Interview mit Rave it safe und Drugscouts »Wir unterstützen User dabei, ihren Konsum selbstkritisch zu reflektieren«

Gesellschaft

Mit rave it safe aus Bern und den Leipziger Drugscouts haben wir zwei Projekte aus der akzeptierenden Drogenberatungs- und Präventionsarbeit zum Gespräch eingeladen, die unter unterschiedlichen Rahmenbedingungen staatlicher Drogenpolitik arbeiten.

Soundsystem an einer Rave-Party in Tschechien.
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Soundsystem an einer Rave-Party in Tschechien. Foto: Golem (PD)

23. Juli 2014
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Phase 2 spricht mit ihnen über sich verändernde Konsumrealitäten, verantwortungsvolle Konsument_innen und mobile Chemielabore.

Phase 2: Könnt Ihr kurz Euren Ansatz und Eure Möglichkeiten für Drogenberatung- und prävention im Rahmen staatlicher und städtischer Drogenpolitik skizzieren?

rave it safe: In der Schweiz ist auf Bundesebene die Drogenpolitik durch das Vier-Säulen-Modell geregelt. Dieses beinhaltet die Bereiche Prävention, Therapie, Schadensminderung und Repression. Somit sind Massnahmen im Bereich der Schadensminderung wie Konsumräume und eben auch Drugchecking, d.h. die Möglichkeit der chemischen Analyse illegalisierter Substanzen für Konsument_innen, auf rechtlicher Ebene möglich. Rave it Safe versteht seine Arbeit als Sensibilisierungs- und Aufklärungsangebot im Nightlife. Die Vorortarbeit ermöglicht szenenahe Massnahmen, wobei durch das Bereitstellen von objektiven Informationen zu verschiedenen Substanzen, Safer-Use-Regeln, zu Mischkonsum und Safer Sex die Risikokompetenz der Partygänger_innen gefördert werden soll. Es sollen also mögliche Risiken des Konsums vermindert und das Gesundheitsverhalten der Konsument_innen gefördert werden. Rave it Safe ist der kantonalen Jugend-, Eltern- und Suchtfachstelle Contact Netz angeschlossen und richtet sich mit dem Angebot an eine indizierte Zielgruppe, d.h. an junge Erwachsenen mit einer Affinität zur Partykultur und damit verbundenem Drogenkonsum.?01

Drugscouts: Auch die Drogenpolitik der deutschen Bundesregierung beruht auf den obengenannten vier Säulen. Wir verorten uns mit unserer Arbeit im Bereich der (selektiven wie indizierten) Prävention und Schadens- bzw. Risikominimierung. Als kommunal gefördertes Projekt der Jugendhilfe richten sich unsere Angebote hauptsächlich an junge Menschen zwischen 18 und 26 Jahren in Leipzig, die legale und/oder illegalisierte Drogen gebrauchen, mit besonderem Augenmerk auf konsumerfahrene Jugendliche und Clubgänger_innen, die als »Risikogruppen« gelten.

Viele (junge) Menschen, die Drogen konsumieren oder (riskant) mit ihnen experimentieren, haben einen Bedarf an Informationen, Strategien und Handlungsweisen zur Gesundheitsförderung. Unsere Arbeit soll dazu beitragen, dass User_innen ihre Konsumphasen möglichst ohne schwerwiegende gesundheitliche und soziale Folgeschäden, wie konsumbedingte Notfälle, Ansteckung mit Infektionskrankheiten, psychische Probleme, Zerstörung von familiären Bindungen und Freundschaften etc. überstehen.

Laut Bundesregierung müssen Angebote für diese Zielgruppe vor allem auf die Förderung von Risikokompetenz abzielen. Dies bedeutet nach Margret Rihs-Middel, einer in der Suchtforschung tätigen Schweizer Psychologin, »unterschiedliche Risiken gegeneinander aufgrund der Kenntnis von Konsequenzen abwägen zu können«, »die Fähigkeiten diese Kenntnis auch in Entscheidungssituationen als Handlungsgrundlage präsent zu haben«, »wohl informierte Entscheidungen auch unter Bedingungen von reduzierter Aufmerksamkeit, Zeit und Gruppendruck treffen zu können« sowie »an der Entscheidung festzuhalten und aus Fehlern die entsprechenden Konsequenzen ziehen zu können«. Wir unterstützen User_innen also dabei, ihren Konsum (selbst-) kritisch zu reflektieren, Warnsignale eines problematischen Konsums zu erkennen und – wenn notwendig – Hilfebedarf zu äussern.

