Abseits vom Medienhype Warum wir im Jahr 2020 noch viel mehr Gretas brauchen werden

Gesellschaft

2019 wurde die ökologische Krise zu einem politischen Hauptthema. Anhand keiner anderen Person kann man diese Transformation besser reflektieren als an Greta Thunberg.

Greta Thunberg vor dem schwedischen Parlamant, April 2019.
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Greta Thunberg vor dem schwedischen Parlamant, April 2019. Foto: Frankie Fouganthin (CC BY-SA 4.0 cropped)

23. Dezember 2019
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Freilich hat die ökologische Bewegung eine weitaus ältere Geschichte und vielfarbigere Gesichter als das der bloss 16-jährigen Schwedin. Doch nicht umsonst spricht man in Medien vom “Greta Thunberg Effekt“: plötzlich hatte die Medien- und Politikwelt ein gut kommunizierbares Gesicht für ein Problem, von dem man schon lange wusste, dass es das gravierendste der planetaren Gegenwart ist, welches man aufgrund seiner Komplexität allerdings kaum zum Objekt eines politischen Begehrens machen konnte. Greta Thunberg und die sich um sie formierenden jungen Ökologiebewegungen änderten dies mit einem mal und es scheint heute so, als könne das dritte Jahrzehnt des dritten Jahrtausends ein politisch Grünes werden.

Dies war noch vor wenigen Jahren undenkbar. Eine düstere politischen Grundstimmung, als Grosse Regression (so der Titel eines in 14 Sprachen übersetzten, internationalen Diskussionsbandes) bezeichnet, prägte die unmittelbare Vergangenheit. Rechte Demagogen schürten allerorts mit erschreckender Effizienz Hass, Angst und Abschottungsphantasien und lenkten damit von den eigentlichen Problemen unserer Gegenwart ab.

Heute zeigt sich in diversen Skandalen (Postenschacher, Korruption, Erpressung, individuelle Bereicherung, Unterwanderung der Medienfreiheit und anderer Grundwerte unserer Demokratien) das wahre Gesicht dieser Volksverhetzer, ob sie nun Trump, Netanjahu oder Strache heissen. Unsere politische Debatten drehen sich nun auch endlich im Mainstream vermehrt um die ökologische Katastrophe, in der wir uns schon länger befinden.

Man kann bemängeln, dass der „Greta Thunberg Effekt“ abseits von Medienhypes und noch relativ inhaltslosen politischen Absichtserklärungen bislang wenig Konsequenzen zeitigte: am Pro-Kopf-CO2-Ausstoss in westlichen Industrieländern hat sich bespielsweise noch wenig geändert, genauso wenig an Lichtverschmutzung, Bodenversiegelung oder globaler Abholzung, um nur ein paar Facetten unseres gigantischen Problemkomplexes zu nennen.

Doch sind solche richtigen und wichtigen Feststellungen kein Grund für eine Disqualifikation dieser jungen Bewegungen und ihrer ikonischen Repräsentantin. Ihr Hauptverdienst besteht wie gesagt darin, unsere Mainstreamdiskurse ersteinmal auf die Fülle des Problems aufmerksam zu machen. Wir reden in den Mehrheitsdebatten erst über die richtigen Probleme, seit es den „Greta Thunberg Effekt“ gibt. Da es sich hierbei um gigantische, zivilisatorische Herausforderungen handelt, wäre es verwunderlich, wenn man sie innerhalb der kurzen Dauer eines Jahres bereits gelöst hätte.

Tatsächlich sollte man sich vorsehen vor jenen Politiker*innen, die behaupten, mit schnellen und einfachen Lösungen, die nichts an den Grundwerten unserer Kulturen ändern (Elektroauto, Wasserstofftechnologie oder „Grüner Kapitalismus“), könne man dieser planetare Klimawende zukunftsfähig entgegentreten. Nichts anderes als eine radikale Transformation unserer Lebensweisen, Verkehrs- und Energiepolitiken sowie inner-menschlichen und ausser-menschlichen Beziehungen kann uns eine Chance auf ein würdiges Weiterleben auf diesem verwüsteten Planeten ermöglichen – und Greta Thunberg wird nicht müde, dies zu wiederholen.

Es begann damit, dass sich die damals 15-Jährige im August 2018 anstelle in die Schule vor das schwedische Parlament setzte und mit einem kleinen, selbstgemalten Protestschild die Untätigkeit der Politik gegenüber der Klimakatastrophe monierte. Schnell wurde aus dieser solitären Aktion eine weltumspannende Bewegung: mit beinahe ausserweltlicher Klarheit (ihr Asperger wurde bald Thema) sprach sie zuerst vor – dann auch bald in – den Parlamenten und setzte die Weltöffentlichkeit in ihren Bann. Die von ihr inspirierte Bewegung Fridays for Future verbreitete sich wie ein Lauffeuer und mobilisierte in bisher unbekannter Weise ein ganz junges Segment für das Eintreten ihrer Zukunft, die ihnen – so einer der populärsten Demosprüche – von den Älteren und Etablierten „geklaut“ wird.

Die Reaktion von ebenjenen Etablierten und den rechten Demagogen liess nicht lange auf sich warten: man warf Greta Thunberg vor, eine blosse „Marionette“ zu sein, ein Produkt von diffusen „ökologischen Eliten“, die die Medienperson Greta Thunberg erschaffen haben, um ihre Interessen durchzubringen. Vorwürfe dieser Art hatten etwas Bizarres an sich, kamen sie doch meistens aus der Ecke von Verehrern von Figuren wie Trump, Kurz oder Strache, von denen wohl noch niemand angenommen hat, dass sie ohne gigantischen Medienaparat und Inszenierungsmaschinen im Hintergrund funktionieren würden.

Natürlich hat sich um das ehemals einsame Schulkind Greta Thunberg mittlerweile ein Team aus Medienexpert*innen und Interessensvertreter*innen etc. formiert – unter den Bedingungen gegenwärtiger Weltöffentlichkeit wäre es nicht anders möglich, eine politische Botschaft mit derartiger Breitenwirkung zu verlautbaren. Greta Thunberg ist heute auch eine inszenierte Person, ein durch Massenmedien verbreiteter Begriff für die anhaltende Klimakrise, wie sollte es anders sein.

Doch ist es beinahe gespenstisch, wie souverän diese junge Frau an allen grossen Vereinnahmungen vorbei steuert. Sie lehnt – nach ihrer eigenen Einschätzung „unnütze“ Preise, wie den Umweltpreis des Nordischen Rates“ und Treffen, wie mit Trump – ab und ist schlau genug, auf denunziatorische Kritik und Hass erst gar nicht zu reagieren.

Anstatt die Inszenierung hinter dem „Greta Thunberg Effekt“ mit verlogenen Authentizitätsansprüchen zu kritisieren, sollten wir uns – am Beginn eines neuen Jahrzehnts – produktiv ansehen, was wir aus dieser grossartigen und ökopolitisch lebensrettenden, effektiven Inszenierung lernen können. Denn die Transformation hat erst begonnen, und wir können uns auf keine einzelne Person verlassen.

Das nächste Jahrzehnt muss einen entscheidenden Wertewandel beinhalten und wir brauchen möglichst viele Gretas, die bereit sind, mit den Konventionen des modernen, CO2-intensiven Lebensstils zu brechen und sich mit dem eigenen Körper und kompromissloser Konsequenz das bessere Überleben für alle einfordern.

Kilian Jörg
berlinergazette.de

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