Brot und Spiele oder „Auf Kosten der anderen“ Neymar-Transfer: 222 Millionen Euro gegen die Demokratie

Gesellschaft

Der brasilianische Fussballspieler Neymar wechselt für 222 Millionen Euro von Barcelona nach Paris. Ein Deal, der unsere „demokratische Ordnung“ gefährdet?

Der brasilianische Fussballer Neymar im Juli 2015.
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Der brasilianische Fussballer Neymar im Juli 2015. Foto: Renan Katayama (CC BY-SA 2.0 filtered - cropped)

14. August 2017
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Viele Fussballfans regen sich über solche Transfersummen auf. Viele haben aber auch schon resigniert und schütteln nur noch den Kopf. Der „Fussballphilosoph“ Christian Streich – im Nebenberuf Trainer des SC Freiburg – stellte fest, der Gott des Geldes verschlinge alles. Er mache sich Sorgen und frage sich, was Leute denken, die nichts haben. Ob bei denen Frustration eintritt und ob solche Summen nicht unsere „demokratische Ordnung“ gefährden (hier im Video).

Auf den ersten Blick könnte man meinen, da redet jemand, der zu viele Kopfbälle gemacht hat. Warum sollten die Millionen-Ablösesummen und -gehälter – der Neymar-Deal summiert sich in 5 Jahren auf 600 Millionen Euro (Ablöse, Steuern, Handgeld und Gehalt) – unsere demokratische Ordnung gefährden? Aber es sind ja nicht nur Fussballer, die mittlerweile unvorstellbare Summen kosten und verdienen. Warum sollten Automanager, deren Unternehmen über Jahre ihre Kunden mit falschen Angaben zu Abgaswerten getäuscht haben und die deutschen Innenstädte mit Feinstaub und Stickoxiden belastet haben, Millionensummen verdienen? Warum verdienen Hedgefondsmanager teilweise Milliardengehälter?

Brot und Spiele oder „Auf Kosten der anderen“

Diese Summen könnten eines Tages wirklich die demokratische Ordnung gefährden. Denn die Medaille der Millionengehälter hat ja auch eine Kehrseite: Wir leben auf Kosten der anderen. Diese Erkenntnis zerrt der Neymar-Deal mal wieder in den Fokus der Öffentlichkeit.

Das römische Prinzip des Brot und Spiele kommt in den Sinn. Für ihre Spiele, die Fussball-WM 2022 in Katar, sind den Scheichs keine Ausgaben zu gross. Vor einigen Jahren wurde der Pariser Fussballclub Paris Saint Germain gekauft. Und die jetzige Verpflichtung von Neymar ist nicht der erste Millionentransfer. Seit 2011 werden jährlich mehr als 100 Millionen Euro in neue Spieler investiert. Und die WM 2022 kostet noch mal zwischen 7,5 bis 9,4 Milliarden Euro.

Während für den schönen Schein Milliardensummen locker gemacht werden können, baut er aber auf dem Leid der anderen, der Unsichtbaren, weniger Glanzvollen auf. Denn in Katar schuften hunderttausende Wanderarbeiter auf den WM-Baustellen. Sie leben in Arbeitscamps fernab des Reichtums. Nach Angaben der katarischen Regierung(!) sind schon 1.800 dieser Arbeiter auf den WM-Baustellen ums Leben gekommen. Für die Arbeiter haben die Kataris kein Brot, sondern nur noch Krümel übrig. Doch mit dem Finger nur nach Katar und auf Neymar zu zeigen, wäre falsch. Denn auch unser westlicher Lebensstil basiert auf dem Leid und den Kosten der anderen. Nicht nur, weil wir uns alle die WM 2022 anschauen werden und Berichte über die Menschenrechtsverletzungen auf den WM-Baustellen die grosse Fussballshow nur für ein paar Minuten unterbrechen werden. Nein, wir leben ganz direkt auf den Kosten der anderen.

Unsere Smartphones, Computer und auch unsere Elektroautos funktionieren nur mit Rohstoffen aus Ländern wie der DR Kongo. Rohstoffe, die dort unter Missachtung jeglicher Menschenrechte abgebaut werden. Rohstoffe, für die tausende Kinder in engen Minen schuften und Rohstoffe, mit denen Kriege und Konflikte finanziert werden. Wir leben auf Kosten der anderen, wenn wir T-Shirts und Hosen aus Bangladesch und Indien kaufen. Und nicht zuletzt durch den Klimawandel leben wir auf Kosten anderer: denn 80% der Emissionen wurden von den reichsten 20% der Weltbevölkerung verursacht, während die Kosten zu 80% von den ärmsten Staaten zu tragen sind.

Ungleichheit wächst auch im globalen Norden

Doch die Ungleichheit wächst auch im globalen Norden. Der Anteil der Löhne am BIP ist zwischen 1980 und 2010 in den USA von 66 Prozent auf 60 Prozent und in Deutschland von 72 Prozent auf 66 Prozent gesunken. Der Anteil der Gewinne und die Einkommen aus Kapitalerträgen sind also weitaus schneller gewachsen als die Löhne. In Deutschland arbeiten mittlerweile ein Drittel der Menschen für Löhne, die nicht mehr zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts reichen. Oder um es in Vontobels Worten zu sagen:

«Immer mehr Leute tragen heute zum gemeinsamen BIP bei, ohne auch nur einen angemessenen Teil der Beute einfordern zu können.»

In gewisser Weise gibt es also auch in Deutschland einerseits immer mehr Neymars – Menschen, die selbst bei einem luxuriösesten Lebensstil mehrfach für ihr Leben ausgesorgt haben – und immer mehr Abgehängte, die kaum noch die Mittel haben, um am gesellschaftlichen Leben teilnehmen zu können. Wie ich vor einigen Wochen schrieb, ist es deswegen auch nicht diVerantwortung der Abgehängten, die Welt ein bisschen gerechter und fairer zu „shoppen“. Vielmehr geht es darum, alle Menschen wieder am Reichtum und am Produktivitätsfortschritt teilhaben zu lassen.

Solange Parteien wie die SPD das nicht begreifen und lautstark fordern, solange bleiben sie nur Juniorpartner in einer grossen Koalition des Stillstands und „Weiter-So“. Und damit nicht genug: Streichs Warnung vor einem Aufstand der Abgehängten, Streichs mahnende Worte, dass unsere demokratische Ordnung gefährdet sein könnte, manifestieren sich im Aufstieg rechtsextremer und rechtspopulistischer Parteien überall in Europa. Die Zeit zum Umlenken und Umdenken drängt.

Nico Beckert
zebralogs.wordpress.com