Wir sind ein akzeptierend, d.h. ergebnisoffen arbeitendes Präventionsprojekt. Das heisst unter anderem, dass wir die Anliegen und Bedürfnisse unserer Zielgruppe ernst nehmen und individuelle Entscheidungen in Bezug auf Drogenkonsum akzeptieren, ohne diese moralisch zu bewerten. In unserer Arbeit verbinden wir einen niedrigschwelligen Zugang zu zielgruppenspezifischer Information mit aufsuchender Arbeit in Clubs und auf Parties mit einem umfassenden Beratungsangebot über verschiedene Medien. Dadurch erreichen wir sowohl User_innen, die ihren Konsum reduzieren oder beenden möchten, als auch solche, die nicht abstinent leben wollen oder können und daher kaum mit dem Drogenhilfesystem in Kontakt kommen.

Wir beraten und informieren also unabhängig vom Abstinenzwunsch. Die meisten Nutzer_innen unseres Beratungsangebots im Kontaktladen möchten allerdings ihren Konsum reduzieren oder beenden. Da sie oft noch nicht genau wissen, welche Hilfsangebote sie nutzen wollen oder können, sind wir ein erster Anlaufpunkt und vermitteln bei Bedarf an andere Einrichtungen weiter (Suchtberatung, Krisenhilfe, Entgiftung etc.). Drug Scouts sind somit eine wichtige Schnittstelle im Leipziger Jugend- und Suchthilfesystem.

Phase 2: Wo seht Ihr Veränderungsbedarf in der staatlichen Drogenpolitik auf rechtlicher und institutioneller Ebene?

rave it safe: Auf institutioneller Ebene ist eine Ausweitung des Angebots wünschenswert – worum wir zurzeit auch kämpfen. Aufgrund des föderalistischen Systems in der Schweiz ist die politische Lage in den Kantonen sehr unterschiedlich und dementsprechend sind innovative und akzeptanzorientierte Arbeitsweisen nicht schweizweit gleich umsetzbar. Insbesondere die Arbeit im Nightlife ist zurzeit noch ein wenig beackertes Gebiet und muss Schritt für Schritt vorangetrieben werden. Bis dahin besteht im Kanton Bern lediglich die Möglichkeit zum mobilen Drugchecking direkt vor Ort an Partys; anders als in Zürich, wo es bereits ein stationäres Testingangebot gibt. Mit der Schaffung eines lokalen stationären Testingangebots auch in Bern könnten wir u.a. eine erweiterte Zielgruppe (Konsument_innen ausserhalb des Partysettings) erreichen sowie eine profunde Grundlage zur Datenerhebung schaffen. Allgemein ist es im Sinne der verschiedenen Nightlifeprojekte, einheitliche Angebote in der Schweiz zu schaffen.

Drugscouts: Grundsätzlich ist zu wünschen, dass der Diskurs über Drogenkonsum und -prävention sachlich und unter Berücksichtigung aller wissenschaftlichen und praxisbezogenen Erkenntnisse geführt wird. Zwischen Probierkonsum und Abhängigkeit gibt es eine grosse Bandbreite an (sich verändernden) Konsummustern. Epidemiologische Studien der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) zeigen auch, dass sich viele junge Konsument_innen sogenannter Partydrogen nicht als hilfebedürftig ansehen und unabhängig vom Konsummuster nicht gewillt sind, ihren Konsum auf der Stelle zu beenden. Präventionsprojekte für diese Zielgruppe gibt es nur sehr wenige. Das liegt u.a. auch daran, dass sie im Gegensatz zu anderen Präventionsangeboten schwerer finanzielle Förderung erhalten und ihre »Existenzberechtigung« in stärkerem Masse verteidigen müssen. Nicht nur auf politischer Ebene werden die Weitergabe sachlicher Informationen zu Drogen- und Drogenkonsum und die Aufklärung über risikominimierende Massnahmen zu oft als Drogenverherrlichung oder »Problemverharmlosung« gewertet. Konkret beobachten wir in unserer Arbeit, dass bestimmte Massnahmen zur Risikominimierung wie beispielsweise Drugchecking durch fehlenden politischen Willen nicht realisiert werden können.

