Drogenpolitik Dealer, anständige Bürger und die Dirty Work

Gesellschaft

Mit kaum einer Tätigkeit sind seit den 80er Jahren mehr Wahnvorstellungen und vernichtendere Werturteile verknüpft, als mit dem illegalen Drogenhandel.

Drug-Sugi Imafuku-Tsurumi Shop.
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Drug-Sugi Imafuku-Tsurumi Shop. Foto: Mr.ちゅらさん (GNU 1.2)Infrogmation of New Orleans (CC BY-SA 2.0 cropped)

24. Mai 2002
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Über kaum jemanden wollen die mediatisierten BürgerInnen derart bescheidwissen, wie über den Dealer: Er lauere in Discos, wo er ahnungslosen BesucherInnen Drogen ins Getränk schütte und TänzerInnen, sobald sie verschnaufen, zum nächsten XTC-Trip pushe.

Nur als sekundäres Problem erweist sich nämlich die jeweilige Stofflichkeit des Verschnittstoffes, was nichtsdestotrotz einer der beliebtesten Gegenstände zur Skandalisierung von Dealern ist. Heroin wird in aller Regel mit Milchpulver, Vitamin C oder Traubenzucker, Kokain mit Borax oder dem Laxativum Mannitol verschnitten.

Doch es ist vorgekommen, dass auch Mörtel im Stoff gefunden wurde, der intravenös appliziert schwere Erkrankungen verursacht, oder sogar den Tod von Junkies bewirkte.

Es gibt für dieses Streckmittel (wie im übrigen auch für Strychnin, das Drogenkrieger sogar im LSD finden wollen) keinen sinnvollen Grund und die real vorhandenen Fälle streben gegen Null. In Puncto Verschnittstoffe erstrahlt die Prohibition, das Kontrollverbot gegen dessen Aufhebung Dealer keinen Einwand hätten, in ihrer ganzen Perfidie.

Anfixen

Eine alte Mär über die Dealer stellt das Anfixen dar, was für den Wahnhaften taugt, sein eigenes Konstrukt für schlüssig zu halten, denn da Heroin und LSD Todes- und Wahnsinnsdrogen sein sollen, stellt sich jenen die Frage, warum Menschen diese überhaupt nehmen sollten. Aufbauend auf das Zerrbild der Sucht ist man schnell beim hinterhältigen Discodealer ("Lass Deine Cola nicht aus den Augen"), der immer neue Absatzmärkte erschliessen will, weshalb er Ahnungslosen "Suchtstoffe" ins Getränk schüttet.

Kein derartiger Fall ist auch nur halbwegs glaubwürdig beschrieben, ja es entwirft sogar die "Schleswig-Holsteinische Zentralstelle für Suchtvorbeugung" Gegendarstellungen zur fixen Idee der allgegenwärtigen Gefahr.

Theoretisch spricht gegen das Szenario die Abhängigkeit des Rausches vom Gefühlszustand und vom Willen, sich auf das modifizierte Wahrnehmen einzulassen. Die Möglichkeit eines schlechten Trips ist bei dem, der über ihn nichts weiss – das musste schon LSD-Erfinder Hofmann erfahren – am grössten.

Wenn die Wirkung nun nicht gefiel, besteht freilich auch kein Reiz zur Wiederholung; eingedenk, dass körperliche Abhängigkeit im nennenswerten Rahmen nur bei Opiaten eintreten kann und dazu die wiederholte Applikation binnen kurzer Zeitabstände vonnöten ist. Auch ergreift Heroin nicht den Geist des körperlich Abhängigen, so dass ihm bei Unbehagen mit seiner Abhängigkeit mannigfaltige Wege zur Entwöhnung offenstehen, wovon die wenigsten allerdings legal sind.

Ferner steht behaupteter Anfixpraxis der Wert des Stoffes entgegen: Der Verteilerhandel wird nicht von Gehaltsempfängern "der Drogenbosse" bewerkstelligt, für die es sich, wenn es sie so gäbe, eventuell rechnete, sondern eben von Usern oder Kleinunternehmern, die solche Kontingente nicht als Werbekosten absetzen können.

"Kokain mit dem Schwarzmarktwert von 6700…000 Euro wurde heute auf dem Frankfurter Rhein-Main-Flughafen von Beamten des Bundesgrenzschutzes sichergestellt." (Schall durch das Rundfunkempfangsgerät) Gerne hervorgekehrt und mit Inbrunst von kulturindustriell am Geschäft Beteiligten skandalisiert, wird die ach so hohe Gewinnspanne. Wie weiter oben schon angeklungen, ist mit ausserordentlichem Reichtum, trotz steuerfreien Einkommens, auf fast allen Ebenen des Handels Essig.

