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Corona: Widersprüche & Fehlannahmen

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Für meine Schwester, die sich nicht hat impfen lassen Corona: Widersprüche & Fehlannahmen

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Gesellschaft

Man kann eine Krise beenden, indem man zur nächsten übergeht. Mag sein, dass ein Krieg interessanter ist, als ein Virus, dessen Letalitätsrate in Deutschland bei 0,81 Prozent liegt.

Haupteingangsseite des Kölner Hauptbahnhofs kurz vor der Corona Ausgangssperre, März 2020.
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Haupteingangsseite des Kölner Hauptbahnhofs kurz vor der Corona Ausgangssperre, März 2020. Foto: Uwe Meis (CC BY-SA 4.0 cropped)

Datum 4. Mai 2022
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Lesezeit4 min.
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Ich werde dennoch nicht vergessen, in was für Widersprüche man uns in jener Zeit einzuschliessen versuchte (all die hochherzigen Appelle: soziale Kontakte vermeiden, um „sozial“ zu sein, auf die Freiheit verzichten, um die Freiheit zu retten usw.) und sich mit dem „Präventionsparodox“ gegen jede Massnahmenkritik immunisierte. Rational lassen sich folgende Fehlannahmen im Zusammenhang mit der Pandemie rekonstruieren (wobei ich die krassesten einmal unkommentiert lasse, also dass NICHTS unternommen werden müsse, die Alten uns eh nur auf der Tasche lägen, wie Rechte oder „Neoviralisten“ zu Beginn der Pandemie tatsächlich meinten (1), und auf der anderen Seite ALLES getan werden müsse, um eine Infektion zu verhindern, wie die Befürworter der Zero-Covid-Strategie aus dem linken Spektrum (2)):

1.) dass die Impfung aus der ganzen Misere herausführe – die wohl folgenschwerste Fehlannahme, denn aus ihr leiteten sich weitere ab, nämlich,

1a) dass Impfen Fremdschutz, also ein „Akt der Solidarität“ sei, und folglich

1b) Ungeimpfte „Treiber der Pandemie“ (die Hoffnung darauf ist noch verzeihlich, man wusste zu Beginn einfach nicht, wie schnell der Impfschutz wegschmilzt; unverzeihlich aber ist der Umgang mit jenen, die sich gegen eine Impfung entschieden haben, ihre Ausgrenzung, ihre Dämonisierung; es ist in diesem Zusammenhang mehr als ein schlechter Witz, dass Ugo Mattei den Status als Ungeimpfter ganz bewusst als eine Form der sozialen Erfahrung begreift: „Ich habe mich nicht impfen lassen, um ein einziges Mal die Welt aus der Perspektive derer zu sehen, die aus sozialen Prozessen ausgeschlossen sind.“ Als weisser privilegierter bürgerlicher Mann könne er weder schwarz noch eine Frau werden, so der 61- Jährige. Die Erfahrung, die er als Nichtgeimpfter mache, sei insofern „ein grosses Geschenk.“ (3)).

2.) dass das Gesundheitssystem durch selbstverantwortliches Handeln zu entlasten sei (damit wird ein Aufgabenbereich, der zur staatlichen Verantwortung gehört, zu der des Bürgers verkehrt: „als müssten er durch Nicht-Erkrankung eine defizitäre Gesundheitspolitik vor ihrem Offenbarungseid schützen. Ebenso gut könnte man Führerscheinprüfung und Kfz-Zulassung verbieten, weil man eine Überfüllung der Strassen befürchtet oder dass es zu wenige Parkplätze gibt. Eine Gesundheitspolitik, die mit der flächendeckenden Schliessung von Krankenhäusern und Kliniken fortfährt, aber einen Mangel an Pflegekräften und Intensivbetten beschwört, um das Angstniveau zu schüren, zugleich aber schon im Sommer 2020 ca. 400.000 Kurzarbeiter im medizinischen Bereich verzeichnet und den durch ausgesetzte Behandlungen und Operationen defizitären Betrieb durch massive Subventionen vor der Insolvenz schützen muss, fällt dem Irrsinn seiner eigenen Massregelungen zum Opfer, für die kein Bürger in Haftung zu nehmen oder gar zum Verzicht auf seine Grundrechte zu zwingen ist.“ (4))