Phase 2: Ihr habt es bereits mehrfach erwähnt: Eine wichtige Voraussetzung für verantwortungsvollen Drogenkonsum ist das Drugchecking. Eure Möglichkeiten, dies in der Praxis anbieten zu können scheinen ja recht unterschiedlich zu sein. Könnt Ihr uns kurz erläutern, was Drugchecking genau heisst und auf welcher rechtlichen Grundlage es stattfindet?

rave it safe: Drugchecking bedeutet die chemische Analyse von abgegebenen Substanzenproben. Eine quantitative Analyse ermöglicht genaue Angaben über Zusammensetzung der Substanz. Sowohl Inhaltsstoffe wie auch deren Konzentration können genau bestimmt werden. Somit können gegebenenfalls auch gesundheitsschädigende Streckmittel, welche nicht selten psychoaktiv wirksam sind, festgestellt und auf ihre Schädlichkeit hingewiesen werden. Vor Ort kann man sich in der Tat ein kleines Chemielabor auf Rädern vorstellen, welches direkt auf der Party aufgebaut und von Fachleuten, d.h. Chemielaborant_innen, bedient wird. Das Drugchecking beruht wie bereits erwähnt auf den Prinzipien des Vier-Säulen-Modells, wo es im Bereich der Schadensminderung einzuordnen ist. Das Drugchecking erhält in der Schweiz durch ein rechtliches Gutachten (aus dem Jahr 1996) seine Legitimität und Legalität auf nationaler Ebene.

Es bestehen nach wie vor kantonale Unterschiede, die auf ungleiche politische Situationen in den Kantonen zurückzuführen sind. Bern war der erste Kanton in der Schweiz, der Konsumräume eingerichtet hat – ebenso wurde das mobile Drugchecking in Bern in den neunzigerer Jahren erstmals durchgeführt. Nebst dem Drugchecking in Bern gibt es auch in Zürich (praktiziert von der Initiative saferparty) die Möglichkeit zum Analysieren von Substanzen.Wichtig zu erwähnen ist an dieser Stelle, dass die Testingmöglichkeit jedoch auch eine präventive Wirkung entfalten, auf ihrer Grundlage können beispielsweise Substanzenwarnungen veröffentlicht werden.

Wir gehen davon aus, dass Wissen das Handeln bestimmt und sind der Meinung, dass im Rahmen der Schadensminderung auch User_innen von Partydrogen das Recht haben, über genaue Inhaltsstoffe, Wirkstoffkonzentration und mögliche gesundheitsschädliche Streckmittel informiert zu werden. Eine objektive Aufklärung soll Wissen vermitteln und User_innen in ihrem Konsumverhalten sensibilisieren.

Phase 2: Drugscouts, welche Gründe werden in der Bundesrepublik gegen die Verbreitung von Drugchecking angeführt und wie schätzt ihr die derzeitigen Chancen ein, dass sich die Möglichkeit des Drugchecking und damit eines aufgeklärten Konsums durchsetzen wird?

Drugscouts: Die gängigen »Argumente« gegen Drugchecking lauten folgendermassen: Werden die Testergebnisse nur an die Personen weitergegeben, die die Substanzen zur Probe abgegeben haben, sei der gesellschaftliche Nutzen der Programme zu gering. Gleichzeitig wird argumentiert, dass Drugchecking ein dealer service sei. Dealer_innen könnten also auf diesem Weg ihre Ware vor Verkauf testen lassen bzw. die Testergebnisse nutzen, um die Qualität ihrer Ware zu bestätigen.