Ein Kokainhändler, deutscher Staatsangehöriger der im Kilogrammbereich tätig ist und detailliert einem Hamburger Kriminologen Auskunft gab, beziffert z.B. sein Nettomonatseinkommen inklusive der Zulage, die in seinem kleinem Dealerring nur er, als Schmuggler kriegt, auf 4.000 Euro; gerade mal höhere Einkommensgruppe selbst in der Zeit, in der es bislang für ihn am besten läuft.

Er hat keine Altersversorgung oder ähnliche soziale Sicherungssysteme, grosse Probleme, sein Geld auf der Bank anzulegen, hat keine grosse Aussicht auf kontinuierliches Einkommen, ist sozial stigmatisiert, erleidet extreme Nervenanspannung, ja, hat nicht selten aufgrund der staatlichen Übermacht gar mit Paranoia zu kämpfen und trägt bei jedem neuen Geschäft das Risiko, abgegriffen und eingeknastet zu werden.

Letztgenanntes Vergütungsprinzip findet in der Legalwirtschaft unspektakulär in Form der Risikozulage für gefährliche Jobs seine Entsprechung und genügt den Käufern üblicherweise als Argument.

Überhaupt lässt sich sagen, dass nicht die Profite an sich immens sind, sondern – das mag manchen stören- der illegale Markt lediglich blind gegenüber Qualifikationsmassstäben der ordentlichen Gesellschaft ist. Der Drogenmarkt ist für Kids aus South-Central, Hilfsarbeiter und arbeitslose AkademikerInnen eine Chance, eigenständiger Unternehmer zu sein und für bestimmte Zeit ein gewöhnliches Einkommen trotz Offenbarungseiden und SCHUFA-Eintrag zu haben.

Ethnifizierte Parallelwirtschaft und grenzenloser Staatsterrorismus

Wer an äusseren Merkmalen erkennbar, sich der Selbstverständlichkeit, in der kapitalistischen Metropole leben zu dürfen, ohne dies nicht sicher sein kann, ist noch der zuverlässigste Geschäftspartner für den illegalen Deal, zumal diesem Staat bei der Jagd auf Asyldealer anscheinend jedes Mittel recht ist.

Nachdem in strukturell rassistischer Manier Asylsuchende beim Eintreffen kaserniert und daraufhin den kruden Bestimmungen des Asylbewerberleistungsgesetzes unterworfen werden, gelangen viele abschliessend im legalen Jobmarkt gerade noch zum Kloputzen. Deutsch first.

In dieser Konfrontation mit rassistischer Gesellschaft zwangsläufig zurückgeworfen auf diejenigen, die genau wie sie nicht akzeptiert werden, wird die "Ethnie" zur Familie, die für die diskrete Parallelwirtschaft taugt.

Als unbemittelte Genuss-, also Geldbedürftige sind diese Menschen für den Handel mit illegalen Drogen reif, was zynischerweise im Umschlag den Metropolenbürgern zur Bestätigung ihres Bescheidwissens über die niedere Moral der Fremden gereicht. Die Bestrafung der Bestraften zu gewährleisten, ist Aufgabe der Polizeibeamten, die jene oftmals sowieso verachten, aber zumindest aus der Praxis um deren Scheisssituation im Rechtsstaat wissen.

Wenn in Berlin schon mal als illegale Zigarettenhändler festgestellte Vietnamesen ermordet werden, braucht es kein Untersuchungsverfahren mehr, damit sich allen zweifellos ist, dass sie Opfer "ethnieninterner" Machtkämpfe wurden. Nach Angaben deutscher Dealer wird in gängiger Polizeipraxis bei "gemischtrassigen" Aufgriffen den Ausländern die gesamte sichergestellte Menge gutgeschrieben.

Besonders menschenverachtend ist die Bullenpraxis in Bremen und Frankfurt, wo einige dunkelhäutige Menschen beim Verschlucken von "Kokainbömbchen" im Falle des Auftauchens von Polizei beobachtet wurden.

Um dem Stoff, dem Argument gegen die Anwesenheit der "Asyl-Dealer" habhaft zu werden, wurde weder eine richterliche Anordnung, die gesetzlich vorgeschrieben ist, noch schonende Verfahren wie Abführmittel mit stationärem Aufenthalt gewählt.

In der Praxis, der sich Städte wie Hamburg aus humanitären Erwägungen verweigerten, wurden in Bremen durch die Recherchen des Anti-Rassismus-Büros über 400 Fälle von brutalen Behandlungen mit einem medizinisch umstrittenen Brechmittel bekannt, die gemein hatten, dass die Opfer ausschliesslich Schwarze waren, keine medizinische Nachsorge stattfand, sondern die Misshandelten auf der Strasse ausgesetzt wurden, die Personen von den Polizisten rassistisch beschimpft und durch die Polizeiärzte als biologische Verfügungsmasse behandelt wurden.
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Bild: Kommerzielles Heroin am Anfang des 20. Jahrhunderts /Infrogmation of New Orleans (CC BY-SA 2.0 cropped)

In den meisten Fällen wurde wunderlicherweise sehr wohl die Magenschleimhaut, aber keine illegalen Substanzen erbrochen.

