Über die Proteste zur Eröffnung des neuen Gebäudes der Europäischen Zentralbank Fische in Zeiten der Teilzeit-Revolte

Gesellschaft

Am 18. März 2015 sah ich um neun Uhr am Vormittag in der „Tagesschau“, dass vor „Harry's Aquarium“ ein Polizeiauto brannte.

Polizeieinsatz an der Blockupy-Demonstration in Frankfurt
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Polizeieinsatz an der Blockupy-Demonstration in Frankfurt Foto: Picturepest (CC BY 2.0 cropped)

23. März 2015
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Das viel und gern verspottete Apostroph ostdeutscher Läden kurz nach der Welten-Änderung und nach den schnellen Existenz-Neugründungen habe ich inzwischen als westdeutsche Grammatikseuche erfahren; auch darin waren die Brüder und Schwestern den Ostdeutschen voraus -, „Harry's Aquarium“ ist ein weiträumiges Geschäft im Ostend von Frankfurt am Main. Es liegt an der Hanauer Landstrasse. Um die Ecke zieht sich die Sonnemannstrasse hin, und an der Sonnemannstrasse steht das neue Hochhaus der Europäischen Zentralbank.

Das Polizeiauto brannte an dem Tag, als die Europäische Zentralbank (EZB) offiziell eröffnet wurde. Bisschen verschämt das Ganze. Der Draghi war da, der Feldmann als amtierender Oberbürgermeister, die Roth als gewesene Oberbürgermeisterin. Und ein paar andere politische Figuren, mir fällt grad nicht ein, wer noch. Es sollen Oliven und Saft gereicht worden sein, nachdem kurze Reden gehalten worden waren. Der Hubschrauber, der über dem Gelände in der Luft stand, nervte. Aber das Geräusch kriegten die hinter schallgeschützten Scheiben vermutlich nicht mit.

Zwei Wochen davor hatte ich in „Harry's Aquarium“ für einen Film gedreht. Der Ladenbesitzer, Harald Listmann, berichtete mir vom Strukturwandel (‚Gentrifizierung') des Stadtviertels Ostend. Der Bau des Hauses der EZB ziehe eine Aufwertung des Quartiers nach sich. Was nicht die ganze Wahrheit ist. Das Gebäude mag seine Wirkung haben, die Ursache für den Strukturwandel ist es nicht.

Vor Jahren schon begann eine Umschichtung, wie sie aus anderen hippen Städten und hoppen Vierteln geläufig ist. Wohnungen werden teurer, der Bedarf ist gross, Vermieter und Besitzer dürfen davon ausgehen, dass auch höhere Mieten anstandslos gezahlt werden. Von Leuten, die ein dickeres Portemonnaie haben. Wo einst Studenten, Künstler, Tagelöhner, sozial Schwächere und sonstiges Pack wohnten, zieht nach und nach der Betuchte ein, mitsamt der Familie, die er sich auch noch leisten kann. Oder sie, die sich entweder eine Familie leisten kann oder den Lifestyle, der so durch die Werbung dröhnt. Dünn, blond, geschmeidig; ich kann da ganz gut speien.

Zurück in „Harry's Aquarium“. Harry alias Harald wird seinen Laden anno 2015 aufgeben. Hat noch einen anderen Grund als den des Strukturwandels, nämlich einen Grund des Verhalten-Wandels. Die Leute kämen und liessen sich von ihm beraten. Dann sagten sie Danke, gingen wieder – und bestellen Fische und alles, was zur Fischhaltung dazugehört, im Internet. Das sei ein riesiges Problem des Einzelhandels. Ich fand, das sei ein Problem menschlichen Anstands und der Fairness. Aber auf so was zu pochen, ist ohnehin reichlich dämlich in Zeiten der Beschleunigung. Und wer schaut sich schon noch Fische in einem Aquarium an! Ich bitte sie! Feenbärblinge und Längsband-Zwergbärblinge! Amerikanische Rotflossenorfe und Genetzte Süsswasserrochen! Die kann man nicht mal essen! Oder man braucht ganz viele von ihnen für einen Teller Fischsuppe.

Apropos lernte ich, dass Fische sensibel seien. Als die Kamera zu nahe an ein Aquarium rückte, wichen die Fische zurück. Sie würden die Veränderung spüren, erklärte Harry. Sie würden durchaus darauf reagieren, wenn sie, im Wasser dämmernd und schwimmend und recht eigentlich hellwach, durch die Glasscheibe glubschten. Eine Kamera, die sie aus dem mild plätschernden Nass in den kalten, ewigen, digitalen Ozean beförderten, wäre eine echte Bedrohung. Wie russische Atomraketen für Dänemark.

Und an all das musste ich denken, als ich am 18. März mich aufmachte, um durch das Ostend zu stromern und zu schauen, was das da für eine Blockuppy-Demonstration sei. Ich kam auch bei „Harry's Aquarium“ vorbei. Der Laden war zu, die Schaufenster waren heil geblieben. Was man von einigen Autos, einigen Werbetafeln, einigen Strassenbahnstationen und der „Sparkasse 1822“ an der Hanauer Landstrasse nicht sagen konnte.

Ich musste an die Fische denken. Die armen! Wie werden sie sich gefühlt haben in Betracht der Revolte auf der Strasse? Der Feuerstellen, der Rauchschwaden, der hektisch hin und her rennenden Menschen. Alle vermummt. Die einen in ihre Kapuzen gehüllt, die anderen in ihre schwarzen Rüstungen? Was für ein Aquarium von bizarren Lebewesen vor dem Laden!

Eckhard Mieder