Darüber hinaus gibt es Befürchtungen, dass »saubere« Substanzen zum Konsum animieren könnten. Vergessen wird hierbei, dass praktiziertes Drugchecking stets mit individuellen Beratungsgesprächen verbunden ist, die u.a. Risikoeinschätzung und Safer Use zum Inhalt haben. Ein weiterer häufiger Einwand ist, dass bestimmte Substanzen aus gutem Grund illegalisiert seien und mit dem Drugchecking ein falsches Signal setzen würde, da es gewissermassen dieses Verbot aufweichen und den Konsum illegalisierter Substanzen als eine gesellschaftliche Realität akzeptieren würde. Für User_innen zieht diese Haltung ein erhöhtes Gesundheitsrisiko nach sich. Nicht zu wissen, welche Stoffe und wie viel davon in einer Substanz enthalten sind, erschwert das Abschätzen konkreter Risiken und den Umgang damit. Das Risiko von Überdosierungen und gesundheitlichen Schäden durch Streckstoffe steigt enorm.

Da die Erfahrungen und die Evaluationsergebnisse von europaweit existierenden Drugchecking-Programmen bei der Bewertung der Sinnhaftigkeit von Drogentestmodellen in der Bundesrepublik Deutschland bisher grösstenteils ignoriert werden, stehen die Chancen für eine bundesweite Einführung eher schlecht. Als Voraussetzung dafür bedürfte es idealerweise einer Klarstellung im §29 des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG), die besagt, dass die Annahme von Substanzen, die in den Anhängen des BtMG gelistet und somit illegalisiert sind, zu Testzwecken für die in den Drugchecking-Projekten arbeitenden Mitarbeiter_innen ausdrücklich legal ist. Eine solche Änderung des BtMG ist jedoch nicht in Sicht, da dies bisher ausdrücklich politisch nicht gewollt ist.

Die grösste Hoffnung liegt derzeit auf einem lokalen Drugchecking-Modellprojekt. Lokal wäre die Einführung von Drugchecking auch ohne Gesetzesänderung möglich, z.B. über eine Absprache aller lokalen und politisch Verantwortlichen und wenn sich dabei auch die lokale Strafverfolgungsbehörde verpflichten würde, die Mitarbeiter_innen von Drugchecking-Projekten nicht wegen Drogenbesitzes zu verfolgen. Die Drugchecking-Initative Berlin-Brandenburg hat bereits ein solches Modellprojekt konzipiert und es innerhalb Berlins in die politische Diskussion gebracht. Erfreulicherweise hat es dieses Modellprojekt in die Koalitionsvereinbarung von SPD und CDU des Berliner Senates geschafft. Auch die neue schleswig-holsteinische Landeskoalition aus SPD, Grünen und SSW hat Absichten zur Errichtung eines Modellprojektes in ihrer Koalitionsvereinbarung formuliert. Auch in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz gibt es zur Zeit rot-grüne Koalitionen, denen der Gedanke von Drugchecking nicht so fern liegt. Es ist schwer abzuschätzen und bleibt in allen Fällen abzuwarten, wo sich politischer Wille zuerst in die Tat umsetzt und wo Absichtsbekundungen im Sand verlaufen.

Phase 2: Könnt Ihr, rave it safe, uns berichten welche Gründe trotz aller von den Drugscouts genannten Gegenargumenten dafür sprachen, diese Praxis in der Schweiz umzusetzen, wie diese aussieht und ob sich die Möglichkeit des Drugchecking im Konsumverhalten der User_innen niederschlägt?

rave it safe: Die Schweiz verfolgt hier einen pragmatischen Ansatz. Das Bedürfnis nach Bewusstseinsveränderung mittels Substanzen ist ja keine neuzeitliche Erscheinung und stellt natürlicherweise trotz Illegalisierung aus der Sichtweise unseres Arbeitsfeldes eine Realität dar. Da die Befürchtung eines Konsumanreizes durch Drugchecking jedoch immer im Raum steht, wird das Angebot laufend evaluiert. Im Zentrum der Auswertung steht ein ausführlicher Fragebogen zur Erhebung des Risikostatus. Die Auswertung ergab, dass über die vergangenen Jahre eine Abnahme des riskanten Mischkonsums sowie der Konsumhäufigkeit zu verzeichnen ist. Zudem ist keine Zunahme von abhängig Konsumierenden beobachtbar. Mit dem Druckchecking ermöglicht der Rechtsstaat also eine Art (Qualitäts-)Kontrolle im illegalen Bereich. Bis zu einem umfassenden Angebot und gänzlicher politischer Akzeptanz ist es jedoch noch ein weiter Weg.

