Wenn Impfen zu einer Frage der Solidarität oder Pflicht wird Die falsche Richtung der Impfskepsis

Gesellschaft

Unisono hiess es bis vor kurzem vonseiten der Politik: In Deutschland wird es keine Impfpflicht geben!

Pfizer-BioNTech Impfstoff gegen COVID-19, Dezember 2020.
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Pfizer-BioNTech Impfstoff gegen COVID-19, Dezember 2020. Foto: U.S. Secretary of Defense (CC BY 2.0 cropped)

21. Januar 2021
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Jetzt hat der Ministerpräsident von Bayern Markus Söder die Impfpflicht für Pflegekräfte in die Diskussion gebracht. Damit rückt er ein Stück weit von der bisherigen Position ab. Auch der Ministerpräsident von NRW Armin Laschet betont, „dass es besser werden“ müsse mit dem Impfen bei Pflegenden (WAZ 13.1.2021).

Eine generelle Impflicht schliesst er aus und lässt damit gleichzeitig offen, ob nicht auch er für eine Impflicht für medizinische Berufe eintreten würde. Andere wie CDU-Fraktionschef Brinkhaus oder Vertreter von SPD und Linke mahnen, dass gerade eine Impfpflicht oder drohende Impfpflicht die Impfskepsis weiter befördern würde und fordern mehr Aufklärung. Doch warum gibt es überhaupt eine Skepsis gegen ein Mittel, das die Menschen vor einer drohenden Krankheit bewahren soll? Impfung als Erfolg der Pharmaindustrie Gegen Virenerkrankungen gibt es bislang so gut wie keine effektiven Medikamente. Durch eine Impfung wird der Körper dazu angeregt, Widerstandskräfte gegen Viren zu entwickeln und damit einer drohenden Erkrankung zu entgehen. Die schnelle Entwicklung von Impfmitteln in der jetzigen Pandemie gilt geradezu als ein grosser Erfolg der Medizin beziehungsweise der Pharmazie. Dass es gegen ein solches Mittel Vorbehalte gibt, auch zu grossen Teilen beim medizinisch gebildeten Personal, ist schon verwunderlich und Grund zum Nachdenken. Schliesslich wird doch immer wieder auf die strenge Überprüfung dieses Mittels verwiesen, bevor es eine staatliche Zulassung erhält.

Dabei ist dieses Verfahren verräterisch. Wieso braucht es eigentlich staatliche Prüfstellen für die Zulassung solcher Mittel? Sind nicht die staatlichen Zulassungsstellen selber institutionalisierte Impfskepsis? Eine solche staatliche Überprüfung wäre doch gänzlich überflüssig, wenn der Wissenschaft zu vertrauen wäre, dass sie ihr Bestes gibt, um die Menschen vor den Gefahren einer Infektion zu schützen. Dann reichte eine sorgfältige Prüfung unter den anerkannten Experten vollkommen aus.

Die staatliche Zulassung ist aber dem Sachverhalt geschuldet, dass Medikamente und damit auch Impfstoffe Mittel des Geschäfts sind. Sie werden nicht einfach hergestellt für die Gesunderhaltung der Menschheit, sondern um einen wirtschaftlichen Gewinn zu erzielen, aus Geld mehr Geld zu machen. Da eröffnet sich mit einer Pandemie ein sehr vielversprechendes Geschäftsfeld. Wer zuerst auf dem Markt ist, kann sein Produkt optimal vermarkten und die Preise weitgehend bestimmen. Bessere Produkteigenschaften von konkurrierenden Stoffen, zum Beispiel einfachere Lagerung bei normalen Temperaturen, können diesen Erfolg gefährden. Wie es jedoch aussieht, kommen bei der immensen weltweiten Nachfrage nach Impfstoffen alle zum Zuge.

Weil es ums Geld geht und um Markterfolge, ist die Qualität des Produktes Mittel zum Zweck. Dann können Schäden in Folge der Impfung auch in Kauf genommen werden, solange sie keine Haftungsfragen aufwerfen. Weil auch staatlicherseits ein Bewusstsein dafür vorhanden ist, dass der Impfstoff als Geschäftsmittel nicht unbedingt für die Volksgesundheit dienlich ist, bedarf es der staatlichen Zulassung, sprich der Überprüfung. Dennoch soll die staatliche Prüfung das Geschäft nicht behindern, also fällt sie auch entsprechend aus.

