Die Zeitschrift 25 Karat giesst Gesellschaftskritik in Gold «Es muss nicht unbedingt kompliziert sein»

Gesellschaft

Vor Kurzem erschien in Zürich eine Zeitschrift die erstmal so gar nicht in die gängigen Schubladen linksradikaler Publikationen passen will. 25 Karat kommt weitgehend ohne Politjargon und übliche Symbolik daher. Stattdessen bedient es sich ungeniert der Ästhetik von Luxus und Konsum.

Die Zeitschrift 25 Karat giesst Gesellschaftskritik in Gold.
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Die Zeitschrift 25 Karat giesst Gesellschaftskritik in Gold. Foto: nasa (PD)

25. Oktober 2017
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«Goldene Schuhe?!» dürften sich viele gedacht haben, als sie zum ersten Mal ein Exemplar der 25 Karat in den Händen hielten. In der Tat ist das Heft nicht auf Anhieb als linksradikale Publikation zu erkennen. Ihre Gestalter*innen haben ganze Arbeit geleistet und dafür gesorgt, dass es optisch an ein Lifestyle- oder Kulturmagazin erinnert, ohne jedoch wie eine schlechte Kopie davon zu wirken. Und trotzdem wird schnell genug klar, dass es hier um mehr geht, als nur gutes Aussehen. Schon die ersten Sätze sind eine entschiedene Absage an die vorherrschende Meinung, dass doch alles gut sei, wie es ist. Oder es zumindest nicht besser ginge – wegen der Natur des Menschen und die Geschichte hat's gezeigt und so.

Radikal und verständlich

Diese Absicht zieht sich durch das gesamte Heft. Aber natürlich ist 25 Karat nicht so naiv, die «Alles-ist-gut»-Verfechter*innen direkt ansprechen zu wollen. «Wir wollen uns mit 25 Karat an Leute richten, die grundsätzlich offen sind für Gesellschaftskritik, aber nicht viel anfangen können mit dem Politjargon. Unserer Meinung nach muss radikale Gesellschaftskritik nicht notwendigerweise kompliziert geschrieben sein», meint Sarah vom Redaktionskollektiv. Tatsächlich fällt auf, dass in den Artikeln die übliche linksradikale Begrifflichkeit vermieden wird. Stattdessen werden den Leser*innen mit Beispielen und Umschreibungen grundlegende Konzepte und Kritik nähergebracht. Das gelingt 25 Karat sehr gut, auch wenn man da und dort einem Artikel durchaus anmerkt, dass sich die Autor*in wohl schwergetan hat, auf das eingeschliffene Vokabular zu verzichten. Offensichtlich stand an erster Stelle die inhaltliche Kritik, an der man trotz der Bemühungen um einfache Sprache keine Abstriche machen wollte. So sind die Texte nie platt. Es werden durchdachte Argumente formuliert, mit denen man nicht nur dem reaktionären Onkel bei der Familienfeier widersprechen, sondern auch eine umfassende Gesellschaftskritik üben kann.

25 Karat führt vor, dass die Radikalität einer Gesellschaftskritik nicht in einem möglichst radikalen Jargon liegt, in den auch mal moralische oder reformistische Argumente und Forderungen gepackt werden können. So sucht man hier vergeblich nach den bösen Herrschenden, die man einfach austauschen müsste und die Probleme wären beseitigt. Auch die Frage danach, weshalb so viele Menschen diese Gesellschaft verteidigen, obwohl sie darin eigentlich nichts zu gewinnen haben, wird nicht einfach mit Verweis auf Manipulation durch die Medien oder Repression durch den Staat beantwortet. Stattdessen wagt sich 25 Karat daran, die Komplexität der Internalisierung von Zwängen zu entschlüsseln und aufzuzeigen. Gesellschaftskritik muss nicht notwendigerweise kompliziert geschrieben sein, kompliziert bleibt sie zuweilen dennoch und das sollte nicht verschwiegen werden.

