Nicht einmal ein Indiz für das Fortbestehen des alten Betreiber:innenkreises Das Archiv von linksunten.indymedia

Gesellschaft

In Karlsruhe steht ein Redakteur des freien Freiburger Hörfunksenders Radio Dreyeckland vor Gericht.

Das Landgericht in Karlsruhe (links).
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Das Landgericht in Karlsruhe (links). Foto: Serafin Volkmann (CC-BY-SA 4.0 cropped)

30. April 2024
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Er soll einen verbotenen Verein durch das Setzen eines Links auf das Archiv einer Internet-Zeitung, die von diesem Verein herausgegeben worden war, unterstützt haben.

Der Strafrahmen dafür beträgt „Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder […] Geldstrafe“ (§ 85 Abs. 2 StGB). Am Dienstag war die Bloggerin Detlef Georgia Schulze als ZeugIn geladen. Peter Nowak sprach mit ihr:

F.: Sie haben am Dienstag in dem Verfahren gegen den Redakteur von Radio Dreyeckland, der gerade in Karlsruhe vor Gericht steht, ausgesagt. Warum haben Sie sich nicht auf ihr journalistisches Zeugnisverweigerungsrecht berufen?

A.: Weil ich mich für meine Artikel nicht auf vertrauliche Informationen berufen musste. Ich habe allgemein-zugängliche Quellen, Behörden-Auskünfte und Antworten eines Informatik-Professors, der sich namentlich zitieren liess[1], verwendet. Ausserdem hat mich gefreut, dass sich das Gericht für meine Recherchen interessierte und sie nicht einfach übergeht.

F.: Was wollte das Gericht von Ihnen wissen?

A.: Das Gericht interessierte sich vor allem für eine Passage in meinem Artikel in der jungen Welt vom 27.12.2023.

F.: Worum ging es in dem Artikel? Und worum dreht sich das ganze Verfahren?

A.: Fangen wir vielleicht mit dem Verfahren an: Der Angeklagte hatte in einem Artikel das Archiv von linksunten.indymedia verlinkt. Der BetreiberInnenkreis von linksunten war 2017 vom Bundesinnenministerium verboten worden – so interpretierte jedenfalls das Bundesverwaltungsgericht 2020 die ministerielle Verbotsverfügung[2]. Mein Artikel vom 27.12. beschäftigten sich mit Durchsuchungsbeschlüssen des Amtsgerichts Karlsruhe, die bei Leuten vollstreckt wurden, die verdächtigt werden, sowohl bis 2017 zum BetreiberInnenkreis von linksunten als auch zum BetreiberInnenkreis des Archivs, das seit 2020 online ist, gehört zu haben bzw. zu gehören.

F.: Und was hat beides mit einander zu tun?

A.: Der RDL-Redakteur soll ja – wie wir schon sagten – den verbotenen Verein, also den alten BetreiberInnenkreis, unterstützt haben. Unterstützt werden können aber nur existierende Vereine.[3] Darauf, dass der verbotene Verein noch existiert, deutet aber allenfalls die Veröffentlichung des Archivs hin. Daher ist für das Strafverfahren gegen den RDL-Redakteur von zentraler Bedeutung, ob auch das Archiv von dem alten BetreiberInnenkreis veröffentlicht wurde. Mit der Frage, ob dem so ist, beschäftigte sich mein Artikel, für den sich das Landgericht Karlsruhe am Dienstag interessierte.

F.: Und was stand nun in Ihrem Artikel, für den sich das Landgericht interessierte?

A.: Ich beschäftigte mich im Dezember mit der These des Amtsgerichts Karlsruhe, ohne Beteiligung der von den Durchsuchungsbeschlüssen betroffenen Personen (also den vermeintlichen Mitgliedern schon des alten BetreiberInnenkreises) lasse „sich kaum erklären, wie es gelingen konnte, den vollständigen Datenbestand der Internetpräsenz der verbotenen Vereinigung […] in ein vollständiges Archiv zu überführen. Dies ist jedenfalls nur unter Mithilfe einer Person möglich, die bereits in der ursprünglichen Internetpräsenz eine herausragende administrative Rolle mit vollen Zugriffsrechten hatte.“[4]

Ich hatte demgegenüber drei andere Möglichkeiten aufgezeigt: „zum einen gibt es die Software ‚HTTrack', mit der sich komplette Webseiten auf den eigenen Rechner herunterladen lassen. Da die – den Staat störenden – Inhalte auch am Tag der Durchsuchungen noch einige Stunden online waren, konnte also jede beliebige Person den kompletten Datenbestand noch auf den eigenen Rechner herunterladen“ und später für das Archiv verwenden.