3.) dass Experten, in diesem Fall Virologen und Epidemiologen, den Politikern und Politikerinnen ihre Entscheidungen abnehmen sollten (diese Fehlannahme war sogar in vermeintlich gebildeten Kreisen anzutreffen, Stichwort: „Listen to the scientists“; dazu Michael Hirsch: „Natürlich muss die Politik die relevanten Daten und Prognosen von Virologen und Medizinern berücksichtigen. Aber die eigentlich schwierigen Entscheidungen der Stunde sind eben tragische politische Entscheidungen. Es ist ein gefährlicher Irrglaube, sie könnten ‚wissenschaftlich' legitimiert werden. Denn Wissenschaft ist, je mehr sie nicht nur die Natur, sondern das menschliche Zusammenleben betrifft, in ihrem Wesen kontrovers. Die letzten Entscheidungen sind hier nicht objektive Feststellungen über Tatsachen, sondern politische und philosophische Wertungen über die Art und Weise des menschlichen Zusammenlebens. Hier gibt es keine Werturteilsfreiheit, und das bedeutet: Das Maximale an Wissenschaftlichkeit ist die saubere Kennzeichnung des eigenen gesellschaftspolitischen und philosophischen Standorts.“ (5))

4.) dass Grundrechte an den Impfstatus gekoppelt sind (sie sind unveräusserlich; Grundrechte heissen Grundrechte, „weil sie grundsätzlich auch in gefährlichen Zeiten gelten sollten“ (6)).

5.) dass „die Politik“ vom Prinzen des Virus aus ihrem Dornröschenschlaf geweckt werden und ihre volle Gestaltungsmacht auf die Hinwendung der Welt zum Besseren verwenden würde.“ (7) Auch diese Hoffnung ist verzeihlich. Doch nach der Ausgangssperre werden wir nicht in einer neuen Welt erwachen, wie Houellebecq schreibt, „es wird dieselbe sein, nur ein bisschen schlechter.“ (8)

MAS

Fussnoten:

1. Thomas Assheuer, „Menschenopfer für den Kapitalismus“, in: Die Zeit (01.05.2020); Jean-Luc Nancy, „Neoviralismus“, in: ders.: Ein allzumenschliches Virus. Wien 2021, S. 43-46.

2. Alex Demirović, „Warum die Forderung nach einem harten Shutdown falsch ist. Zur Kritik des Aufrufs #ZeroCovid“, in: analyse & kritik. Zeitung für linke Debatte & Praxis (18.01.2021).

3. zit. n. Andrea Dernbach, „Giorgio Agamben tritt gegen Corona-Massnahmen auf“, in: Der Tagesspiegel (11.01.2022).

4. Rudolf Brandner, „Pathologie der Freiheit“, in: Compact Aktuell 2021, S. 31-62, hier: 58.

5. Michael Hirsch, „Das Elend der Expertokratie“, in: Textem. Texte und Rezensionen (14.04.2020); vgl. zu diesem Thema auch: „Was kann die Wissenschaft bei Pandemien leisten? Ein Essay, der Österreichischen Akademie der Wissenschaften vorgelegt am 22.12.2020 von Alexander Bogner“ https://www.oeaw.ac.at/fileadmin/NEWS/2021/PDF/Bogner_Alexander_de_PF_2020-26_final-CD-1.pdf

6. „Nicht die Beschränkung ist der Normalzustand“. Heribert Prantl im Gespräch mit Tobias Armbrüster, in: Deutschlandfunk (10.02.2021)

7. Henning Trüper: Seuchenjahr. Berlin 2021, S. 21.

8. Michel Houellebecq: Ein bisschen schlechter. Neue Interventionen. Köln 2020, S. 184.