Züri brännt: Texte zur Bewegung Sigis Schaf - Interview mit Christoph Schuler
Gesellschaft
Christoph Schuler: Ich koche für dich…. Spätzle mit Käse überbacken, und einen Salat dazu.


Sigis Schaf wird serviert. Foto: strapazin
00:49 Ich musste daheim eigentlich nie kochen, meine Mutter hat immer gekocht. Und als ich mit 18 daheim ausgezogen bin, also 1972 und in Wohngemeinschaften gewohnt habe, da gab es eigentlich immer Spaghetti mit Tomatensauce.
01:13 Das fand ich ein bisschen langweilig. Und die Leute, die schon in den WGs gewohnt haben, fanden, ich müsse jetzt auch mal kochen. Am Anfang habe ich vor allem Polenta gemacht mit Tomatensauce oder Pasta. Und dann habe ich mir Kochbücher zugelegt und schnell gemerkt, dass man auch andere Sachen machen kann als Polenta und Pasta.
01:49 Über 10 Jahre habe ich mit zehn, zwölf Leuten zusammengewohnt und später in kleineren Wohngemeinschaften. Weil wir sehr wenig Geld hatten, weil wir nicht so viel arbeiten wollten, haben wir natürlich geschaut, wie man an Lebensmittel kommt, die billig oder vielleicht sogar gratis sind.
02:13 Man hat natürlich immer viel gestohlen in den Läden. Man konnte hin und wieder einen Braten oder eine Flasche Wein oder Schnaps raustragen. Und eine andere Möglichkeit war, jagen zu gehen, wie man das früher gemacht hat.
02:32 In der 10er WG gab es nur einen, der beim Militär war und ein Gewehr daheim hatte. Irgendjemand ist mal auf die Idee gekommen, man könnte ja mal jagen. Enten und Schwäne gibt es ja auch dem Zürisee genug. Und dann sind wir eines nachts zum Hafen Enge runtergegangen und haben versucht, Enten und Schwäne zu schiessen.
03:01 Was nicht so einfach ist mit dem Sturmgewehr, normalerweise schiesst man solche Viecher mit Schrot, nicht mit Kugeln. Wir haben lang geschossen, ohne zu treffen. Als wir endlich einen Schwan getroffen haben, war er sehr weit draussen. D.h. jemand von uns musste ins Wasser.
03:27 Wir sind damit in unsere WG zurück. Der Schwan war erstaunlich schwer und wir sind heil angekommen, ohne dass uns jemand gesehen hätte, was sonst sicher Probleme gegeben hätte. Zuhause hatten wir eine sehr grosse Küche, weil es früher eine herrschaftliche Villa war.
03:47 Dort konnte man den Schwan problemlos aufschneiden, ausnehmen, den Hals ab, Beine ab… und das Rupfen von dem Viech… es hatte eine unglaubliche Menge Federn und es war alles voller Federn, Riesensauerei.
04:16 Endlich haben wir den Schwan nackt vor uns, haben ihn gewürzt und in den Ofen geschoben. Zum Glück hatten wir einen sehr grossen Ofen, in einen normalen Ofen hätte er nicht reingepasst. Wir haben ihn reingetan und mittlerweile hatten wir brutal Hunger.
04:34 Wir haben ihn eine Stunde im Ofen gelassen und haben versucht, ihn zu essen. War steinhart, konnte man nicht essen. Dann nochmal eine Stunde oder anderthalb, die ersten sind schon schlafen gegangen und waren nicht mehr interessiert daran, den Schwan zu essen.
04:49 Nach zwei oder drei Stunden dachten wir, der muss jetzt durch sein, haben probiert ihn zu essen. Ging nicht, war viel zu zäh.
05:01 Eine andere Methode der Verpflegung war, abends mit dem Auto herumzufahren auf der Suche nach einem Restaurant. Am Zürisee gab es Restaurants, die sich auf Fisch Spezialisten haben und die draussen ein Aquarium hatten, meistens mit Forellen, um zu zeigen, dass ihre Fische ganz frisch sind.
05:25 Dann waren wir so frei und haben uns an den Fischen bedient. War natürlich nicht nett, was wir gemacht haben. Meistens haben wir einen grossen Stein in die Scheibe vom Aquarium geschmissen und wenn die Fische rausgekommen sind, haben wir sie eingesammelt, in eine Bananenkiste getan und heimgebracht.
05:49 Erstaunlicherweise haben die meisten noch gelebt. Wir haben sie in die Badewanne getan und dort schwimmen lassen. Einen Teil haben wir immer gleich gegessen, aber meistens waren es viel zu viele.
