Davos auf dem Meer Kapitalismus und Klima

Gesellschaft

Ich nehme an, dass es diesen Vorschlag, diese spinnerte Idee auch schon gibt: dass die sogenannte Weltelite, die sich traditionell in Davos trifft, beim nächsten Mal ein Kreuzfahrtschiff mietet, und ihre Klassenfahrt über die Meere kann beginnen. Wie lange? Egal.

Die Schweizer Bundesrätin Simonetta Sommaruga mit Donald Trump am WEF in Davos 2020.
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Die Schweizer Bundesrätin Simonetta Sommaruga mit Donald Trump am WEF in Davos 2020. Foto: The White House (PD)

3. Februar 2020
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Ich würde sie nicht vermissen. Oder sagen wir, mindestens solange wie Greta Thunberg auf dem Segelschiff „Malicia“ von Plymouth nach New York brauchte; zwei Wochen, glaube ich, war die Schwedin unterwegs. 3.000 Teilnehmer wie im schweizerischen Bergdorf in diesem Jahr – dafür gibt es Schiffe, wenn nicht, bauen wir eines.

Ein gewisses Problem brächte die Unterbringung mit sich. Nicht für jeden Passagier und Bedeutungsträger gäbe es eine Kabine. Doppel-, gar Viererbelegungen liessen sich nicht vermeiden. Es bedarf einer ausgeklügelten Paarungs-Logistik. Trump und Merkel sollten nicht nur nicht in einer Kabine hausen, sondern auf verschiedenen Decks. Aber wer weiss. So viel Phantasie habe ich nicht; möglicherweise und plötzlich entstehen Freundschaften, die undenkbar scheinen. Aber diesen ganz, ganz, ganz Grossen stünde natürlich eine Suite zur Verfügung; mit Aussenbalkon und Blick auf das weithin schwabbelnde Wasser. Macron und Putin – könnte ich mir als zeitweilige WG vorstellen; aber die beiden selber vermutlich nicht. Aber wer weiss.

Ansonsten stelle ich mir dieses mit Politikern, Wirtschaftsbossen, Hochideologen u. ä. beladene Boot als eine mobile Insel vor, auf der sich niemand gänzlich auf Dauer aus dem Weg gehen kann. (Können sie in den Alpen auch nicht und schaffen es doch, einander nicht zu begegnen.) Während der zwei, drei oder vier Wochen der Kreuzfahrt, müssten sie sich, ich wette, treffen. Das wäre also kein Problem.

Eher ein Problem könnte die Langeweile werden. Meine längste Schifffahrt war eine unglaublich schöne Fährfahrt nach Island, die aber, obwohl sie nur zwei Tage dauerte, sehr bald Phasen, nun ja, der Langeweile hatte. Eine Seefahrt ist durchaus nicht nur lustig. Sollte sie im Falle des erträumten Weltforum-Kreuzfahrers auch nicht sein. Da gibt's schliesslich Wichtiges zu bekakeln.

Im Übrigen dürfte auch auf dem Schiff passieren, was in Davos geschieht: „Andererseits trifft man für vier Tage (wie erst für vierzehn Tage – d. A.) immer dieselben Leute, und die Stimmung wir immer lockerer, weshalb sich die Sache nach einer Weile wie ein Klassentreffen der Weltelite (? – d. A.) anfühlt. Und so endet es dann auch: Am vierten Tag sind die Räume kaum noch gefüllt, die Disziplin hat nachgelassen, allen Kosten zum Trotz.“ (Welt am Sonntag, 26. Januar 2020) Das meine ich:

Die Disziplin lässt nach, die Bordwäscherei kommt nicht hinterher mit dem Waschen und Bügeln, die gemeinsam verbrachten Abendstunden werden länger und länger. In der Küche wird gebraten, gesotten, gebacken, dass die Köche/Köchinnen reihenweise umfallen und reanimiert werden müssen. Und es wird immer entspannter. Draussen das Meer, der Himmel, die Sterne und die sicheren Konten auf den Festländern. Für die Bühnen auf dem Schiff werden Good-Will-Entertainer eingeflogen, Geld spielt sowieso keine Rolle, Geld gibt's in Hülle und Fülle.