„Zum anderen: Selbst wenn wir unterstellen, es sei keine Person schnell genug gewesen, den Datenbestand noch herunterzuladen, bleiben mindestens noch zwei Möglichkeiten: 1. Die Daten wurden regelmässig automatisch einer Person (z.B. im Ausland) zur Verfügung gestellt, die mit dem laufenden Betrieb der Plattform nichts zu tun hatte – und diese gab die Daten dann wiederum anderen Leuten für das Archiv. 2. Die Daten für das Archiv wurden tatsächlich von einem ehemaligen Vereinsmitglied gespendet und dann von Dritten 2020 wiederveröffentlicht.“

F.: Sie sagten gerade: „jede beliebige Person [konnte] den kompletten Datenbestand noch auf den eigenen Rechner herunterladen“. In einem Artikel in der Legal Tribune Online von vergangener Woche stand: „das Landgericht Karlsruhe hat ein Gutachten in Auftrag gegeben, dessen Ergebnis auch die Staatsanwaltschaft […] beeindrucken könnte. Der Diplom-Informatiker York Yannakos vom Fraunhofer-Institut für sichere Informationstechnologie kam zum Ergebnis, dass jeder, der einigermassen programmieren kann, ein Archiv der Artikel veröffentlichen kann, die bis 2017 auf linksunten.indymedia veröffentlicht wurden. Dies wäre also nicht nur der Gruppe selbst möglich gewesen, sondern auch einer fremden Einzelperson. Sie musste nur rechtzeitig vor dem Verbot beginnen, die rund 830.000 Texte zu sichern. Vor dem Hintergrund dieses Gutachtens dürfte die Existenz des Archivs nicht einmal ein Indiz für das Fortbestehen der Vereinigung linksunten.indymedia sein. Wenn es aber keine Hinweise für die Fortführung der Vereinigung gibt, dann kann sie auch nicht unterstützt werden“. Kommt es angesichts dessen, auf Ihre Aussage überhaupt noch an?

F.: Wenn ein IT-Sachverständiger mein Erfahrungswissen bestätigt, freue ich mich. Gewissermassen ergänzt meine Aussage sogar das, was in der LTO steht: Ich zeige nämlich – mit meinem Hinweis auf die Software HTTrack eine einfache Möglichkeit auf, mit der „die rund 830.000 Texte“ (wohl Artikel + LeserInnen-Kommentare unter den Artikeln) gesichert werden konnten – und zwar noch am Morgen des Verbotstages. Um die Software HTTrack zu bedienen, ist keine Professur an einem Fraunhofer-Institut nötig – ein bisschen Computer-Erfahrung genügt.

Das Archiv muss also nicht notwendigerweise von dem alten BetreiberInnenkreis veröffentlicht worden sein. Wurde es aber nicht von dem alten BetreiberInnenkreis veröffentlicht, so deutet auch nichts darauf hin, dass der alte BetreiberInnenkreis 2020 (bei Archiv-Veröffentlichung) oder gar 2022 (bei Veröffentlichung des Artikels des RDL-Kollegen) noch existierte. Lässt sich aber der Fortbestand des alten BetreiberInnenkreises = verbotenen "Vereins" nicht bewiesen, so lässt sich auch eine etwaige Unterstützung dieses Vereins nicht beweisen – und Kollege Kienert darf folglich (auch nach dem repressiven Recht der BRD) nicht verurteilt werden.

Interview: Peter Nowak

Fussnoten:

[1] Siehe: Gespräch mit Prof. Wählisch von der TU Dresden über informatische Probleme des Falls linksunten.indymedia und andere Neuigkeiten; https://blogs.taz.de/theorie-praxis/schwimmen-der-staatsanwaltschaft-karlsruhe-und-dem-oberlandesgericht-stuttgart-die-felle-weg/

[2] „Regelungsgegenstand des Verbotsbescheids ist nicht das Verbot des unter der Internetadresse‚ http://linksunten.indymedia.org' betriebenen Veröffentlichungs- und Diskussionsportals, sondern das Verbot des dahinter stehenden Personenzusammenschlusses ‚linksunten.indymedia' als Organisation“ (https://www.bverwg.de/de/290120U6A1.19.0 Textziffer 33).

[3] „Das Fortbestehen dieser Vereinigung, das für die Erfüllung des Tatbestandes des § 85 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 StGB erforderlich ist, weil eine nichtexistente Vereinigung nicht unterstützt werden kann, ist bei Betrachtung des gesamten Geschehens überwiegend wahrscheinlich.“ (OLG Stuttgart, Beschl. v. 12.06.2023 zum Az. 2 Ws 2/23; https://www.landesrecht-bw.de/perma?d=NJRE001546409 Textziffer 47; Hv. hinzugefügt)

[4] Beschlüsse
• vom 28.06.2023 zu den Aktenzeichen 33 Gs 282/23, 33 Gs 283/23 und 33 Gs 284/23,
• vom 29.06.2023 zu den Aktenzeichen 33 Gs 286/23 und 33 Gs 287/23
sowie
• vom 28.07.2023 zum Aktenzeichen 33 Gs 325/23 – jeweils auf S. 12.