Nato-Manöver «Noble Jump» bei Sagan in Westpolen Im europäischen Sandkasten

Gesellschaft
Übel wird mir, denk ich dran. Als ich vor über vier Jahrzehnten als Soldat der Nationalen Volksarmee, anderthalb Jahre Ehrendienst zwischen den Kiefern Brandenburgs, die eine und die andere Übung mitmachte, dachte ich das Wort ‚Scheisse‘ ungefähr eine Million Mal am Tag.
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Soldaten der polnischen Militärpolizei bei einem Nato-Manöver. Foto: SFJZ13 (CC BY 2.0 cropped)

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Trotzdem dachte ich damals das Wort ‚Scheisse'. (Vielleicht nur eine halbe Million Mal; ich war ein Junge mit guter Kinderstube.) Und warum? Weil es bei allem Sinn, der mir erzählt wurde, durchaus sinnlos und unangenehm war. Die damaligen Übungen fanden im Frühling oder im Herbst statt. In meiner Erinnerung war es kalt, feucht; wir waren müde und assen aus klapperndem Geschirr Suppen, die wir nur deshalb assen, weil wir jung waren und Knast hatten und wärmten die Hände am Blech. Nun ja.
Es wurde der E-Fall simuliert, der Ernst-Fall. Das war der Fall, der einträte, wenn die Oma von der Ofenbank aus ihrer Stube gezerrt, der volkseigene Betrieb überrannt, die Freundin (so es sie gab) vergewaltigt, der Staat, der Bildung und Gesundheit ermöglichte, vernichtet wird – wenn all das, was einem lieb war, zermalmt würde zwischen den Zähnen des Imperialismus.
Warum der E-Fall voraussichtlich an kalten, feuchten Tagen stattfinden würde (für die wir trainiert wurden), erschliesst sich mir bis heute nicht. Wird meteorologischer Zufall gewesen sein. (Und, geht mir grad so durch den Kopf: Die Jungs, die da grad in Polen ein bisschen Krieg spielen, als „Speerspitze“, wie ich lese und nur zu „defensiven Übungszwecken“, haben besseres Wetter. Sommerwetter. Vermutlich haben sie auch bessere Verpflegung, kalte Cola am Abend, eventuell ein Bierchen. Und netteres Publikum haben sie sowieso: mehrere europäische Verteidigungsministerinnen statt der sauertöpfischen Leutnants und Obristen schauen zu; da geht einem Soldaten doch der Knopf auf! Da reisst man sich doch zusammen! Dem Weibe, ob nah ob fern, zeigt ein richtiger Kerl eine Schwäche nicht! Vielleicht sind wir Männer nur deshalb Soldaten, weil wir – ach, was weiss ich! – Ich schweife ab.)
Die Simulation eines Krieges, einer Schlacht, eines Gefechts – ich gehe mal rückwärts vom Grossen zum Kleineren. Ein Soldat stirbt nicht in einem Krieg (der später im Geschichtsbuch steht), sondern in einer sehr konkreten Sekunde, nachdem er einen sehr konkreten Befehl befolgt und indem er das ausserordentliche Pech hat, von einer konkreten Kugel, von einem konkreten Granatsplitter, von einer konkreten Mine getötet zu werden. Oder er schafft es umgedreht, vorher, also bevor es ihn erwischt, seinem Menschen-Bruder (seiner Menschen-Schwester) eine Kugel in Kopf, Leib, Steissbein, Gelenk (Liste ist nach Belieben fortzusetzen) zu schiessen. Also:
Diese Simulation des Kämpfens geht logischerweise davon aus, dass man selber überlebt. Sonst wäre es kein Manöver. Sonst könnte man ja gleich richtig Krieg machen. Sonst würde eine Armee, eine Kompanie, eine Gruppe – wieder mal vom Grossen zum Kleinen – geschwächt werden, wenn die Übung der E-Fall wäre. Das will niemand. Ausser der Feind. Der ist quasi realer als man selber ist.
Um den geht es schliesslich. Ob der nun angreifen wird (der Russe greift immer an!), ob wir ihn angreifen müssen (der Westen, die NATO, meine ich jetzt, und dieser Angriff ist die beste Verteidigung, weiss man vom Schach) – ein bisschen Üben vorher ist immer gut. Wegen, siehe oben, Handwerk und Rüstzeug. Und so im Grossen und Ganzen spielt es keine Rolle, dass – auch nichts Neues; es macht mich, ehrlich, fertig, dass das immer gleiche Spiel der Blödheit, Lüge, Manipulation gespielt wird – dass aus dem Qualm der Granaten, bummbumm im Felde des Manövers, ein Gespenst aufsteigt. Es ist ausnahmsweise nicht das Gespenst des Kommunismus (obwohl man Putin auch schon in diesem Gewand gesehen hat; sagen die westlichen Geheimdienste), sondern der Ungeist des … ja was? Des Kapitals?
Oder geht es doch nicht um Verteilungsinteressen, Machtinteressen, Popanze westlich und östlich der Grenzen auf einem grenzenlosen Planeten --- wollen wir alle nur ein bisschen Krieg? --- da einen, hier keinen --- also wer nun gegen wen, und warum der ganze Scheiss --- aber ich kann mich beruhigen: Es sind ja nur Sandkastenspiele.