Es kommt zu verblüffenden, erhellenden Begegnungen in den schmalen Gängen und bei den kollektiven Brunches und Lunches und Abend-Banketten, die zunehmend ungeplanter, reizvoller, vielleicht auch abstossender werden; es wird ehrlicher. Flirts, Plänkeleien, tiefer Gedankenaustausch off the record. Das Sicherheitspersonal, ebenso wie die Sekretärinnen, Sekretäre, Beraterinnen, Berater, ist auf ein Minimum reduziert. Das Schiff kann meinetwegen von einer Flottille auf und über dem Wasser begleitet werden, zur Sicherheit; auf dem Schiff selber hält sich die Schar der Betreuer und Bewacher in Grenzen. (Ist ja dann doch nicht ein Giga-Monster-Riesen-Teil, dieser Dampfer. Ein wenig Augenmass muss schon sein.)

Und dann, dann, so stelle ich mir das vor, müssten sie, die Elitären dieses Planeten, mal ehrlich miteinander auskegeln, wie sie das meinen mit dem Kapitalismus und dem Klima. (Wenn wir Abermillionen Normalos schon unbedingt glauben wollen, es könnten die 3.000 Flitzpiepen richten, was wir irgendwie zeitlich, finanziell, organisatorisch halt nicht hinkriegen.) Vielleicht bin ich zu misstrauisch, gewiss bin ich das. Aber wenn die Journalisten/Journalistinnen losjauchzen, dass Larry Fink und Joe Kaeser mehr Nachhaltigkeit in der Warenproduktion fordern, wenn mehr Ökologie angesagt wird und etwa Konzernen nur noch Kapital geliehen wird, wenn sie auf grünen Füssen über die Meere und Kontinente wandeln -, dann, Nachtigall, hör ick dir trapsen. (Weil ich ein bisschen schwerhörig bin, irre ich mich möglicherweise.)

Der Kapitalismus ist ein Opportunist. Er passt sich an, er schmiegt sich an, er erfindet, was er für seine Existenz braucht. Darauf gründet sich der Glaube, er wird auch die Zukunft richten, meistern, den Planeten letztlich retten. Und über dem Glauben schwebt der Heilige Geist der Warenproduktion und lispelt scheinbar luzid: Wenn wir mit der Zerstörung der Welt Geld machen können, dann können wir auch Geld machen mit der Erhaltung der Welt. Und wenn wir das lange genug behaupten und die Meinungs-Vervielfältiger aller Nationen reiben es euch unter – dann wird genau das geschehen, was wir nicht sagen: Ihr könnt uns mal!

Soweit erstmal. Ich höre das kraftvolle Tröten der Kreuzschiff-Sirene. Ich lausche dem Klirren des Bestecks und des Geschirrs beim Kapitäns-Dinner. Ich versuche, die Blicke, die zwischen den Elitären der Welt hin und her fliegen wie Fledermäuse in der Nacht, zu deuten. Und ich halte inne und frage mich, was die Finks und Kaesers und all die Edel-Gäste meinen? Konkret meinen, meine ich. Politikern höre ich in diesem Zusammenhang nicht zu. Ich will hören, wie die Wölfe im Schafspelz auf der Kreide rumkauen. Ihre ureigenste Aufgabe ist es doch, in kürzester Zeit genug Kohle ranzubaggern, um die Gier ihrer Aktionäre und sonstigen Teilhaber zu befriedigen? Wüsten aufzuforsten dauert aber; erstmal muss der (Regen)wald weg. Dann sind die Grundstückpreise bzw. – eigentümer nicht ganz klar; und wenn dann noch Öl oder Gas unterm Sand gluckert …

Es gehört doch zu ihrem Einmaleins, dass das Kapital „einen Horror vor Abwesenheit des Profits“ hat? Städte zu bauen, die wie riesige Roboter funktionieren und in denen die Menschen wie Blutkörperchen kreisen – dauert und verschlingt Erze, seltene Erden, die Erde. Erstmal muss jedem Menschen die vierte, fünfte Generation eines Smartphones untergejubelt werden.

Steht nicht im Funktionsplan eines jeden Managers, dass er seine gesamte Vitalität und Geisteskraft innovativ einsetzt, um das Unternehmen, die Firma, die Bude mindestens zu jener Börsen- oder Rendite-Reife zu bringen, die dem Aktionär, dem „Volks-Mitinhaber“ eine angenehme Ausschütte bringt? Erstmal muss das geklärt sein, ehe wir alle „grün“ werden wie ein Frosch im warmen Schilf.

Das Dingens mit der Sonnen- und Windenergie und mit den CO2-Widerständen und andererseits das Dingens mit dem Fracking-Gas und den Pipelines durch die Ostsee und der chinesischen Seidenstrasse -, und profitabel ist das alles entweder oder profitabel ist es nicht -, „20 Prozent, es wird lebhaft“. Wer spricht da?

