Stadtteilkampf, soziale Organisierung, revolutionäres Bewusstsein Gegen Gentrifizierung

Gesellschaft

Ein Gespräch mit einer Gruppe, die in Berlin gegen Gentrifizierung kämpft und im Mietkampf engagiert ist. Es wurde auf Bitte des Autonomen Blättchens geführt.

Gegen Gentrifizierung, Berlin-Kreuzberg, 24.5.2015.
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Gegen Gentrifizierung, Berlin-Kreuzberg, 24.5.2015. Foto: onnola (CC BY-SA 2.0 cropped)

18. Mai 2016
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Es gibt in vielen Städten Kämpfe gegen Gentrifizierung. Aber es gelingt scheinbar selten, der Entwicklung tatsächlich etwas entgegenzusetzen. Teilt ihr meinen Eindruck?

X: Ja, es gibt eine gewisse Stagnation. Gruppen fangen oft an, im Stadtteil irgendwelche Sachen zu skandalisieren, das gelingt dann manchmal auch erfolgreich. Sie schaffen es aber nicht eine tiefere Wirkung im Stadtteil zu entfalten, weil übersehen wird, dass ein Stadtteil nur ein kleiner Teil eines Gesamtgefüges ist. Es fehlt vielleicht an einer Analyse, wie man Gentrifizierung auf einer grösseren Ebene begegnen kann. Aber es gibt viele Gründe, warum es nicht richtig vorangeht.

Y: Viele denken, im Kampf gegen das, was Gentrifizierung genannt wird, könnte jetzt mal was gehen, da gehen wir jetzt mal hin. Also dieses übliche Denken in Teilbereichskämpfen. Immer da hin, wo gerade das Event angesagt ist, wo der meiste gesellschaftliche Widerhall zu erreichen ist, aber gar nicht unbedingt der grösste Erfolg, weil sich keine Beständigkeit und keine Kontinuität entwickelt. Erfahrungen werden nicht so ausgewertet, dass gesagt werden kann: da sind wir gescheitert und da müssen wir weitermachen. Dadurch sind viele Gruppen im Laufe der letzten Jahre auch wieder etwas irrelevanter geworden.

X: Aber dazu kommt, dass sich mehr und mehr eine Mittelschichtslinke dem Thema annimmt und dadurch auch einen gewissen Politikstil stark macht, der mehr identitär geprägt ist, als dass er sich an einer sozialen Basisorganisierung orientiert. Also es wird sich nicht gefragt, wie können Leute sich zusammentun, auch wenn sie nicht die gleiche Sprache sprechen, wenn sie nicht die gleichen Konformismen leben, wenn sie nicht pc vom Himmel gefallen sind, wenn sie auch mal Positionen vertreten, die haarsträubend sind.

Aber Basisorganisierung bedeutet, zu gucken, wie man sich mit Leuten zusammen tun kann, die ein ähnliches Problem haben und wie man daraus einen gemeinsamen Widerstand bilden kann. Auf so einen Prozess lässt sich ein Teil der Linken auch nicht ein. Im Bereich Mietkämpfe haben sich viele Gruppen auf dieses Thema drauf gesetzt, ohne eine eigene soziale Organisierung damit in Gang zu bringen.

Ein anderes Problem könnte sein, dass die Mittelschichtslinke die Nöte der Menschen abstrakt angeht und wenig konkret. Da gibt es, würde ich sagen, eine fehlende Klassenanalyse. Warum soll sich ein Teil der Armen zusammentun mir einem etablierten Teil der Linken, von dem man jetzt schon weiss, in fünf Jahren haben diese die soziale Bewegung als Karrieresprungbrett benutzt, als Reputation für Verhandlungen mit den Parteien, im Namen der Armen.

Y: Wir hatten gerade so ein Phänomen in Berlin, das Volksbegehren. Da durften die Basisgruppen Unterschriften sammeln und die Wichtigtuer und Bewegungsmanager haben dann mit der SPD verhandelt, die ja wesentlich für die Mietmisere verantwortlich ist. Die Basis hat aber nie die Erlaubnis für diese Verhandlungen gegeben. An solchen Punkten werden Bewegungen geschwächt.

Wurde denn Widerspruch zu dieser Art der Politik aus den Basisgruppen geäussert?

Y: Tja, den Widerspruch gibt es. Es gibt in Berlin den Versuch eine ausserparlamentarische, radikale Mieter_ innenbewegung stark zu machen. Das stagniert aber immer wieder.

