Meine fünf Cent zu inner-feministischen Auseinandersetzungen Quo vadis Anarcha-Feminismus?

Gesellschaft

Im Folgenden plädiere ich dafür, in Abgrenzung zu Queerfeminismus, Radikalfeminismus und liberalem Feminismus einen eigenständigen anarch@feministischen Ansatz zu entwickeln.

Queer-anarchistischer Protest am Christopher Street Day in Berlin (2020).
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Queer-anarchistischer Protest am Christopher Street Day in Berlin (2020). Foto: Sargoth (PD)

15. März 2023
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Dieser müsste eine Erneuerung gegenüber früheren derartigen Ansätzen darstellen, da diese nicht am Puls der Zeit sind.

Mir ist bewusst, dass meine Kompetenz, zu diesem Themenfeld zu sprechen begrenzt ist. Zudem bin ich als männlich sozialisierte Person weniger und anders vom Patriarchat betroffen, als Menschen mit anderen Positionierungen. Deswegen sind diese Überlegungen als ein Versuch anzusehen, meine eigenen Gedanken auf diesem Weg zu äussern. Denn ich möchte dem Thema die Bedeutung zukommen lasse, welche sie tatsächlich für umfassende Emanzipation hat.

Wenn du eigene Gedanken zum Thema hast oder dich auch aus einer anderen Positionierung heraus dazu äussern möchtest, schreib mir gern und ich veröffentliche deinen Beitrag, wenn er aus anarchistischer Perspektive geschrieben ist.

In der gesellschaftlichen Linken wird bekanntermassen seit einigen Jahren eine Debatte zwischen sogenanntem „materialistischen“ „Radikalfeminismus“ und Queer-Feminismus geführt. Jene spitzte sich zumindest an einigen Orten und insbesondere in sozialen Medien zu handfesten Auseinandersetzungen zu, wie sie vor 10 bis 20 Jahren der Clash zwischen „Anti-Imperialisten“ und „Anti-Deutschen“ darstellte. Meiner Wahrnehmung nach werden derartige Konflikte nacheinander in verschiedenen Städten ausgetragen, schwellen ab und flammen anschliessend wieder auf.

So wichtig Streits um unterschiedliche Positionen auch sind, ist die Weise, wie sie häufig ausgetragen werden das reinste Gift für die Stärke, das Bewusstsein und die Organisierung sozialer Bewegungen. Diese zersplittern dadurch ins Sektenwesen, wobei die Weise, wie die Auseinandersetzungen geführt werden, zugleich Ausdruck von sektiererischer Mentalität und Erfahrung ist.

Ich gebe offen zu, dass ich mich der queer-feministischen Denkweise immer stärker hingezogen habe, als der vermeintlich „radikalfeministischen“. Erstere schien mir intuitiv ein viel radikaleres Verständnis von Geschlechtsidentität ihrer Einbettung in Gesellschaftskritik zu beinhalten. Bei Letzterer begriff ich nie, was das Adjektiv „materialistisch“ wirklich bedeuten soll, ausser ein Zauberwort darzustellen, welches aus Gründen, die mir seine Vertreter*innen nie wirklich plausibel erläutern konnten, der Wirklichkeit näher kommen würde. Ich bin auch immer wieder auf Ausprägung queerfeministischer Vorstellungen und Praktiken gestossen, deren Sinn mir nicht ersichtlich war. Inzwischen würde ich diese aber häufig eher als liberale Varianten des Feminismus bezeichnen und sie vom Queerfeminismus, wie ich ihn verstehe, abgrenzen.

Als männlich sozialisierte Person kam ich in Auseinandersetzung mit meiner eigenen Geschlechtsidentität immer wieder an den Punkt, dass das Patriarchat die Ursache meiner eigenen Verunsicherung ist. Keineswegs bin ich aber so stark und auch in anderer Weise von patrarchalen Strukturen, Denk- und Verhaltensweisen betroffen, wie weiblich gelesene Personen oder Trans-, Inter-, Nonbinary oder Agender-Personen. Deswegen versuchte ich mich mit ihnen zu solidarisieren, was mir bedauerlicherweise meist schlechter als besser gelang. Ich möchte damit weiterkommen, um einen anderen Umgang mit mir selbst zu entwickeln, meinen eigenen anarchistischen Ansprüchen gerecht zu werden und diesem Themenfeld den Stellenwert zu geben, welcher er für die Emanzipation insgesamt hat.

Meine eigene Positionierung geschah in Hinblick auf feministische Themen also anhand von eigener Affinitäten und den Debatten, welche ich mitbekam, kaum aber anhand eigener theoretischer Beschäftigung mit dem Feminismus. Vielleicht ist es aber gerade dieser gewisse Abstand, mit welchem ich sagen kann, dass ich die Weise, wie die Auseinandersetzungen zwischen Queerfeminist*innen und sogenanntem Radikalfeminist*innen geführt werden, häufig als künstlich aufgebauscht und strategisch fatal empfinde. Zu kritisieren ist die Verleumdung der jeweiligen Gegenseite, dass Aufbauen von Strohpuppen und die gezielten Eskalationsversuche von Akteur*innen beiderseits, die sich in Opferrollen inszenieren, um ihre Gegner*innen zu diskreditieren und zu delegitimieren.

Und Anarchist*innen – wie verhalten sie sich in Hinblick auf diese Debatten? Häufig wenden sie sich gegen TERFs (Transpersonen ausschliessende Radikalfeministinnen) und SWERFs (Sex-Arbeiter*innen ausschliessende Radikalfeministinnen), welche Transpersonen unlautere Motive bei dem Wunsch nach der Veränderung ihrer Geschlechtsidentität unterstellen und Sex-Arbeiter*innen absprechen, selbstbestimmt Handeln und Kämpfen zu können. Anders als der frühere Gleichheits- und Differenzfeminismus scheint der vorgeblich „materialistische“ „Radikalfeminismus“ auf Opfer angewiesen zu sein, um sich selbst begründen zu können

Auch mit Gleichheitsfeminismus wird davon ausgegangen, dass Frauen* patriarchal unterworfen werden – weswegen sie vor allem sozial, rechtlich und politisch gleichgestellt werden sollen. Im Differenzfeminismus werden positive vermeintlich „natürliche“ weibliche Eigenschaften betont – und damit eine patriarchale und auch heteronormative Zweigeschlechtlichkeit reproduziert. Dennoch zielen beide früheren Ansätze auf eine Ermächtigung patriarchal abgewerteter Geschlechter ab, wie es im Queerfeminismus ebenfalls geschieht. Sogenannte Radikalfeministinnen scheinen sich hingegen nicht primär vom patriarchalen Herrschaftsverhältnis, sondern von anderen Queerfeminist*innen bedroht zu fühlen, weil sie die von ihnen naturalisierte Geschlechtlichkeit angreifen würden.

Wenn Menschen ernsthaft glauben, Geschlechtsidentität wäre ebenso wie die gesellschaftliche Wirklichkeit eine blosse Frage der Konstruktion ohne jede materielle Grundlage, führt dies zu absurden Schlussfolgerungen. Dies ist bei Queerfeminist*innen allerdings nicht der Fall, welche ja in die materielle Realität eingreifen und sie umformen, ohne die Bedingungen ihrer gesellschaftlichen Gewordenheit und der Kräfte, welche auf sie wirken, abzustreiten. Und auch der Wunsch danach, sich eine Geschlechtsidentität oder Seinsweise wählen zu können, wie es mensch beliebt, ist meiner Ansicht nach im Kern emanzipatorisch.

Dass dieser Voraussetzungen hat, die klassenbasiert äusserst ungleich verteilt sind trifft zu. Es trifft aber auf jegliche Emanzipationsmöglichkeiten zu, die daher eine radikale und umfassende Gesellschaftstransformation insgesamt initiieren. Wenn der Queerfeminismus nicht richtig verstanden wird, braucht es jedenfalls den materialistischen Feminismus, um ihn auf die Boden der Tatsachen runter zu bringen und in konkreten feministischen Kämpfen und den Erfahrungen vieler FLINTA* zu erden.

Anarchist*innen beteiligen sich und werden zerrieben in den zeitgenössischen Auseinandersetzungen zwischen Queerfeminismus und Radikalfeminismus. Das ist schlecht, weil sie ihre Energie weit besser für die Unterminierung des Patriarchats aufwenden könnten. Es wäre aber auch unnötig, wenn ihre eigenen Grundlagen stark genug ausgebaut werden würden. Deswegen braucht es in Abgrenzung vom liberalen, queerfeministischen und materialistischen Feminismus eine eigenständige und erneuerte anarch@feministische Strömung und Theorie.

Jene kann zum einen aus den bedauerlicherweise nur gering vorhandenen anarchafeministischen Beiträge, zum anderen aber in theoretischer Reflexion und Auseinandersetzung mit den anderen feministischen Strömungen herausgearbeitet werden, ohne deren Annahmen lediglich zu reflektieren. Dazu wären auch die wiederum verschiedenen anarchistischen Sichtweisen auf den Feminismus zu integrieren. Gibt es aktuell einen Arbeitskreis Anarch@Feminismus im deutschsprachigen Raum, der sich dieser Aufgabe widmet?

Jonathan Eibisch