern oder sich in die Luft zu sprengen, sind immer noch freiwillige Entscheidungen, die man treffen oder die man verweigern kann.

Die Vermengung von Religion, Kultur, Ethnizität, Herkunft und deren TrägerInnen zu einer Einheit verhindert nicht nur eine Kritik an politischen Formen der Artikulation, sondern entmündigt und kulturalisiert/rassifiziert wiederum all diejenigen, die aus einem bestimmten Kulturkreis, einer bestimmten Religion, einem bestimmten Land etc. kommen. Dies sind die Erfahrungen, denen Kritikerinnen wie Necla Kelek, Ayaan Hirsi Ali und Seyran Ates seit Jahren ausgesetzt sind. Ihre Positionen, die man politisch durchaus kritisieren kann, weil sie teilweise entlang rassistischer Stereotypisierungen verlaufen, werden jedoch weniger als politische Positionen kritisiert, sondern vor allem als Verrat an der eigenen Herkunft, weil sie sich nicht als migrantische Opfer präsentieren, sondern sich zum Teil der hegemonialen Mehrheitsgesellschaft erklären.

In der Diktion des ZfA werden die TäterInnen, die antisemitischen »Jugendlichen«, zu Opfern der Diskriminierung, der Islamophobie. Im weiteren Verlauf dieses Zirkelschlusses ist die Kritik an diesem Antisemitismus – als Teil der islamophoben Strategie – Ursache desselben.

Demgegenüber kann von einem Zentrum für Antisemitismusforschung im Land des Holocaust erwartet werden, sich auch weiterhin mit der Besonderheit des Antisemitismus zu beschäftigen, die eigene Zielvorgabe nicht irgendwann langweilig zu finden und sich neuer Betätigungsfelder zu bemächtigen. Ganz im Gegenteil ist darauf zu bestehen, dass diese von der Konzeption her einzigartige Institution sich mit der Genese des Antisemitismus beschäftigt und seine Wirkungsmächtigkeit und Gefahr im heute und jetzt erforscht, analysiert und politisiert. Das ZfA lässt in beruhigender Regelmässigkeit hingegen verlauten: Kein Grund zur Sorge, der Antisemitismus ist kein Problem.

Muslimischer Antisemitismus

Die Beruhigungsstrategie ist eine tragende Säule des ZfA, wird es auf die hohe Affinität der heutigen deutschen Gesellschaft zum Antisemitismus angesprochen. In einem Interview nach den antisemitischen Manifestationen in Deutschland nach dem israelischen Militäreinsatz im Gazastreifen greift der leitende Mitarbeiter des ZfA Werner Bergmann zum bewährten Mittel: »Eine verstärkte Artikulation lässt sich beobachten – mehr Briefe an den Zentralrat der Juden, Erregungen in Talkshows, judenfeindliche Transparente auf Demonstrationen. Das ist immer zu beobachten, wenn Konflikte im Nahen Osten eskalieren und wenn daraufhin Proteste gegen Israels Politik, getragen vor allem von muslimischen Gruppierungen, auf die Tagesordnung kommen. Solche ›Perioden-Effekte‹, wie die Soziologie sie nennt, sind kein spezifisch deutsches Phänomen, sondern lassen sich europaweit beobachten. Daraus kann man aber nicht auf eine allgemeine Zunahme des Antisemitismus schliessen.«

Eine genauere Sicht auf die Ereignisse jener Wochen scheint jedoch etwas ganz anderes nahe zu legen. »Wo ist der Hitler, wo ist der? Der hätte die ganz fertig gemacht, diese Arschlöscher« schrie ein Teilnehmer einer antiisraelischen Demo in Duisburg in die Kamera und zielte damit auf eine Handvoll von GegendemonstrantInnen, die die Israel-Fahne schwenkten. Keine Seltenheit waren in diesen Tagen derartige Hassparolen: »Tod, Tod Israel«, »Scheiss Juden«, »Vergast die Juden«, »Kindermörder Israel«, »Juden raus« wurde auf nahezu jeder Demonstration skandiert. Unverkennbar war es nicht allein der israelische Staat, der Zielscheibe der landes- (bzw. europa-)weiten Wutausbrüche wurde, sondern nahezu überall waren es die Juden.