Es gibt die Bewegung gegen Zwnagsräumungen, wo Leute versuchen, sich auf Augenhöhe zu organisieren. Das Verhältnis ist aber auch da immer ein bisschen: Man macht was für Andere. Das heisst, wir sind noch nicht an dem Punkt, das Leute eine so enge soziale Bindung miteinander eingehen, dass der Kampf ein wirklich gemeinsamer wird.

Es gibt Kritik an den Bewegungsmanager_innen, die soziale Kämpfe funktionalisieren. Die radikalen Kräfte sind aber so schwach, dass sie sich nicht auch noch ständig mit den reformistischen Teilen rumstreiten können. Es fehlt auch an einer organsierteren Struktur derer, die die Verhältnisse radikal in Frage stellen und für die der Mietkampf nur ein Zugang zur sozialen Frage ist.

X: Na ja, wer gerne selber seinen Latte Machiato für dreifuffzig schlürft und zweimal im Jahr auf die Kanaren fliegt, kann ja schwer ein gleicher Teil in einer sozialen Bewegung sein, in der es um Folgen der Armut geht.

Können dann nur die „armen“ Linken glaubwürdig Mietkämpfe führen und auch grundsätzlich die Eigentumsfrage aufmachen? Wie sollte sich aus abstrakter Gesellschaftskritik etwas konkretes in sozialen Bewegungen erreichen lassen?

X: Das eine ist die Frage: Mit welchen Linken kämpft man? Das andere: was können konkrete lokale Kämpfe bewirken?

Wir denken, es steht in der Linken ein politischer Bruch an, mit Strömungen, die mittelstandsorientierte Entscheidungen treffen und die ihre eigenen Ressourcen nicht in Frage stellen – die auch nicht bereit sind, ihre eigene Klasse zu verraten. Die rennen vielleicht rum und sagen: wir zahlen nicht für eure Krise, meinen aber immer nur sich und sehen nicht, dass andere schon lange für diese Krise zahlen. In Berlin gab es ja schon lange Kritik an Mittelschichtslinken, die Häuser und Wohnungen kaufen und bauen lassen. Diese sind natürlich nicht mehr die Subjekte einer emanzipativen Bewegung – sie haben die Seiten gewechselt, mögen sie auch links daher reden. Man muss sie am Handeln messen.

Diejenigen, die was anderes wollen, müssen versuchen, tatsächlich Erfahrungen mit anderen Ausgegrenzten zu machen. Das gab es ja schon. Soweit ich weiss, gab es das in den 80ern in der Lehrlingsbewegung. Und auch die Anfänge der Hausbesetzer_innenbewegung waren da viel weiter.

Wir glauben, es braucht heute einen neuen Bruch entlang der Klassenfrage, weil es auch darum geht, dass man, ich sags mal so, dass man auch die eigene Klasse verrät, um sich mit anderen zusammen zu tun. Es geht dabei nicht unbedingt darum, ob jemand viel Geld hat oder nicht, sondern darum, ob man bereit ist, durch das eigene Handeln mit dem eigenen Hintergrund zu brechen; sich zu sagen: solange alle anderen Ausgegrenzten hier nicht frei sind, bin ich auch nicht frei. Stattdessen wollen viele Linke eigentlich zu den Gewinner_ innen unter den jetzigen Verhältnissen zählen. So lässt sich keine echte Verbindung mit dem verarmten Drittel der Gesellschaft aufbauen. Ich glaube, was noch gar nicht begriffen wird, ist, dass hier zur Zeit ein Klassenkrieg von Oben läuft, ohne dass es, und das war mal anders, emanzipative Erwiderungen gibt.

Gibt es diese vielleicht gerade eher von der rechten Seite? Stichwort Pegida?

Y: Die Rechten nehmen gerade gesellschaftliche Widersprüche auf und schaffen es zu einer dynamischen gesellschaftlichen Bewegung zu werden. Das liegt auch daran, dass es gerade keine Linke gibt, die den Mut und den Arsch in der Hose hat, soziale Fragen mal revolutionär zu diskutieren und in der Beantwortung dann auch revolutionär zu handeln.

Bei uns gibt es eher einen eventorientierten Radikalverbalismus, der sich auf die Presse ausrichtet.

Es fehlt aber die Substanz, für eine glaubwürdige Organisierung mit Anderen, die eigentlich genügend Gründe hätten, die Verhältnisse nicht mehr hin zu nehmen. Wenn man sich mal anguckt, wie viele Arme es mittlerweile gibt... die Leute sparen am Essen, damit sie ihre Miete bezahlen können, sie sparen an Heizung, an fast allem, damit sie einen Status aufrechterhalten und sich schön reden können, dass sie noch Teil der Gesellschaft sind. Die leben sowas von prekär. Dazu hat sich die Linke nie gestellt! Sie beklagt es nur gerne, aber sie begibt sich nicht in eine Organisierung mit denen, deren Elend sie benennt.