Phase 2: Die Produktpalette von Drogen verändert sich schnell. Derzeit gibt es immer mehr sogenannte Research Chemicals auf dem Markt, im Selbsttest hergestellte und im Internet unter Decknamen vertriebene Substanzen wie z.B. synthetische Cannabinoide. Ist dies ein neues Phänomen oder gab es schon immer grossen Erfindungsreichtum, was die Produktion neuer berauschender Substanzen angeht? Wie schätzt Ihr die derzeitige Entwicklung ein?

Drugscouts: Seit 1997 wurden europaweit über 150 neue Substanzen (Novel Psychoactive Substances = NPS) an die Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (EBDD) und Europol gemeldet (80 davon allein in den Jahren 2010 und 2011), die seitdem vom Europäischen Frühwarnsystem beobachtet werden. In dieser Grössenordnung ist das durchaus neu. Einige dieser Stoffe gibt es zwar schon seit ein paar Jahrzehnten, sie erfreuen sich aber jetzt erst grösserer Beliebtheit. Die Menge dieser Substanzen und der Umgang damit stellen verschiedene Behörden vor grosse Herausforderungen. Zwischen Produzent_innen und Anbieter_innen von Substanzen und Behörden findet seit ein paar Jahren ein regelrechtes Katz-und-Maus-Spiel statt – wird eine Substanz verboten, gibt es auf Grund von kleinen Änderungen am Molekül eine neue Substanz, die noch nicht reglementiert ist, oder es finden sich neue Vertriebswege.

In der BRD dürfen nur einzelne Substanzen, nicht ganze Stoffgruppen ins BtMG aufgenommen werden, wodurch sich die rechtliche Reglementierung oft über Monate oder Jahre hinzieht. Eine Änderung des Betäubungsmittelrechts wird momentan diskutiert. Durch diese soll es dann möglich werden, ganze Stoffgruppen dem BtMG zu unterstellen, wodurch bestimmte Substanzen schon illegalisiert wären, bevor sie überhaupt zum ersten Mal synthetisiert werden. Aber auch diese Regelung bietet »Schlupflöcher«, weil man immer noch Substanzen auf den Markt bringen könnte, deren Stoffgruppe bisher nicht dem BtMG unterstellt wurde.

Für Konsument_innen und Mitarbeiter_innen der Jugend- und Drogenhilfe ergeben sich in Bezug auf »neue Substanzen« zahlreiche Herausforderungen: Vor allem über (Langzeit-) Nebenwirkungen vieler Substanzen ist sehr wenig bekannt, viel wird im Selbstversuch ausprobiert. So kommt es auch eher zu psychischen oder körperlichen Krisensituationen. Gründe hierfür sind u.a. ungewollte Überdosierungen, da die Substanz potenter ist als gedacht. Dies ist vor allem bei synthetischen Cannabinoiden in Räuchermischungen der Fall. Weitere Probleme sind, dass die Wirkung unerwartet spät einsetzt, was zum Nachlegen animiert, Verwechslungen (z.B. 2C-B statt Speed), riskanter Mischkonsum und unerwartete Nebenwirkungen. Zudem werden die Substanzen beispielsweise in Ecstasy­Tabletten verarbeitet oder als Amphetamin angeboten sowie oft falsch oder unzureichend etikettiert (übers Internet) verkauft. Man erwirbt scheinbar seriös eine (halb-)legale Substanz mit Packungsbeilage und verlässt sich auf die Angaben.