Bei verbalen Attacken blieb es nicht, vielmehr wurden Einrichtungen des Staates Israel, jüdische Gemeindezentren und Synagogen angegriffen. Eine vollständige Chronologie der Ereignisse ist unmöglich, weil die Zahl an Attacken den Platz sprengen würde: Das Berliner Mahnmal für die ermordeten Juden Europas wurde am 3. Januar mit antisemitischen Parolen beschmiert, am 4. Januar griff ein Horde von 60 Personen eine proisraelische Kundgebung in München an, in Kassel wurde am 17. Januar ein proisraelischer Stand attackiert, in Rostock am 8. Januar die Scheiben des jüdischen Gemeindezentrums eingeworfen, um nur einige Beispiele zu nennen. Die Demonstrationen wurden weitestgehend von migrantischen Verbänden organisiert und von MigrantInnen – unterstützt von der deutschen antizionistischen Linken – getragen.

Besonders auffällig war die hohe Bereitschaft, sich nicht in den (politisch aufgeladenen) Antizionismus zu flüchten, um den direkten Antisemitismus zu umgehen, sondern der ungehemmte Judenhass, der von Tod und Vergasen spricht, Hitler als Erlöser preist, die Juden als Juden attackiert, wo sie sich zu erkennen geben.

Bestätigt werden diese Eindrücke durch einige Studien zum »muslimischen/arabischen« Antisemitismus in Deutschland. In der Studie des Innenministeriums »Muslime in Deutschland« aus dem Jahre 2007 stimmten der Aussage »Menschen jüdischen Glaubens sind überheblich und geldgierig« 38,5 Prozent der muslimischen MigrantInnen zu, bei nichtmuslimischen MigrantInnen liegt die Zustimmung bei 22,7 Prozent, bei nichtmuslimischen »Deutschen« bei 16,3 Prozent. Aus einer weiteren Studie der Amadeu-Antonio-Stiftung können ähnliche Schlüsse gezogen werden.

Barbara Schäuble berichtet dort von einer Gruppendiskussion mit muslimischen Jugendlichen: »Sie verstehen sich eher auf politische Weise als Muslime. Ihre Selbstverortung als sozial Benachteiligte und als Muslime verbinden sie mit Abgrenzungen gegenüber Juden. Sie positionieren sich gegen Amerikaner, Israelis, Juden, deutsche Politiker und Lehrer. […] Die Jugendlichen konstruieren Juden als ihr religiöses, soziales und politisches Gegenüber. Aus dieser Perspektive geht nahezu alles, was ihnen missfällt, auf einen jüdischen Ursprung zurück. […] Vor diesem Hintergrund beziehen sich die Jugendlichen positiv auf Selbstmordattentate und erklären, dass Hitler alle Juden hätte vergasen sollen.«

In Einzelinterviews mit »Jugendlichen palästinensischen und libanesischen Familienhintergrunds« in Berlin-Kreuzberg, geführt von Sina Arnold und Günther Jikeli, lassen sich ähnliche Strukturen auffinden: »Die Jugendlichen sind in Deutschland aufgewachsen und leben in Berlin-Kreuzberg. Drei Viertel von ihnen besitzen die deutsche Staatsangehörigkeit. […] Die Mehrheit der Jugendlichen äussert einen manifesten Judenhass.« Einer der Teilnehmer wird konkreter: »Ich hasse die [Juden] einfach, ich hasse die. Darf ich nicht?« Auffällig ist, dass Israel praktisch keine Rolle spielt: »An manchen Stellen werden ›Israelis‹ beschimpft, die aber in allen Fällen wenig später wieder zu ›Juden‹ werden. ›Ich hasse Juden‹ bzw. ›wir hassen Juden‹ wird wörtlich von der Hälfte der Jugendlichen geäussert.«

