Die Abwesenheit von Vielfältigkeit im Alltag Kein Spielraum

Gesellschaft

Seltsam, obwohl Vielfältigkeit zum Prinzip erhoben wurde, erscheint die Welt immer einfältiger. Schon seit Jahren wird der Begriff Diversity (engl. für Diversität, Vielfältigkeit) lautstark in die gesellschaftspolitische Schlacht geworfen.

Kein Spielraum: Die Abwesenheit von Vielfältigkeit im Alltag.
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Kein Spielraum: Die Abwesenheit von Vielfältigkeit im Alltag. Foto: Max Braun (CC BY-SA 2.0 cropped)

31. Januar 2017
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Mit diesem soziologischen „modernen Gegenbegriff zu Diskriminierung“ sollen „antidiskriminierende Massnahmen“ „argumentativ gebündelt“ werden, erklärt Wikipedia. Wie üblich, wird kaum nach den tieferen Ursachen von Benachteiligung und Unterdrückung gefragt. Stattdessen wird hauptsächlich mit Schlagwörtern versucht gegenzusteuern. Das Zauberwort Diversity soll die Verantwortlichen in der Business-World überzeugen, dass auch ältere Menschen oder „Ausländer“ mit anderen Religionen und Hautfarben sowie „Menschen mit besonderen Bedürfnissen“ ein Recht auf einen Arbeitsplatz haben. Da es jedoch generell viel zu wenig Arbeitsplätze gibt, wird oft beteuert, ohnehin nur eine gerechtere Verteilung der Ungerechtigkeit anzustreben. Sind wir nicht längst auf dem besten Weg dorthin?

Die UNO wollte auf die Notwendigkeit von Biodiversität aufmerksam machen und hat das Jahr 2010 zum Internationalen Jahr der biologischen Vielfalt erklärt. Ob das reicht, die Vielfalt der Arten, der Ökosysteme und der Gene zu erhalten und den Herrschern über die Monokulturen Einhalt zu gebieten? Und in der Pädagogik wurde Diversität zum Prinzip erhoben, um allen Kindern die Chance auf Bildung zu ermöglichen. Als besonders chancengleich haben sich jedoch die Auswirkungen des Konkurrenzkampfes bewahrheitet. Diese treffen tatsächlich alle Kinder – und das in immer jüngerem Alter.

Aber auch bezüglich ganz banaler Dinge merke ich im Alltag wenig von Vielfältigkeit. Ganz im Gegenteil: Wehe du passt in kein Schema und in keine Norm! Wenn dein Fall auch nur kleine Abweichungen aufweist, dann kannst du ganz gehörig zwischen die bürokratischen Mühlsteine geraten. Letztes Jahr habe ich mich bereits Monate vor meiner Bildungskarenz erkundigt, wie ich als Uni-Absolventin nochmals für diese heiligen Bildungshallen zugelassen werden könnte. Als Ausnahmefall wurde ich wochenlang im Kreis geschickt. Ähnliches widerfuhr mir nach meiner Karenzierung am Arbeitsamt. Da ich finanztechnisch angeblich ein Sonderfall wäre, fuhr ich wiederum eine Woche lang Karussell, bevor meine Arbeitslos-Meldung überhaupt akzeptiert wurde.

Nicht weniger Zeit und Energie raubend wird es zunehmend, unter all dem Einheitslook überhaupt noch etwas Passendes zum Anziehen zu finden. Abstrus, jede Saison werden in allen Geschäften Klamotten ein und derselben Fasson angeboten. Wenn deine kleine kurvige Figur in den langen geraden Pullovern und Shirts keine gute macht, hast du Pech gehabt. Oder Jeans mit etwas weiteren Oberschenkeln gibt es nicht einmal mehr in Second-hand-Läden, weil auch dort nur mehr Up-to-date-Mode verkauft wird. Falls du doch noch irgendwo ein Exemplar auftreibst, in das deine Beine passen (die trotz Sport und richtigem Essen nicht schlanker werden), dann nur um den Preis eines Stoffhängebauchs an der Jeans, weil der leibliche an dir nicht vorhanden ist.