Diese Vorkommnisse wurden von Staatsseite lange Zeit en tout bestritten, dann in Teilen offen, in der ganzen Dimension nolens volens durch Initiierung einer gesinnungsbetonten Gegenkampagne konzediert.

Breiter Protest Fehlanzeige, wer will schon was mit Schwarzen, Autonomen und Dealern zu tun haben. Ausreichend zur Festnahme war und ist offensichtlich, dass Schwarze, die sich in Szenevierteln aufhalten, überhaupt besitzend sind (Trainingsanzug, goldene Uhr, u.ä.). Ein Dealer ist ein Schwarzer, ist ein Dealer: Da gilt der Fall der Unschuld als deren Raffinesse und ihr leibliches Wohlergehen, wenn es schon nicht stört, dann zumindest als egal.

Über VerschwörungstheoretikerInnen und die Dynamik der Hatz

Zum Abschluss zusammengesetzt ergibt sich ein aussergewöhnlich kompaktes Feindbild Dealer, dass in seiner strukturellen Beschaffenheit bemerkenswert viele Analogien zur antisemitischen Stereotype der Moderne aufweist, was Erklärungsmacht für massenbegeisternde Dynamik insofern beinhalten kann, als dass sich der moderne Antisemitismus von seinen historischen Grundlage, den Juden als kultureller Einheit, losgelöst hat.

Der analoge Ausgangspunkt beider Feindbilder liegt darin, die Ursache von Missständen in etwas Besonderem zu lokalisieren, so z.B. die Weltwirtschaftskrise 1928 ff. nicht im an sich prekären Verwertungsprozess, sondern in herbeihalluzinierter jüdischer Allmacht, die "Drogentoten" und Opfer in den Anbauländern nicht in der Prohibition, sondern im niederen Wesen der Händler.

Weiter gleichen sich die Wahnbilder in den Ideen von der Bedrohung durch heimatlose Fremde, deren Profit Wucherei sei. Beide Gruppen gelten hierüberhinaus als Repräsentanten der Zirkulationssphäre, wo kein Wert geschaffen werde, sondern raffend auf Kosten der Anständigen der Luxus bestritten werden soll.

Sie sässen in den nüchtern herbeihalluzinierten Machtzentralen der Welt, über den nationalen Regierungen, von wo aus sie das Gemeinwesen durch ihr intelligent-durchtriebenes, verborgenes und steuerfreies Geschäft schädigen. Dies sind identische Segmente, sowohl der dealerfeindlichen, als wie der antisemitischen Planke, des ticketförmigen Denkens.

Auch in der Linken geistern die Verschwörungstheorien, die den gesamten Heroin-Handel und Heroin-Boom der 60er als eine Strategie der Counterinsurgency (Anarchist Academy: "Heroin in die Ghettos"), des CIA, entlarven. Ein Punkt der aber historisch – wenn vorhanden – von abseitiger Bedeutung bleibt.

Gleichwohl schnappten dieses Vorurteil auch einige deutsche Autonome begierig auf, schrien und schrieben "Dealer verpisst euch" an die Wände ihrer Häuser. Sie wollten sicher dokumentiert über Fälle in zehn verschiedenen deutschen Grossstädten wissen, bei denen staatlich beauftragte Dealer Heroin an scheinbar leicht verführbare Fighter verjubelten.

Realiter die vielleicht skurrilste Ausformung des revolutionären Schwertwetzens gegen Unmoral und (Gegen)Wehrkraftzersetzung. Bürgerliche Journalisten halten sich eher an Verschwörungstheoretisches ihrer Couleur: So wissen Sie z.B. beizutragen, dass die neuerliche Beliebtheit von Kokain, auf eine Übereinkunft der nordamerikanischen Mafiabosse mit den südamerikanischen Kokakönigen – in der Not ob der neuen Konkurrenz durch Weckamine und LSD getroffen – zurückzuführen sei.

Auch die liberale FR bekennt sich zur bedingungslosen Unterstützung des kathartischen Schlages gegen die "Hydra" der "Kapos" (!!?) in Südamerika und die PKK-Heroin-Mafia-KurdInnen vor Ort.

Drogen sind keine Ausgeburt der Hölle, Dealer nicht paramilitärische Aggressoren der "freien Welt". Doch sie sind ein glücklicher Fund für staatliche Politik, so ausgezeichnet gar, dass sie zu den wenigen Feindbildern zählen, die am Ende des Kalten Krieges als Feindbild an Popularität gewannen. Es wird Zeit, die Ideologie abzuschaffen.

Junge Linke