Die Hälfte der Jugendlichen droht jedem Juden, den sie treffen, explizit Gewalt an, einige äussern offen Vernichtungsphantasien »indem sie vom Wunsch der ›Verbrennung‹, ›Ausrottung‹, ›Abschlachtung‹ sowie davon, ›jeden Juden töten‹ zu wollen, reden.« Selbstverständlich scheint es da, dass »einige Jugendliche […] die Ermordung von sechs Millionen Juden im Dritten Reich eher beziehungsweise ausdrücklich« befürworten.

Bis heute ist die Vorstellung weit verbreitet, dass sich in migrantischen Milieus vor allem Spielarten des sekundären Antisemitismus entwickeln, des Antisemitismus nach Auschwitz; dass dieser Antisemitismus mit den Bedingungen des Nahostkonflikt durchdrungen ist. »Der Antisemitismus in Deutschland und Europa wird seit (nicht wegen) der zweiten Intifada offener artikuliert als zuvor.

In Deutschland handelt es sich dabei nicht um eine neue Form des Antisemitismus, während der Antisemitismus, den die nach Europa emigrierten Muslime formulieren, einem neuen Typus der Judenfeindschaft Ausdruck verleiht« schrieben in dieser Diktion Enzo Traverso, Elfriede Müller und Klaus Holz in ihrem Text »Schuld und Erinnerung«. Und sie zogen schliesslich den Schluss: »Ein Brandanschlag auf eine Synagoge ist ein antisemitischer Akt, der zu verurteilen und zu sanktionieren ist. Aber es ist nützlich zu wissen, ob es Skins waren, Nostalgiker eines Vichy-Frankreich, islamische FundamentalistInnen oder Jugendliche maghrebinischer Herkunft, die dadurch ihre Unterstützung der palästinensischen Intifada ausdrücken wollen.«

Eingedenk der vorstehend zitierten Studien und der antisemitischen Realität des Winters 2008/009 scheint diese Unterscheidung aber (zumindest teilweise) obsolet geworden zu sein. Es ist eher so, dass in muslimischen oder migrantischen Milieus der klassische Antisemitismus stärker ist, nämlich der Antisemitismus als Weltbild und nicht der fragmentierte (oder sekundäre), der sich nach 1945 in Deutschland durchgesetzt hat.

Antisemitismus, Islamismus, Rassismus

Der Begriff der Islamophobie ist das Kampfschwert des Multikulturalismus bzw. des Kulturrelativismus, die in doppelter Weise gefährlich sein können. Die erste Gefahr besteht in der hinlänglich bekannten Bestätigung des Rassismus durch die positive Aufladung vermeintlich kultureller Eigenschaften und deren Bindung an MigrantInnen. Für vorliegenden Zusammenhang wichtiger ist die Gefahr der Verschleierung von Unterschieden und Genauigkeiten. Die »Islamophobie« hat tendenziell die politische Entschuldung durch die rassistische Opfersituation im Gepäck. Sie tendiert zur Koppelung politischer Einstellungen an die soziale und politische Situation der TrägerInnen der Einstellungen – soweit noch nachvollziehbar – und folgend zur Erklärung und Entschuldung von Einstellungen allein aus der sozialen/politischen Situation heraus.