Impfstoffe als Geschäftsmittel

Auch wenn Virologen meist an Universitäten angestellt sind und an Viren oder Impfstoffen forschen, so wird die Entwicklung von Medikamenten und Impfstoffen überwiegend von der Pharmaindustrie finanziert, die sich damit den Zugriff auf die gewonnenen Erkenntnisse sichert und durch Patente – staatlich gesichertes Monopol – diese zu Geschäftsartikeln macht. Dabei ist es gleichgültig, ob diese Entwicklung in staatlich finanzierten Hochschulen oder in Pharmaindustrie-eigenen Laboren stattfindet.

Wer in den staatlichen Hochschulen Karriere als Professor machen will, ist gehalten, sogenannte Drittmittel einzuwerben. Sich als wissenschaftlicher Mitarbeiter in den Dienst der Wirtschaft zu stellen und dafür Forschungsmittel zu ergattern, gilt als Erfolgsausweis und Vorbedingung in Berufungsverfahren für Professoren. Insofern kann man sagen, die Wissenschaft ist zu grossen Teilen gekauft, und die vielgepriesene Unabhängigkeit der Wissenschaft eine Chimäre.

So ist es auch nicht weiter verwunderlich, dass Wissenschaftler alles tun, um sich als dienstbarer Geist für die Geldgeber zu erweisen. Da werden alle statistischen Möglichkeiten ausgenutzt, um die Güte des Produkts, das man entweder selber entwickelt oder für ein Unternehmen prüfen soll, zu beweisen. Ausgangspunkt ist die Prüfung im Labor und an Geweben oder Tieren. Eine Wirksamkeit im Organismus muss es ja schon geben.

Die erste Prüfung am Menschen besteht in der Verträglichkeitsprüfung an gesunden Probanden. Schon da stellt sich die Frage nach dem Kriterium. Etwas bewirken soll das Medikament oder der Wirkstoff im Körper, doch wie werden diese Wirkungen im Einzelnen bewertet – als erwünschte Wirkung des Medikaments oder als unerwünschte Nebenwirkung? Und wie viel unerwünschte Nebenwirkungen sind in Kauf zu nehmen und wann überwiegt die positive Wirkung die negativen? Damit verbunden ist die Frage der Dosierung, die ebenfalls zu untersuchen ist, um zu einem positiven Ergebnis zu gelangen. Die Dosierung unterstellt einen Normmenschen, den es nicht gibt.

Deshalb stellt sich auch die Frage, ob das Mittel an unterschiedlichem Geschlecht oder unterschiedlichen Altersgruppen getestet werden soll. Weil bei Kindern nicht getestet wurde, gibt es eine Altersbeschränkung des Impfstoffes, daher die Zulassung ab 16 beziehungsweise 18 Jahren. Weil die Testung auch immer mit Haftungsrisiken verbunden ist, werden auch Gruppen aus diesem Grunde ausgeschlossen, wie z.B. Schwangere. Es sind nicht medizinische Gründe, die einen solchen Ausschluss bewirken, sondern für diese Gruppe will niemand die Haftung übernehmen. Erst nach der Prüfung der Unbedenklichkeit und der Dosierung erfolgt die Testung an einer grösseren Gruppe mit einer Kontrollgruppe als Vergleich.

Da der menschliche Organismus selber Widerstandskräfte gegen Krankheiten entwickeln kann und über Selbstheilungskräfte verfügt, wird so getestet, ob das Mittel besser wirkt als die Kräfte im Körper. Dieser statistische Vergleich lässt einiges an Gestaltungsmöglichkeiten zu, das betrifft zum einen die Zusammensetzung von Versuchs- und Kontrollgruppe: Welche Personen werden überhaupt in den Versuch einbezogen und wer wird ausgeschlossen? Wie werden Untersuchungsabbrecher bei der Auswertung berücksichtigt? usw. All diese Fragen können das Ergebnis beeinflussen und werden eben auch dazu benutzt, das zu verkaufende Produkt in einem möglichst guten Licht erscheinen zu lassen. Wissenschaftler, die sich da unflexibel erweisen, dürften da nicht weiter mit Drittmitteln rechnen können.