Besonders arm an Vielfalt ist die trendige Akustik. Schrecklich eintönig klingt alles, was dir täglich zu Ohren kommt. Vom leisen, aber eindringlichen Gepiepse all der digitalen Geräte, über die schrillen Warnsignale, die jede einzelne Tür in den öffentlichen Verkehrsmitteln vor dem Schliessen von sich gibt, bis zum hämmernden Sound (den manche Musik nennen), mit dem du allerorts zugedröhnt wirst. Kein Shopping-Tempel, keine Marken-Filiale ohne Umsatz steigernder, weil enthemmender Intonationen. In den Super- und Drogeriemärkten werden die Kunden zusätzlich aus den Lautsprechern verbal animiert. Persönliche Fachberatung und -auskunft hingegen wurden hier gänzlich aufgelassen. – Musik, die mir behagt, gäbe es vielerlei. Aber auf solche spitzen meine Ohren in der Öffentlichkeit vergeblich. – Abwechslungsreicher als die Shop-Akustik ist nur der tonangebende Höllenbaulärm. Von früh bis spät, oft auch samstags oder gar nächtens nervensägende Geräusche von unzähligen Baugeräten und -maschinen oder glockenhelles Schlagen von Metall auf Metall.

Es gibt Gegenden, da reiht sich eine ein- oder zweijährige Haus-, Strassen- oder Leitungsverlegungsbaustelle an die nächste. Zehn ruhelose Jahre sind schnell um. Als Topping wird noch Fluglärm serviert. Seit dem Jahr 1999 donnern bei entsprechender Windrichtung täglich über 300 bodennahe Jets quer über Wien. Weder Naherholungsgebiete noch Seniorenwohnheime und Spitäler werden verschont. – Selbst in abgelegenen südlichen Gefilden wird das erholsame Meeresrauschen in der einsamen Bucht nach Jahrzehnten plötzlich vom Nachmittags-Disco-Sound der ankernden Schiffe übertönt und nächtens das Zikadenzirpen von den lautstarken Klimaanlagen der Nachbarzimmer. – Und das Resultat Tinnitus bietet leider auch nur einen einzigen kläglichen hohen Ton! Ebenso wenig unterhaltsam. – Grotesk, stets wird das Individuum zu gesundem Verhalten angehalten, aber gegen all diese akustischen Gemeingefährdungen gibt es keine staatlichen Einwände!?

Mit den öffentlich verbreiteten Gerüchen sieht's nicht besser aus. Während es früher in einem Schuhgeschäft nach Leder oder in einer Buchhandlung nach Papier roch, gibt heute das „Duftmarketing“ den Geruch an. In Geschäften, in Büros, flächendeckend werden „Businessdüfte“ verströmt, um den Umsatz zu erhöhen oder die Geschäftspartner besser rumzukriegen. Gesund sind diese Stoffe nicht unbedingt. Auch in den öffentlichen Verkehrsmitteln und besonders penetrant in Theatern und Konzertsälen wird systematisch beduftet. Oft riecht es auch im Park ganz künstlich blumig – wohl aus den Klimaanlagen der darunter stationierten Tiefgaragen. Im Fachjargon nennt sich das „Aktiv-Klima“. Höchst einrüchig, oder darf man das als anrüchig bezeichnen? – Wie belastend muss der Geräusch- und Geruchspegel erst für die Angestellten an ihren beschallten und vernebelten Arbeitsplätzen sein?

Der Spielraum wird immer kleiner. Wohin sollen diese Zwangsbeglückungen führen? Werden wir trotz hochgejubelter Vielfalt immer mehr in die Enge getrieben? Darf der Raum nicht nach unseren eigenen Vorstellungen bespielt werden?

Maria Wölflingseder
streifzuege.org