„50 Prozent, positiv waghalsig“ – jetzt höre ich es genau. Es gehört zum Gewisper und Geplauder auf dem Davos-Schiff. Eben gleitet es über Atlantis hinweg. Und über all die untergegangenen Schiffen, die es nicht zum Recyceln an einen Strand von Bangladesch geschafft haben; Recyceln, auch so eine nachhaltige Idee, wenn sie die Massen ergreift und materiell wird. Bis dahin gibt es genügend Menschen, die durch Öl-Schlamm waten, von Stahl-Platten erschlagen werden und sich an den Kanten der Reste - etwa eines Kreuzfahrtschiffs – blutig schneiden. (Ich buhle hier nicht links-sentimental um Mitleid; ich versuche, auf den Grund des Meeres von Kapitalismus und Klima zu kommen.)

„Klimapolitik wird zum Wirtschaftsfaktor“ – lese ich. Den Satz lese ich mir immer wieder vor, und ich verstehe ihn nicht. Kapitalismus und Klima sind „nicht per se Gegensätze“ – lese ich. Doch, denke ich, aber auch das verstehe ich nicht wirklich. Weder die Behauptung noch meinen Trotz. „300 Prozent, und es existiert kein Verbrechen, das es (das Kapital – d. A.) nicht riskiert“ – das verstehe ich. Dagegen gehalten: Könnte es sein, die Welt aus einer „Greenwashing“-Perspektive gesehen, 400 Prozent, und es existiert keine Wohltat, die es nicht riskiert, 500 Prozent, und das Kapital legt sich als Mutti-Hand über das fiebrige Gesicht der Welt, und es flüstert: Heile, heile Segen! Fink verspricht es, Kaeser verspricht es, vielleicht steigt demnächst der liebe Gott hernieder und sagt: Endlich habt ihr's kapiert, ihr Hirnis!

Schon klar: Den Kapitalismus kritisiert mittlerweile jeder, der nicht auf den Kopf gefallen oder mit dem Konto gepudert ist; juckt's ihn? Es juckt ihn, wie es den Elefanten juckt, wenn ihm ein Erdmännchen gegens Bein pinkelt. Bemerkenswert finde ich es dennoch. Noch bemerkenswerter finde ich, wie er, der Kapitalismus, zwar geächtet, angefeindet, gelehrig zur Strecke gebracht wird. Plötzlich ist er doch der Kumpel, von dem geraunt wird, er könne das Klima auf der Erde, mithin den Planeten, retten. Und das kann er, weil es die Kapitalisten und ihre Apologeten behaupten. Wie der Löwe brüllt, er mag kein Fleisch, und weil es weithin hallt und die Vorstellung, er würde sie nicht mehr fressen, allen Tieren gefällt -, klatschen sie Beifall und staunen ihn begeistert an. (War schon immer so? Seit es ihn gibt?)

Ich glaube durchaus, dass sich die Warenproduktion ändert (sie ist darauf trainiert), wenn ein Geldgeber wie BlackRock verlauten lässt, das Geld flösse fürderhin nur noch in Unternehmen, die ökologisch, nachhaltig, klimafreundlich arbeiten und ökologisch, nachhaltige, klimafreundliche Waren herstellen und sie auf dem Weg zum Produkt ihren Charakter nicht verlieren. Sie werden also nicht zu aufgemotzten Verkaufsangeboten, die einen manipulierten Käufer zum Kauf reizen. Weil die Ware plötzlich einen verführerischen Glanz bekommen hat, den ihr Status, Mode, Zeitgeistigkeit, Werbung verleihen, sondern nur dazu hergestellt wurde, wozu sie gebraucht wird. Das glaube ich, wenn ich den Beweis erhalte. Nachhaltig werde ich das glauben und vor dem Kapitalismus meinen Hut ziehen.

Und dann der Eisberg, nee, ein Eisberg, von der Wärme losgetreten bei Grönland, so wie der damals, der der „Titanic“ den Spass versaute, nun, da war es nicht die Wärme, da war es der normale Vorgang, dass ein Eisberg sich loseist und bis zum Äquator schwimmen kann. Und wer weiss schon, wo dieser Traum-Kahn mit der inzwischen romantisierenden Weltelite sich gerade befindet. Und sollten sie Passagiere ihre Langeweile vertreiben wollen, empfehle ich ihnen das „Schiffe versenken“.

Eckhard Mieder