Über Body Counts und Misogynie Daniel Rysers Werdegang vom gefeierten Gonzo-Journalisten zum Handlanger der Neuen Rechten

Gesellschaft

Nach massiven Vorwürfen wegen sexueller Belästigung hat Daniel Ryser, seines Zeichens Schweizer Journalist des Jahres 2016, die Seiten gewechselt und ist nun für die national-konservative „Weltwoche“ tätig.

CSD 2018 in München, Politparade.
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CSD 2018 in München, Politparade. Foto: C.Suthorn - commons.wikimedia.org (CC-BY-SA 4.0 cropped)

8. Mai 2024
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Dem bekannten Poster-Boy und Aushängeschild des kritischen, eidgenössischen Blätterwaldes, welcher jahrelang für die linke Wochenzeitung (WOZ) und das Zürcher Online-Magazin „Republik“ gearbeitet hat, werfen diverse Frauen sexuelle Belästigung, perfiden Machtmissbrauch und Manipulation vor. Die betroffenen Frauen haben bis zum heutigen Tag aus altbekannten Gründen auf eine Anzeige verzichtet.

Hohe Dunkelziffer

Wie viele Personen tatsächlich unter seinen mutmasslich sexualisierten Vergehen gelitten haben, ist unbekannt. Die aktuelle Forschung zum Thema Sexismus geht davon aus, dass nur 20% aller Frauen ein derartiges Erlebnis öffentlich zur Sprache bringen. Klar ist jedoch, dass sich nach Bekanntwerden der Vorfälle, noch weitere 18 Personen die dafür eigens von der WOZ eingerichtete Meldestelle kontaktiert haben.

Die Veröffentlichung dieser angeblichen Vergehen liegt 8 Monate zurück und die „Republik“ hat Daniel Ryser damals umgehend freigestellt. Für die WOZ ist Ryser schon seit Jahren nicht mehr tätig, ein sexueller Übergriff soll jedoch auch während seiner aktiven Zeit bei dieser Zeitung stattgefunden haben.

In den Medien wurde dieser Fall breit verhandelt und diskutiert, ohne den Namen des Journalisten zu nennen. Dies wurde von gewissen Kreisen als grosse Errungenschaft gefeiert, da es sich um ein systemisches Problem handle und die Einzeltäter dabei eine untergeordnete Rolle spielen würden. Wir sind jedoch der Meinung, dass Personen, denen gravierendes Fehlverhalten zur Last gelegt wird, beim Namen genannt werden müssen, um diese Strukturen besser zu verstehen und effektiv zu bekämpfen.

Fälle von toxischer Männlichkeit in der linken Szene

Ein Paradoxon besteht darin, dass viele Männer, welche in angesagten Szene-Bars rumhängen und sich gerne als feministisch, soft und sensibel verkaufen, nach ein paar Shots und einigen Lines zum rücksichtslosen, egozentrischen Party-Animal wandeln, um dann hemmungslos von jahrhundertealten, patriarchalen Machtstrukturen zu profitieren, um sich sexuelle Erleichterung verschaffen zu können.

Es stellt sich hier zwangsläufig die Frage, wie es möglich ist, dass ein solch toxisches Auftreten in den Redaktionsräumen dieser alternativen Medien von den männlichen Kollegen ignoriert oder gar nicht erst bemerkt werden kann. Vor allem in Anbetracht dessen, dass sein ehemaliger Vorgesetzter bei der „Republik“, Daniel Binswanger, schon Jahre zuvor bei seiner früheren Anstellung beim „Magazin“, welches vom renommierten Tages-Anzeiger herausgebracht wird, ähnliche Erfahrungen mit seinem damaligen Chefredakteur Finn Canonica, welchem Sexismus und Machtmissbrauch vorgeworfen wird, gemacht haben soll.

Misogyne Seilschaften

Auch Daniel Ryser hat zu dieser Zeit beim „Magazin“ gearbeitet. Dabei ist festzuhalten, dass diese beiden Autoren Canonica zu einem Zeitpunkt öffentlich verteidigten, als der Chefredakteur von diversen Personen bereits harsch kritisiert wurde. Die Vorwürfe, der ehemalige Chef hätte ein „unerträgliches Klima der Angst“ geschaffen, tat Ryser damals als pure Polemik ab und bezichtigte solche Kritik als haltlose „Tiraden“, welche aus purem „Neid“ geäussert würden. Offenbar haben wir es hier mit einer burschenhaftmässigen „Buddy-Kultur“ zu tun, der diverse Frauen im redaktionellen Arbeitsalltag ausgesetzt sind.