Die staatlich institutionalisierte Produktskepsis

Dass der Geschäftszweck der Pharmaindustrie nicht eins zu eins zusammenfällt mit dem staatlichen Interesse an einer allgemeinen Volksgesundheit ist der Ausgangspunkt staatlicher Prüf- und Zulassungsinstanzen. Die Entwicklung von Medikamenten und Impfstoffen soll zwar schon Geschäftsmittel sein. Und Deutschland ist sehr stolz darauf, dass auf seinem Territorium massgebliche Firmen aktiv sind. Grössere Schäden für die Bevölkerung beim Einsatz dieser Geschäftsmittel im Gesundheitsbereich sind dennoch zu vermeiden, deshalb die staatliche Prüfung und Zulassung. Die Prüfung selber ist allerdings ausgerechnet denen übertragen, die damit ein Geschäft machen wollen. Das ist schon seltsam.

Doch der Staat erspart sich Kosten für eigene Prüfung, und so wird auch nicht das Geschäft mit diesen Mitteln unnötigerweise behindert. Die Pharmafirmen prüfen sich im Prinzip selber, sie führen alle diese Tests und auch die statistischen Auswertungen durch. Staatlich gecheckt werden die von ihnen eingereichten Unterlagen. Dass ungünstige Ergebnisse da schon mal nicht vorkommen, ist ein offenes Geheimnis, wie die Diskussion zum Beispiel um das Virenmittel Tamiflu und dessen nicht vorhandene Wirksamkeit deutlich gemacht hat. Geprüft wird die Glaubwürdigkeit und Schlüssigkeit der eingereichten Unterlagen. Und wenn die ein überzeugendes Bild abgeben, wird die Zulassung ausgesprochen.

Aufklärung tut not

Ärzte und Pflegepersonal wissen oft, zu welchen Konsequenzen der geschäftliche Umgang mit der Gesundheit führt und dass dieser nicht immer nur positive Ergebnisse hervorbringt. Ärzte wirken oft auch an Werbemassnahmen der Pharmaindustrie mit, bei der sie unter dem Titel „Anwendungsforschung“ das Medikament ihres Forschungsauftraggebers verschreiben und dazu Fragebögen ausfüllen sollen, für die sie ein entsprechendes Honorar erhalten. Dass diese Bögen der Werbung dienen und nicht unbedingt je ausgewertet werden, ist bekannt und daher gesetzlich eingeschränkt. Schliesslich kommt diese Form der „Forschung“ einer Bestechung gleich. Ärzte entscheiden über das Medikament und erhalten für die Verschreibung vom Hersteller ein Honorar.

Doch man muss nicht medizinisch gebildet sein, um zu wissen, dass das Geschäftsinteresse nicht identisch ist mit dem Interesse dessen, der dieses Produkt erhält. Und dass wegen des Geschäftsinteresses Schönfärberei bis hin zur Lüge über das Produkt gang und gäbe ist. Aufklärung über diese Zusammenhänge ist nicht gefragt, wenn Aufklärung im Zusammenhang mit der Impfung angesagt ist oder gefordert wird.

Deshalb findet auch nicht Aufklärung sondern eine moralische Ermahnung statt. Denn vieles ist über die Impfstoffe nicht bekannt, weil durch deren schnelle Entwicklung vieles noch gar nicht bekannt sein kann. So weiss man noch nicht, ob Geimpfte andere noch anstecken können oder nicht, wie lange der Impfschutz anhält oder welche langfristigen Nebenwirkungen auftreten können. Also müssen viele Fragen unbeantwortet bleiben. Deshalb wird umso mehr auf die Wirkung bezogen auf andere abgehoben. Um die Alten und Pflegebedürftigen zu schützen, aus gesellschaftlicher Solidarität soll man sich impfen lassen usw. Dabei sind diese Argumente hohl.

Warum soll sich eine Pflegekraft impfen lassen, wenn unklar ist, ob dadurch die Patienten vor einer Ansteckung geschützt werden? Was den eigenen Schutz anbetrifft, ersetzt die Impfung auch nicht das Tragen von Schutzkleidung. Vor allem der Titel Solidarität steht hoch im Kurs - und das in einer Gesellschaft, in der der Eigennutz mit Selbstverwirklichung gleichgesetzt wird! Weil jeder in dieser Gesellschaft schauen muss, wie er an Geld kommt, um sein Leben zu bestreiten und damit jeder gegen jeden antritt, muss die Gemeinschaftlichkeit umso mehr beschworen werden.

Allerdings wendet sich die Skepsis gegen das Impfen in die falsche Richtung: Ist doch eher Skepsis oder Gegnerschaft gegen die Institutionen angebracht, die Medikamente und Impfstoffe zu Geschäftsartikeln gemacht haben und machen.

Suitbert Cechura

Zuerst erschienen auf Telepolis