Das wiegt Konsument_innen in einer falschen Sicherheit – sowohl gesundheitlich als auch rechtlich. NPS werden meist von Menschen konsumiert, die schon Erfahrungen mit dem Konsum von illegalisierten Substanzen haben oder die an (halb-)legalen Alternativen zu Cannabisprodukten interessiert sind. Konsumgründe sind demnach Interesse und Neugier, der halblegale Status sowie teilweise die Nichtnachweisbarkeit der Substanzen im Drogentest. Es gibt leider noch nicht viele Daten zur Verbreitung des Konsums in der BRD. Die meisten Gespräche bei Infoständen oder in Anfragen drehen sich bei uns aber nach wie vor um »klassische« Substanzen.

rave it safe: Unsere Erfahrungen im Feld sagen uns, dass Research Chemicals in der Schweizer Partyszene eher eine Randerscheinung sind, obwohl die mediale Berichterstattung mit teils sehr undifferenzierten und wenig sachlichen Beiträgen anderes vermuten lässt. Trotzdem stellt uns die globale Verfügbarkeit von unterschiedlichen auch neuen Substanzen mittels des Internets vor neue Herausforderungen. Die grenzenlose Verbreitung und Vielfalt an neuen Substanzen lässt bisher keine objektiven Aussagen zu und beruht deshalb auf individuellem Know-How, was eine zusätzliche instabile Variable im Umgang mit ebendiesen Substanzen darstellt.

Phase 2: Günther Amendt sprach von der stetigen »Pharmakologisierung des Alltags«, die sich vor allem in der medikamentösen psychischen Selbstoptimierung niederschlägt. Habt Ihr bei Eurer Arbeit auch mit Folgeproblemen dieser Entwicklung der Selbstoptimierung zu tun? Kontaktieren Euch Leute, die Probleme mit legal erhältlichen Substanzen zum Neuro-Enhancement oder auch mit Psychopharmaka haben? Schlägt sich der gesellschaftliche und zum Teil ärztlich verordnete Trend zur Selbstoptimierung auch in einem veränderten Konsumverhalten bei illegalisierten Drogen nieder? Konsumieren die Leute heute weniger zur Erfahrungserweiterung und zu rekreativen Zwecken, sondern mehr »leistungsorientiert«?

rave it safe: Eine schwierig zu beantwortende Frage. Ohne ausweichen zu wollen, fragen wir uns, ob nicht einfach der ritualisierte Drogengebrauch mittels hedonistischer Umsetzung in unserem Alltag angekommen ist und dieser sich dem aktuellen Zeitgeist anpasst. Ein Bedürfnis nach Rausch scheint grundsätzlich vorhanden zu sein und ist mittels der Verfügbarkeit von Substanzen auch erlebbar. Unabhängig davon scheint zumindest im legalen Bereich die Selbstoptimierung mittels Medikamentengebrauch angekommen, wenn nicht bereits arg vorangeschritten zu sein. Auch mit Blick auf das Partysetting schlägt sich der gesellschaftliche Trend der Leistungs- und Effizienzsteigerung in dem Sinne nieder, dass vermehrt der Gebrauch von stimulierenden Substanzen beobachtbar ist und somit als Effekt der Selbstoptimierung in unserer Leistungsgesellschaft gedeutet oder zumindest als ihr Spiegel verstanden werden kann.

Drugscouts: In der der fachlichen Diskussion über Drogenkonsum und damit verbundene Probleme fällt der Einfluss gesellschaftlicher Rahmenbedingungen und Anforderungen zu oft hinten runter. Diese müssen natürlich mitbedacht werden, wenn man verstehen will, warum aufputschende Substanzen wie Speed, Kokain oder Crystal (nicht nur bei Partygästen) oder auch stimulierende, »zweckentfremdete« Medikamente beliebt sind: Menschen müssen funktionieren und Leistung bringen – ob in der Schule, in der Ausbildung oder bei der Arbeit. Der von Euch angesprochene »leistungsorientierte« Konsum ist also kein neues Phänomen. Um schneller oder besser vom Alltagsstress runter zu kommen, abschalten zu können oder vor gesellschaftlichen oder sozialen Anforderungen zu kapitulieren, werden dämpfende Substanzen genutzt, allen voran Alkohol. Dieser Aspekt wird unseres Erachtens in der fachlichen Diskussion zu selten berücksichtigt.

In unserer Arbeit haben wir nicht vordergründig, aber auch damit zu tun – am ehesten in Beratungsgesprächen im Drug Store. So betrachten einige Konsument_innen (Meth-)Amphetamin mittlerweile eher als eine Arbeits- denn als Feierdroge, Stimulanzien werden zum Lernen für Prüfungen oder Schreiben von Abschlussarbeiten benutzt.