MigrantInnen müssen jedoch als politische Subjekte wahrgenommen werden und nicht allein als Opfer der Verhältnisse. Es ist auffällig, dass in den zitierten Studien die Verbindung von rassistischer Diskriminierung und antisemitischen Einstellungen von den Betreffenden gar selbst vorgenommen wird. In der Amadeu-Antonio-Studie heisst es z.B.: »So wird dem Versuch, Antisemitismus unter Muslimen zu thematisieren, oft der Verweis auf Islamophobie bzw. antimuslimischem Rassismus entgegen gehalten. Verkürzt gesagt: ›Der Holocaust ist Euer (deutsches) Problem, wir werden schliesslich selbst diskriminiert.‹«

Diese Entschuldungsstrategie muss zurückgewiesen aber gleichzeitig auch die Feststellung getroffen werden, dass offensichtlich in bestimmten muslimischen Milieus der Antisemitismus, dessen explizite Bereitschaft zur Gewaltanwendung und dessen Bekenntnis zu Vernichtungsphantasien besonders ausgeprägt sind.

Das bundesdeutsche Tabu, ein geschlossenes antisemitisches Weltbild offen zu äussern und Juden als Juden zu attackieren, hat auf diese Jugendlichen offensichtlich keinerlei Einfluss. Die Verbindung der Selbstverortung als gesellschaftliches Opfer mit der Bereitschaft, hinter den Diskriminierungen eine konkrete Täterschaft der Juden zu halluzinieren, ist eine bekannte Figur des europäischen Antisemitismus.

Die Vorschläge des Zentrums für Antisemitismusforschung zur Reaktion auf diese u.a. in der eigenen Einrichtung gewonnenen Erkenntnisse sind indes verheerend. Als Reaktion auf die Weigerung migrantischer Jugendlicher, sich mit dem Holocaust zu befassen, fordert Jochen Müller eine »Revision des Politik- und Geschichtsunterrichts: Wenn etwa der Holocaust hierzulande als Zivilisationsbruch und Geburtsstunde eines neuen Europas gilt, so kann er diese zentrale Bedeutung für Migranten aus der arabisch-muslimischen Welt nicht einnehmen. Hier stünden – darauf verweisen auch arabische Wissenschaftler – vielmehr die Kolonialzeit und ihre Folgen im Zentrum des kollektiven historischen Gedächtnisses. Es muss auf dieser Basis überdacht werden, wie eine zeitgemässe ›Holocaust-Education‹ aussehen soll, wenn 70, 80 oder 90 % der Schüler migrantischer Herkunft sind.«

Nun ist es durchaus richtig, sich Gedanken über eine zeitgemässe »Holocaust-Education« zu machen, welche die migrantische Realität endlich einmal begreift. Aber sich die Themen vom (Des-)Interesse der SchülerInnen oder von deren Ressentiments diktieren zu lassen, wäre eine Kapitulation des aufklärerischen Bildungsverständnisses.

Ganz abgesehen davon, dass man sich fragt, wie denn bitteschön über den ›zionistischen Kolonialismus‹ bzw. Israel gelehrt werden wird, wenn man das entscheidende Ereignis seiner Entstehung verschweigt, würde es sich hierbei darüber hinaus um eine eklatante Kapitulation vor dem Antisemitismus und seinen VertreterInnen handeln.

Der gegen MigrantInnen gerichtete Rassismus der deutschen Mehrheitsgesellschaft ist ernst zu nehmen; dass MigrantInnen hierzulande weiterhin Opfer sind, ist ebenso zu konstatieren. Das Bekenntnis zu Islamismus und/oder zu Antisemitismus und Gewalt- und Vernichtungsphantasien steht damit jedoch nicht im Verhältnis. Es handelt sich hierbei um Entscheidungen, um Einstellungen, zu denen man sich verhalten kann, um Optionen, die man wählen oder abwählen kann. Die Dinge gehören zuallererst getrennt: Rassismus, Antisemitismus und Islamismus sind verschiedene Bereiche, die begrifflich und analytisch zu separieren sind, weil sie miteinander nicht unbedingt etwas zu tun haben. Antisemiten sind genauso zu bekämpfen, unabhängig ob sie Täter oder Opfer in einer rassistischen Gesellschaft sind oder nicht.

David Schweiger
Artikel aus: Phase 2 / Ausgabe Nr. 32
www.phase-zwei.org

Die Fussnoten wurden in diesem Text weggelassen