Offen für Beteiligung und Debatte

Ein Highlight ist ein wütender Text über Sexismus. Er verzichtet auf die Erwähnung des Gender-Pay-Gap oder «noch immer sind Frauen in vielen gesellschaftlichen Bereichen benachteiligt»-Rhetorik und reiht stattdessen Erfahrungen und Geschichten aneinander. Sexismus ist so nicht ein abstrakter Begriff über den sich streiten lässt, sondern die konkrete Alltagserfahrung vom breitbeinigen Sitznachbar im Zug bis hin zum sexuellen Übergriff und dessen Bagatellisierung durch das eigene Umfeld. Man würde sich durchaus mehr solche Texte wünschen, die aus einer Perspektive der Betroffenheit argumentieren. Sie sind nicht weniger aufschlussreich als diejenigen mit einem analytischen Zugang und bereichern die Diskussion.

Diese stilistische Vielfalt der Artikel ist kein Zufall, sondern Teil des Programms. Denn 25 Karat versteht sich nicht als Bildungsprojekt, bei dem primär Wissen vermittelt wird. Vielmehr laden die Macher*innen Interessierte dazu ein, sich zu beteiligen und mitzuschreiben, unabhängig von ihren Vorkenntnissen, wie Sarah erklärt: «Das Projekt war von Anfang an offen für Beteiligung. Mehrere Texte sind von Leuten geschrieben, die das vorher noch nie gemacht haben. Das soll auch so bleiben. Mit 25 Karat wollen wir auch eine Plattform bieten für Leute, die Texte schreiben und diskutieren wollen. Dadurch wollen wir das Gespräch und die Debatte fördern und mehr Menschen zugänglich machen. Wir halten das für wichtig und zu wenig verbreitet, gerade in der Schweiz.» Dieser Anspruch geht über die Produktion der Texte hinaus. So findet man die Zeitschrift nicht nur in den Szeneläden, sondern mit etwas Glück auch beim Dönerimbiss oder der Friseur*in um die Ecke. «Unsere Absicht ist es, die Zeitschrift möglichst breit zu streuen», erklärt Mario von der Redaktion, «darum haben wir auch eine relativ hohe Auflage von 3'000 Stück produziert.»

Wo gehts hier zur befreiten Gesellschaft?

Die Grundaussage der ersten Ausgabe von 25 Karat ist so klar wie richtig: Es ist eine radikale Umwälzung der Verhältnisse notwendig, um das gute Leben für alle zu realisieren. Und diese Umwälzung ist möglich. Aber wie? Was können wir tun (ausser Kritik zu üben)? In welche Richtung sollen wir diskutieren und weiterdenken? Genau an diesem Punkt lassen die Texte eine grosse Lücke. Es soll hier gewiss nicht gefordert werden, an jede Analyse noch einen Organisierungsaufruf (am besten für den eigenen Verein) dranzuhängen, wie das bei linksradikalen Publikationen oft üblich ist. Im Gegenteil soll die Diskrepanz zwischen dem Anspruch, die ganze Gesellschaft zu verändern und der eigenen Marginalität in ebenjener Gesellschaft durchaus bewusst gemacht werden, statt sie mit allerlei Parolen zu übertünchen. Doch dazu müsste 25 Karat überhaupt mal klarmachen, wo es sich selbst verortet und auf welche gesellschaftlichen Kräfte es sich denn bezieht. Es knarrt und knallt auf der Welt an allen Ecken und Enden und gewiss ist das meiste davon nicht gerade der Vorschein der befreiten Gesellschaft. Gerade deshalb müsste umrissen werden, welche Praxis sich denn als Ausgangspunkt für die umfassende Umwälzung anbieten würde.

