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Berlin: Gentrifizierung im Prenzlauer Berg

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Von den Pionieren im Niemandsland zur “Kreativen Klasse” Berlin: Gentrifizierung im Prenzlauer Berg

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Gesellschaft

Täglich lesen wir Status-Updates aus den neuen In-Vierteln Berlins: Neukölln boomt, Wedding ist im Kommen und Kreuzkölln schon zu teuer. Ein beispielhafter Fall ist der Prenzlauer Berg.

Gentrifizierung in Berlin. Die ehemals besetzten Häuser an der Mainzer Strasse in Berlin-Friedrichshain heute.
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Gentrifizierung in Berlin. Die ehemals besetzten Häuser an der Mainzer Strasse in Berlin-Friedrichshain heute. Foto: Gryffindor (PD)

Datum 7. Oktober 2014
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Erst Brachland nach dem Mauerfall, dann Spielwiese künstlerischer Pioniere, schliesslich Paradies für finanzstarke Eltern und Investoren. Der Stadt- und Kultursoziologe Thomas Dörfler nimmt den “Prenzlberg” unter die Lupe:

Gentrification ist der langsame Bevölkerungsaustauch rangniedriger durch rang- oder statushöherer Bevölkerung, so die Lehrbuchmeinung. Im Klartext und historisch auf die hiesige Situation bezogen bedeutet dies: Die vormaligen, unsanierten, vielfach von MigrantInnen und NichtkonformistInnen bewohnten “problematischen” Innenstadtgebiete der Nachkriegsmoderne werden seit circa zehn Jahren von Teilen der Bourgeoisie wiederentdeckt.

Dort realisieren sie unerwartete Lebensentwürfe: Wohnen “im Grünen”, in Lofts, mit Familie, in kleinen Townhouses. Unerwartet deshalb, weil dafür erst materielle und imaginäre Infrastruktur geschaffen werden musste: Der alte, teils aus Kaiserzeit herrührende Bestand musste erneuert oder die Kriegs- und DDR-Brachen befüllt werden. Die Lebensweise des innerstädtischen Wohnens und Arbeitens musste ins Positive gewendet werden. Wie ging das?

Die Modernisierung von Teilen der Gesellschaft brachte seit den 1990er Jahren vermehrt “Kulturarbeiter”, also Werktätige aus den mittlerweile kreativ genannten Branchen oder eigenunternehmerisch Selbständige hervor. Dieses Wohnen und Arbeiten benötigt urbane Settings. Nur dort lässt sich der echte Mehrwert dieser Arbeitsform realisieren. Vielfältige Kontakte, verschiedene Lebensentwürfe und Konsuminteressen, viele Abwechslungsmöglichkeiten in der täglichen Lebensgestaltung – das brauchen diese Milieus, um sich von “langweiligen” Angestellten in den “Normalarbeitsverhältnissen” abgrenzen zu können.

Pioniere zog es ins Niemandsland

Mittlerweile kommen noch die Familienentwürfe dazu, völlig unvermittelt, da für diese Lebensform eigentlich Vororte vorgesehen waren – die “Häuschen im Grünen”. Nun gibt es diese Häuschen auch in der Innenstadt. Vor allem in Berlin wurde dieser Teil der Stadt von den Altlasten der Nachkriegsmoderne allmählich “gesäubert”: Kriegs- und Sozialismusruinien, DDR-Architektur und Altbestand der 1970er und 1980er Jahre, in West wie Ost.

Dies geschah, weil das nonkonforme “andere” Leben nach dem Mauerfall vermehrt “Pioniere” anzog, wie das in der Literatur heisst. Wagemutige Erstbegeher urbaner Brach- und Umbruchlandschaften liessen sich in Berlin Mitte, Prenzlauer Berg und Friedrichshain nieder, wo niemals ein Bürgerlicher hingezogen wäre. Die dort in den 1990er und frühen 2000er Jahren etablierten “kreativen” Szenen schufen diese Gemengelage: Sie verdrängten ostdeutsche 'Alternative' und riefen andere auf den Plan, die sogenannten “Gentrifier”.

Diese wiederum gehörten einer anderen Klasse an, also einem anderen sozialen Milieu: Sie waren finanziell besser gestellt, teils beruflich arriviert, gesetzter oder einfach aus dem Westen, wo diese Attribute sozialstrukturell mehr zutrafen, als bei den problematischen Patchwork-Biografien der Nachwende-Ostdeutschen. Mit diesen Lebensweisen verdrängten die Gentrifier aber auch das von ihnen als “ursprünglich” aufgesuchte kreative Umfeld – ob sie wollten oder nicht. Die heutige “Kreative Klasse” hat deswegen mit den so verdrängten kreativen Lebensentwürfen der Nachwendezeit nichts mehr zu tun.

Gentrification im Feuilleton

Wer Gentrification verstehen will, sollte also bedenken: Es handelt sich um ein Klassenphänomen. Nicht im genuin Marxschen, sondern eher im Bourdieuschen Sinne. Das bedeutet: Die vielzitierte “Aufwertung” eines Stadtviertels gilt immer nur für eine bestimmte Klasse, für ein bestimmtes Milieu. Das heisst wiederum: Man sollte Gentrification nicht als “natürlichen” Prozess betrachten – eine immer wiederkehrende konservative Ausflucht. Sondern man sollte Gentrification als ökonomisch und vor allem institutionell begleitete, gewollte Verfügbarmachung von urbanem Raum für bestimmte Menschen begreifen.

Um die Feuilleton-Debatten darüber zu verstehen, muss man sich also vergegenwärtigen, welche Klasse beziehungsweise welches Milieu mit welchem Interesse der sozialen Lagerung hier spricht: Herr Füchtjohann von der Süddeutschen Zeitung, Sascha Lobo oder Herr Poschardt von der WELT werden sich natürlich über die alten nonkonformistischen Lebensentwürfe der Alternativkultur lustig machen. