No fake anymore – die wahrheitsliebende Timeline Captain Future

Gesellschaft

Vorbei scheint die Zeit der alternativen Fakten von sich selbst überhöhenden Egozentrikern. Mit dem Abdanken von Trump aufgrund seines gescheiterten Dekrets vom Frühjahr 2019 sprechen einige Fortschrittsgläubige gar von einer neuen „Ära der Faktizität“.

Captain Future: No fake anymore – die wahrheitsliebende Timeline.
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Captain Future: No fake anymore – die wahrheitsliebende Timeline. Foto: Wikiremus (CC BY-SA 4.0 filtered - cropped)

11. April 2017
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Korrektur
Die meisten haben die populistischen Auswüchse des Post-Faktischen satt und setzen ihre Hoffnungen zur Bewältigung der erneuten Krise auf eine „neue Glaubwürdigkeit“. Die Zuwendung zu „persönlicher Integrität“ wird von den derzeitigen Modebegriffen truth und credibility wiedergegeben. Das neue Motto lautet „echt sein“ - „stay real!“.

Nach Jahren der Flut von Fakes und manipulativen Informations-Einschlüssen gehe es nun um Nachvollziehbarkeit. Nur eine überprüfbare Wahrhaftigkeit und stabile Vorhersagbarkeit könne jetzt neues Vertrauen in die ramponierte politische Klasse schaffen.

Den Alphamännern aus dem Silicon Valley gelingt es erstmalig, den rückwärts gewandten Privatheits-Fetischisten ihre moralisch überlegene Position streitig zu machen. Denn in diesen Zeiten des Misstrauens lassen sich Tools zum Faktencheck und zur Kommunikationskorrektur durchsetzen. Die Bereitschaft sich umfänglicher Kontrolle zu unterwerfen, um soziale Glaubwürdigkeit zu erlangen, ist enorm gestiegen. Was vor Jahren noch über den verstetigten Anti-Terror-Diskurs zwangsweise hergestellt werden musste, ist nun zum Zeitgeist geworden.

Jugendliche halten die beschönigenden Lügennarrative ihrer Elterngeneration für fakeverdächtig, sofern sich im Netz keine überprüfbaren Hinweise finden lassen.

Alles soll sich im Zweifel einem klärenden timeline-check unterziehen. Dieser Faktencheck ist das ultimative Mittel im sozialen Umgang geworden. Im automatisierten Scan wird das gesamte Web auf vermeintliche Authentizität untersucht. Angeblich wahrheitswidrige Inhalte werden als solche markiert. Viele setzen ihr persönliches Umfeld permanent der „Korrektur“ durch Datenbankabgleich und maschinelles Lernen aus. Vorlaute „Besserwisser-Apps“ für die Sprachassistenten von Amazon und Google melden, wenn im Raum gesprochenes im Widerspruch zu vermeintlichen Fakten aus dem Netz steht. Von Kritikern als Klugscheisser-App verschrien, entwickelt sie sich dennoch zum Standard-Werkzeug einer zutiefst verunsicherten Gesellschaft. Glaubwürdigkeit, Transparenz, Überprüfbarkeit werden als neue Grundsteine sozialer Währung aufgewertet.

Geflüchtete mussten ja schon 2017 auf Aufforderung ihr Handy auslesen lassen, um ihre sozialen Kontakte, Aufenthaltsorte und Aktivitäten offenzulegen. 2020 soll das nun zum Standard für die Gesamtbevölkerung in Deutschland eingeführt werden. Einfach um zu verifizieren, mit wem wir es wirklich zu tun haben. Bei der Überprüfung der Personalien spielt der Personalausweis kaum noch eine Rolle. Die smarte Gesichtserkennung ist mittlerweile zuverlässig, die voice-recorder erkennen unser Stimmprofile einwandfrei.

Mittlerweile nutzen 2,8 Mrd Menschen Facebooks wahrheitsliebende Timeline „the truth“. Sie wird nicht mehr allein von der jeweiligen Person selbst mit Inhalt befüllt. Im automatisierten trut-hcheck werden vom System erkannte Falschdarstellungen markiert und Ausgelassenes sichtbar eingefügt. Niemand muss „the truth“ aktivieren, aber ohne diesen Quasi-Standard ist es schwer geworden, eine Wohnung, einen Job oder eine Kreditkarte zu bekommen. Damit brauchst du „the truth“, um ein Auto oder eine Ferienwohnung zu mieten. In die USA kommst du schon lange nicht mehr ohne. Die neue Timeline mausert sich zum erweiterten Standard für Verlässlichkeit. Die alten Ausweispapiere sagten ja nicht wirklich was über die Person aus – was sie macht, mit wem sie Kontakt hat, wo sie in letzter Zeit war.

Unsere Timeline wird gespeist mit sämtlichen Interaktionen unseres Alltagslebens. Sie bekommt automatisch einen Verbindungsknoten zur Timeline einer anderen, sobald wir sozial interagieren – egal ob ein reales Treffen, per Chat, Messenger oder ganz altmodisch per Mail. Gemeinsame Erlebnisse produzieren gemeinsame Timeline-Stränge. Ein nachträgliches Verändern oder Löschen bedarf zwar nicht der Zustimmung derer, mit denen ich ein Erlebnis teile, aber der Eingriff in die Timeline wird ersichtlich. Ein Löschen wird also erkennbar mitgeloggt und angezeigt. Zu viele nachträgliche Eingriffe in meine Timeline verringern - für alle sichtbar - meine Glaubwürdigkeit.

Das ganze politische Ausmass der Fake-Hysterie bleibt vielen jedoch verborgen: Facebook etabliert in Kooperation mit der Bundesregierung auf der Basis des vereinbarten Fake-Filters eine sehr effiziente Zensurmethode.

Politisch unerwünschte Netzinhalte werden nicht selten als Fake gebrandmarkt, um dann mit dem Mainstream-Segen entfernt zu werden. Anonym veröffentlichte Links werden unmittelbar entfernt. Sie stehen in Konflikt mit den „Glaubwürdigkeitsrichtlinien“ des Konzerns.

Was Wahrheit ist und was nicht definiert nun „the truth“.

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