Es gibt nicht nur das von 25 Karat beschriebene beharrliche Verehren dieser Gesellschaft, sondern auch den lebendige Widerspruch. Es gibt nicht nur den Onkel, der Scheisse labert, sondern auch die Tante, die als Arbeitsmigrantin ins Land gekommen ist und in feministischen Kämpfen aktiv war. Mit ihr zu diskutieren wäre bestimmt interessant und lehrreich. Warum nicht darüber einen Artikel schreiben? Oder da wird anhand von Apple nachgewiesen, dass der «Kauf von teureren Produkten nicht automatisch dafür sorgt, dass ArbeiterInnen besser entlöhnt werden» und deshalb «nichts Anderes übrig [bleibt], als dieses beschissene System aus den Angeln zu heben.» Wenn wir aber schon bei Apple und seinen Produktionsstandorten in China sind, warum in der nächsten Ausgabe nicht auf die Arbeitskämpfe in ebenjenen Fabriken verweisen? Hier wird doch dem beschissenen System weitaus mehr entgegensetzt als nur die zurecht kritisierten «moralischen Appelle» der Konsumkritiker*innen. In einer Region notabene, in der es weder unabhängige Gewerkschaften noch ein Streikrecht gibt.

Keine Angst vorm Kommunismus

Schon klar, dies alles zu berücksichtigen, würde aus dem leichten Heftchen ein schweres Buch machen und damit obsolet. Und es ist bestimmt nicht verkehrt, gerade hierzulande erstmal mit Kritik und Debatte anzufangen. Dabei auf Politjargon zu verzichten, erscheint aus zweierlei Hinsicht sinnvoll. Einerseits ist es wahr, dass viele Menschen, die offen sind für radikale Gesellschaftskritik, nichts anfangen können mit Begriffen wie Kommunismus, Feminismus oder sozialer Revolution, ja sich sogar gerade wegen deren Verwendung nicht mit der Kritik auseinandersetzten wollen. Das kann man bescheuert finden oder berechtigt, ist aber einfach so – 100 Jahre Oktoberrevolution bedeuten eben auch 100 Jahre bürgerlicher Antikommunismus.

Auf der anderen Seite – und daher rührt die Ablehnung des «Politjargons» teilweise auch – ist in der radikalen Linken auch die Verwendung ebenjener Begrifflichkeit als Ersatz für Analyse und Kritik einigermassen verbreitet. Kommunismus und Revolution verkommen zu identitären Signalwörtern, dank denen man die Ablehnung der herrschenden Ordnung nicht weiter begründen muss. Umso besser, dass 25 Karat sich bemüht, ihren Inhalt nicht in vorhandene Begriffe und Symbolik zu verpacken, sondern sich einer solchen Einordnung – die Irritation mit den goldenen Turnschuhen lässt grüssen – vehement zu verweigern. An diesem Impetus ist nichts auszusetzen, es wird sich zeigen, ob es die gewünschte Debatte befeuert.

Dennoch sollte man sich bewusst sein, dass die vermiedenen Begriffe eine bewegte Geschichte und Gegenwart haben. Eine Geschichte, aus der man lernen kann. All die Fragen, die in der ersten Ausgabe von 25 Karat aufgeworfen werden, wurden schon hundertfach gestellt und zu beantworten versucht – in Theorie und Praxis. Um nochmals auf den Sexismus-Artikel zurückzukommen: Mit der Hoffnung, «dass mir eines Tages die Anekdoten ausgehen werden», ist die Autorin nicht alleine. Der Feminismus ist eine sehr diverse Bewegung mit langer Geschichte. Sie bietet ganz viele Anhaltspunkte zur Frage, wie all die beschriebenen Zumutungen überwunden werden könnten – und wie eher nicht. Gerade eher ungeübten Leser*innen würde es sicher helfen, wenn zumindest Fingerzeige gegeben würden, wenn sie nicht bis zur nächsten Ausgabe warten können. So oder so kann 25 Karat bestimmt einiges zur Aufwiegelung der Jugend beitragen. Wir wünschen viel Erfolg und freuen uns aufs Ergebnis. www.25karat.net

Julian Freitag / ajour-mag.ch

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