Bereits vor dessen Anstellung hat eine Mitarbeiterin bei der Republik Bedenken hinsichtlich seines Rufes geäussert. Er soll sein Renommee ausgenutzt haben, um bei jungen Mitarbeiterinnen zu landen.

Wegschauen und Verharmlosen gehört in unserer leistungs- und profitorientierten Gesellschaft zum Pflichtprogramm, ganz besonders in der Arbeitswelt. Von engagierten, linken Intellektuellen, die genau dieses System tagtäglich kritisieren, sollte jedoch in dieser Hinsicht ein bisschen mehr Sensibilität und Feingefühl verlangt werden dürfen, um solche strukturelle Missstände zu hinterfragen. Wenn der Buddy beim Feierabendbier derbe Witze reisst, über seine Body Counts philosophiert und verbal über die Stränge schlägt, darf und sollte dies nicht einfach so bagatellisiert und toleriert werden.

Ryser hat sich immer als „Gonzo-Journalist“ verstanden. Er trägt ein entsprechendes Tattoo auf dem Unterarm, verehrt den legendären Reporter Hunter S. Thompson und trat in einer Sendung des Schweizer Fernsehens mit einem „Fear and Loathing in Las Vegas“ Shirt auf. Die Apotheose von Koks, Alkohol und Sex gehört zu seinem Standard Repertoire. Logisch, dass das bei vielen Jungs der Medienszene zu geheimen Männerfantasien führte.

So wurde Daniel Ryser beispielsweise auch jahrelang in der Rap-Untergrund-Szene unter dem Pseudonym „Göldin“ von diversen Leuten für seine Texte und Reime gefeiert und verehrt, obwohl in den sozialen Medien schon seit längerem Vorwürfe gegen seine mutmasslichen Vergehen geäussert wurden. Diese Kritik wurde jedoch aus seinem Umfeld systematisch kleingeredet und relativiert.

Von der linken Bubble in den braunen Sumpf

2018 hat Ryser eine Biografie unter dem Namen „In Badehosen nach Stalingrad“ über den Weltwoche Chefredakteur Roger Köppel veröffentlicht. Dort stellt er fest, dass Köppel mit seinen reaktionären Auftritten im Deutschen Fernsehen mitgeholfen hat, den Weg für den Aufstieg der AfD zu ebnen. Umso verstörender wirkt nun die Tatsache, dass Ryser, der gleich zweimal mit dem Zürcher Journalistenpreis ausgezeichnet wurde, seit April dieses Jahres für dessen rechte Zeitschrift tätig ist.

In der aktuellen Ausgabe des Putin freundlichen Blattes schreibt er in einer 9-Seitigen Reportage über seinen Besuch bei dem rechtsextremen Gavin McInnes in New York , dem Gründer des inzwischen in die Bredouille gekommenen Lifestyle Magazins „Vice“. Dieser hat nach seinem Abgang bei „Vice“ die faschistoiden „Proud Boys“ aufgebaut, welche am 6. Januar 2021 beim Sturm auf das Kapitol eine tragende und mitbestimmend Rolle gespielt haben.

Ryser tritt nun also mit seinem Engagement für die „Weltwoche“, das Schweizer Aushängeschild der Neuen Rechten schlechthin, in die Fussstapfen der zahlreichen alten weissen Männer, die jahrelang in der linken Szene verweilten, bis sie sich aus persönlichen und politischen Gründen dafür entschieden, die Seiten zu wechseln um für die misogyne, ausländerfeindliche und frauenverachtende rechts-nationale Szene aktiv zu werden.

Ob dies nur eine logische Konsequenz seiner persönlichen Entwicklung darstellt, oder ob ihn der Skandal um seine Person und das daraus entstehende „Berufsverbot“ der linken Medienlandschaft, welche ihn zur Persona non grata erklärte, in diese Ecke drängte, sei dahingestellt.

Klar ist, dass er sich mit dieser Entscheidung in die Tradition vieler ehemaliger linker Aktivisten wie Horst Mahler, Jürgen Elsässer oder Joachim Bruhn einreiht, die in der neofaschistischen Szene eine neue Heimat gefunden haben.

Ricardo Tristano