Prototyp des neoliberalen Zeitgeists Expats sind besonders gehätschelte Immigranten

Gesellschaft

Nützliche, ausländische Kaderleute erhalten Steuerprivilegien und müssen sich nicht integrieren. Es sind Immigranten erster Klasse.

Laut einer Studie, welche die Grossbank HSBC in Auftrag gegeben hat, liegt die Schweiz bei den beliebtesten Länder für Expats auf Platz 5. Hier das Nord Stream Bürogebäude in Zug, Schweiz.
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Laut einer Studie, welche die Grossbank HSBC in Auftrag gegeben hat, liegt die Schweiz bei den beliebtesten Länder für Expats auf Platz 5. Hier das Nord Stream Bürogebäude in Zug, Schweiz. Foto: Alexey M. (CC BY-SA 4.0)

4. Oktober 2017
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Das Wort Expat ist die Kurzversion des englischen Begriffes expatriate. Ex steht in Latein für ausserhalb und patria für Vaterland. Der Begriff beschreibt also eine Person, die im Ausland lebt. Was ist der Unterschied zum Begriff Immigrant? Sind ein Expat und ein Immigrant nicht das Gleiche? Wieso verwenden die Gesellschaft und insbesondere die Medien mehrere Begriffe, um Personen mit ausländischen Wurzeln zu beschreiben?

Expat, Prototyp des neoliberalen Zeitgeists

Der Journalist Mawuna Remarque Koutonin stellt in einem Artikel im britischen Guardian fest, dass die Bezeichnung Expat ausschliesslich für weisse, hoch qualifizierte Menschen verwendet wird, während alle anderen Ausländerinnen und Ausländer als Immigrantinnen und Immigranten bezeichnet werden.

Im allgemeinen Sprachgebrauch scheint es tatsächlich eine klare Trennlinie zu geben. Araberinnen und Araber in Europa, Philippinische Haushaltshilfen in Hong Kong und mexikanische Bauarbeiter in den USA werden Immigranten genannt.

Die US-Bankerin in London oder der deutsche Arzt in Zürich hingegen sind Expats. Diese gelten im Gegensatz zu den andern als positiv und wirtschaftlich nützlich.

Expats scheinen die Prototypen des neoliberalen Zeitgeists zu sein: mobil, global, top ausgebildet und für die Wirtschaft eine Bereicherung.

In den Medien wird der Begriff Expat häufig für Immigranten aus dem benachbarten Raum verwendet und wenn von hochqualifizierten Berufstätigen die Rede ist.

Wohnungsprobleme und Image der Schweiz

Die Berichterstattung über Expats ist nicht ausschliesslich positiv. Der Tages-Anzeiger beispielsweise greift dieWohnungsverknappung in Zürich auf, die durch Expats verursacht werde.

Häufig wird darüber berichtet, wie beliebt die Schweiz bei den Expats ist. SRF zitiert eine Umfrage, welche die Grossbank HSBC in Auftrag gegeben hat. Die Studie erstellte ein Ranking der beliebtesten Länder für Expats. Die Schweiz liegt darin auf Platz 5.

Gemäss einer anderen Rangliste, auf welche in einem NZZ Online-Artikel verwiesen wird, liegt die Schweiz auf Platz 31 von 67. Urheber des Rankings ist die kommerzielle Plattform InterNations – gemäss ihrem Selbstbeschrieb handelt es sich dabei um eine Community für Expats und Global Minds.

Trotz unterschiedlichen Plätzen im Ranking wird bei beiden Studien die Freundlichkeit der Schweizerinnen und Schweizer bemängelt. In den meisten Berichten bleibt die Definition jeweils gleich: Expats sind hoch qualifizierte, berufstätige Einwandererinnen und Einwanderer.

Unter Immigrantinnen und Immigranten gibt es keine Umfragen darüber, wie sie ihre Gastländer in einem Ranking bewerten. Araberinnen, Nigerianer oder Nordafrikaner in Europa, Philippinische Haushaltshilfen in Hong Kong oder mexikanische Bauarbeiter in den USA werden überwiegend in einem negativen Licht dargestellt.

Immigration ist ein Reizthema

Der britische Professor für Medienforschung Majid KhosraviNiks stellte in einer Diskursanalyse fest, dass Printmedien das Wort Immigrant häufig in einem negativen Zusammenhang verwenden. Berichte über Immigration handeln in der Regel von Kriminalität, Illegalität oder von Integrationsproblemen. Dabei werden nicht selten Ängste der Bevölkerung genährt.

Eine Suche auf der Schweizer Mediendatenbank zeigt, dass das Wort Expat innerhalb eines Jahres 243-mal in Schweizer Printmedien verwendet wurde, das Wort Immigrant 2534-mal und der Begriff Flüchtling 37'031 mal. Das Wort Flüchtling wurde somit 152-mal mehr verwendet als der Begriff Expat und Immigrant zehnmal mehr. Die Zahlen beziehen sich auf den Zeitraum vom 23.11.2015 bis zum 22.11.2016.

Steuerliche Privilegien für Expats

Der Staat definiert den Begriff Expat sehr konkret in der Expatriate Verordnung:

«Leitende Angestellte sowie Spezialistinnen und Spezialisten mit besonderer beruflicher Qualifikation, die von ihrem ausländischen Arbeitgeber vorübergehend in die Schweiz entsandt werden. Als vorübergehend gilt eine auf höchstens fünf Jahre befristete Erwerbstätigkeit.»

Die Verordnung regelt, welche Berufskosten steuerlich für den Abzug berücksichtigt werden können. Dies sind Reisekosten zwischen dem Wohnsitz im Ausland und der Schweiz (sofern der ausländische Wohnsitz behalten wird), Umzugskosten und Bildungskosten für die Kinder, wenn sie nicht in einer offiziellen Landessprache der Schweiz unterrichtet werden können.

Die Expatriate-Verordnung enthält für eine privilegierte Minderheit steuerliche Begünstigungen. Expats beziehen ein durchschnittliches Brutto-Jahressalär von 100'000 Franken, der Schweizer Durchschnitt liegt bei 77'124 Franken (Quelle: Expat Explorer by HSBC 2015 / Bundesamt für Statistik).

Expats bilden – wie Migranten – keine homogene Gruppe

Trotz staatlich festgeschriebener Definition sind Expats keine homogene Gruppe. Es kann vorkommen, dass sich eine Person mit ausländischen Wurzeln lieber als Expat bezeichnet, obschon sie länger als fünf Jahre in der Schweiz lebt. Dies wird dann je nach sozialem Ansehen auch akzeptiert. Ein Privileg, dass lediglich den hoch qualifizierten und gut bezahlten Immigrantinnen und Immigranten zusteht.

Würde sich ein Flüchtling als Expat definieren, würde dies wohl kaum ernst genommen werden.

Rico Schüpbach / Infosperber

Dieser Beitrag basiert auf einer Arbeit, die der Autor als Master-Student an der Universität Pompeu Fabra in Barcelona erstellt hat.