06:06 Einmal hat am Morgen jemand plötzlich geschrien, es war eine von unseren Frauen, die da gewohnt hat und morgens duschen wollte und dann war die ganze Badewanne voller lebendiger Fische.
06:23 Dann ist jemand auf die Idee gekommen, dass es noch Fleischreserven gäbe, z.B. in den Gemeinschaftszentren. Da gibt es meistens Hasen. Manchmal sind wir nachts in die GZs und haben die Hasen befreit aus ihren schrecklichen Käfigen. Dafür haben wir sie dann gegessen.
06:47 Aber einmal war es besonders extrem: in einer oder zwei Nächten hintereinander haben wir Hasen geklaut und Truthähne und ein Schaf. Das Schaf, von dem man sagt – ich weiss es nicht genau – aber man sagt es war vermutlich das Schaf vom damaligen Bürgermeister, Stadtpräsident von Zürich.
07:18 Der hat auf einer Weide am Züriberg Schafe gehalten. Wir haben ein mittelgrosses Schaf – extra eins, das nicht allzu alt ist, nach unseren Erfahrungen mit dem Schwan, haben wir ein Schäfli genommen. Das war sehr einfach, und haben es hinten ins Auto getan.
07:42 Aber das Schaf war schon grösser als eine Ente oder ein Schwan und dann hat sich niemand getraut, das zu schlachten. Aber wir kannten einen, den man Metzger nannte. Ich weiss nicht, ob er wirklich Metzger war. Jedenfalls hatte er Ahnung vom Schlachten. Der hat dann in einem Aufwasch alle Viecher, die bei uns im Keller gelebt haben und mit der Zeit eine rechte Sauerei veranstaltet haben, geschlachtet.
08:20 Es waren ein oder zwei Enten, ein Truthahn, das weiss ich noch, der hat immer einen Saukrach gemacht. Und das Schaf. Und dann hat er in dem Kellerraum, das wir als Tierasyl bestimmt hatten nach der Schlachterei abgesehen von schön zerteiltem Fleisch eine grandiose Sauerei hinterlassen.
08:53 Alles voll Blut, Abfälle und seine blutigen Kleider hat er auch dagelassen, einfach über den Stuhl gehängt, der in der Mitte des Raums stand. Das war dann doch sehr eklig und niemand hatte Lust, das aufzuräumen.
09:17 Wir hatten mehrere Kellerräume in dem grossen Haus und konnten den gut verkommen lassen. Aber nach zwei Wochen wurde es so grusig in dem Raum und hat angefangen zu stinken… da wussten wir, wir müssen etwas machen.
09:40 Aber putzen war nicht angesagt. Die Eltern von einem von uns hatten ein Baugeschäft und dann hat er 200 Kilo Gips oder so organisiert, das angeschleppt und angerührt und dann haben wir gemeinsam den Gips in dem Raum verteilt. Wir haben alles mit einer vielleicht 20 Zentimeter dicken Gipsschicht überzogen – und zwar alles: den Boden, die Wände, die Decke und den Stuhl mit den Kleidern.
10:22 Das sah verrückt aus. Der Raum, schneeweiss, hatte keine Ecken mehr, alles war abgerundet von dem Gips. In der Mitte der Stuhl mit den Kleidern drauf, der auch übergipst worden ist. Das hat recht lange gehalten bis das Blut und der Abfall und die Schweinerei anfing, durchzudrücken und wieder zu stinken.
10:48 Der Gips hat graubraune Flecken bekommen, das sah nicht mehr so gut aus. Eine Weile lang, wenn wir ein Fest hatten oder Besuch, es den Leuten gezeigt – als hätte man eine Geisterbahn im Keller. Und mit der Zeit haben wir den Raum abgeschlossen und sind nicht mehr reingegangen. Ja, so war das.
11:19 Ein Kochtipp? Salat mögen die Leute ja nicht so gern, aber wenn man einen Salat möglichst bunt macht, dann haben sie ihn gern. Wenn man viele verschiedene Sachen reintut. Also z.B. nicht nur grüner Salat und Tomaten, was ein bisschen langweilig ist, vor allem im Sommer, sondern, wie ich das heute mache, mit Blumenkohl, der noch im Kühlschrank rumlag, ein paar grüne Oliven, die auch noch rumlagen – ziemlich scharf, merke ich gerade.
11:54 Paprika, rote, wegen der Farbe. Das war's für heute. Das ist eine Freude fürs Auge und die Leute essen es viel lieber als, wenn man einen langweiligen Salat macht. Jetzt können wir schon bald essen.
12:22 Aber du siehst, ich bin den Wohngemeinschaften immer ein bisschen verhaftet geblieben und das Atelier ist eine Art Wohngemeinschaft. Auch wenn wir heute natürlich keine herzigen Tiere mehr stehlen.
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