Phase 2: Die Informationen insbesondere zu Partydrogen, die ihr auf Euren Websites und Flyern bereitstellt, zielen auf selbstbewusste, verantwortungsvolle Konsument_innen, die sowohl die Substanz, ihr eigenes psychisches »Set« als auch das sie umgebende »Setting« gut einschätzen und damit den Drogenkonsum optimieren bzw. das damit verbundene Risiko minimieren können. Ist dies nicht eine idealtypische Konstruktion von Konsument_innen und widerspricht diese nicht ein Stück weit auch den Eigenschaften von Drogen, den gesellschaftlichen Anforderungen an das kontrollierte, sich selbst regierende Subjekt zu entfliehen?

rave it safe: Aus Sicht der Schadensminderung und Prävention ist die Orientierung an einer idealtypischen Konstruktion von User_innen wohl erstrebenswert. Es stimmt natürlich, dass dies in gewisser Hinsicht dem Ziel der Berauschung widerspricht. Doch vermutlich bewegen wir uns auch hier in einem ausgeprägten Spannungsfeld zwischen Staat und Politik auf der einen und individueller Selbstbestimmung und Freiheit auf der anderen Seite. Anders ausgedrückt manifestiert sich vielleicht in diesem Punkt das mehrfache Mandat der Sozialarbeit, wobei einerseits staatliche wie institutionelle Erwartungen berücksichtigt werden müssen, andererseits genauso individuelle Bedürfnisse der Klient_innen den Auftrag mitbestimmen.

Drugscouts: Zur Beantwortung dieser Frage möchten wir uns zu einhundert Prozent rave it safe anschliessen, die es auf den Punkt gebracht haben.

Phase 2: Wie würdet Ihr Euer Verhältnis zu den Konsument_innen beschreiben, versteht Ihr Euch als Dienstleister_innen für einen selbstbestimmten Konsum oder geht es Euch auch darum, Konsumverhalten gezielt zu verändern?

rave it safe: In erster Linie geht es darum, die Selbstkompetenz der Konsument_innen zu fördern und Verantwortung zurückzugeben. Insofern kann unser Angebot als Dienstleistung zur Förderung eines selbstbestimmten Konsums verstanden werden. Andererseits geht es auch darum, problematische Konsummuster frühzeitig zu erkennen und in Form von Wissenstransfer oder Vermittlung in weiterführende Angebote zur Veränderung des Konsumverhaltens zu motivieren (Früherkennung und Frühintervention). Neben arbeitspraktischen Absichtserklärungen versuchen wir aber auch sowohl im eigenen Leben als auch im Rahmen unserer Arbeit im Projekt der Diskussion um Drogenmündigkeit genügend Raum zu geben und diese kritisch zu führen.

Drugscouts: Wir verstehen uns insofern als Dienstleister_innen, als dass wir versuchen, den Anliegen und Bedürfnissen von User_innen entsprechend Infos und Unterstützung anzubieten. Wir wollen, dass sich Konsument_innen aufgrund von sachlichen Informationen mit ihrem Konsum kritisch auseinandersetzen und sich möglichst wenig gesundheitsschädigend verhalten. Wenn wir die Anwendung von Safer-Use-Regeln propagieren, vor riskantem Mischkonsum oder dem Konsum bestimmter Substanzen warnen, zielen wir schon darauf ab, das Verhalten von Konsument_innen zu beeinflussen. Aber, wie die Kolleg_innen von rave it safe schon so treffend gesagt haben, durch die Förderung von Kompetenz.

Auch wir verstehen unter Konsumkompetenz mehr als nur Safer-Use-Regeln zu beachten. Es geht darum, immer wieder zu reflektieren, welchen Stellenwert und welche Folgen das derzeitige Konsumverhalten hat und ob es eventuell Zeit ist, etwas zu verändern. Wenn User_innen zu dem Schluss kommen, etwas verändern zu wollen, bieten wir Unterstützung an.

Phase 2: Vielen Dank für das Gespräch.

Interview aus: Phase 2 / Ausgabe Nr. 44
www.phase-zwei.org