X: Es braucht ein Grundverhältnis in dem man sagt: mir geht es ähnlich und ich versuche zusammen mit dir was zu entwickeln, wir gucken zusammen, was geht. Da muss man dann auch gemeinsam mal was ausprobieren, was man sich bisher einzeln nicht getraut hat, weil man sich nicht mehr verarschen lassen will. Wir müssen was riskieren!

Es geht um soziale Organisierung und nicht um ein Label, das man sich umhängt.

Das hört sich ja alles jetzt nicht so neu an, was du sagst. Anfang der 1970er wurde da ja schon viel versucht und auch die Hausbesetzer_innenbewegung war in den 80ern einen ganzen Schritt weiter, was die soziale Frage angeht. Da war es normal, dass es Raum gab, für Leute die kein Geld haben, dass die genauso Teil sind, wie Migrant_in nen, Illegalisierte, Obdachlose, Drogenabhängige. Heute ist das anders. Da besetzt man vielleicht mal symbolisch ein Haus, während man Sozialarbeit studiert.

Es gab also eine bestimmte Form des Scheiterns, was die Zusammenarbeit mit Prekarisierten und Ausgegrenzten angeht, die dann zu der Art Identitätspolitik geführt hat, wie wir sie heute in weiten Teilen der radikalen Linken vorfinden. Lässt sich eurer Meinung nach trotz des historischen Scheiterns der autonomen Linken derzeit noch ein Aufbruch entwickeln? Welches neu politische Verhältnis zur Realität muss dafür aufgemacht werden?


X: Die Stärke der legalistischen Eventpolitik hat mit der Schwäche der radikalen Kräfte zu tun. Und dass man das Feld den ganzen Akademiker_innen überlassen hat. Egal, warum das mal gescheitert ist. Ich glaube wir sind wieder an dem Punkt, neue Schritte zu wagen, auf gleicher Augenhöhe mit Anderen in Kontakt zu treten, um dann raus zu kriegen, was überhaupt miteinander geht.

Y: Das fällt aber nicht vom Himmel. Die Leute, die glauben, dafür keine Zeit zu haben, keine Kapazitäten und so weiter, haben im Grunde nicht den politischen Willen, sich mit Leuten zu verbinden, die nicht so pc unterwegs sind. Da steht ein Bruch an, der ist überreif! Aber wichtig ist, was Neues politisch und praktisch stark zu machen.

Mal im Ernst: Steht man da gerade nicht leider auf ziemlich verlorenem Posten? Was sind denn die radikalen Forderungen, die sich daraus ergeben? In Berlin gibt es ja Forderungen, die Eigentumsfrage in das Zentrum des Mietkampfs zu rücken. Wäre das so ein Beispiel?

X: Wir müssen vor allem der Fragmentierung des Sozialen begegnen. Die arme Rentnerin kapiert oft nicht, was sie denn mit den Alkis zu tun hat. Was haben die mit Harz IV, mit prekarisiert Arbeitenden, mit Geflüchteten, mit Alleinerziehenden... Wir müssen entlang der Armutsfrage neue Fronten aufmachen und neue Bündnisse eingehen. Und internationalistisch denken.

Die Eigentumsfrage ist eine zentrale Frage. Die wird aber gezielt beiseite gedrängt, von den etablierten Linken. Oder sie wird akademisch behandelt und nicht praktisch übersetzt. Das ist dann wertlos, weil nichts mehr in der Praxis erprobt wird. Wir brauchen im Alltag Versuche, Räume auf zu machen, zu besetzen und zu verteidigen. Sowohl klandestin militant als auch durch Massenmilitanz.

Es gilt, nicht neue Räume für Subkulturen zu entwickeln, sondern ganz praktisch für Leute, die gar nicht wissen, wie sie hier sozial und wirtschaftlich noch über die Runden kommen sollen.

Y: Gerade scheint es mir wichtig, dass die Frage der Armut gekoppelt wird mit einer Kritik an der Flüchtlingspolitik und dem Mietkampf. Es braucht da eine grundlegend revolutionäre Auseinandersetzung. Jede Form von Teilbereichskämpfen führt da nicht weiter. Es müssen Solidarisierungseffekte und Verbindungen zwischen den Kämpfen der Geflüchteten und der Armen geschaffen werden.

ab

Das Interview wurde leicht gekürzt.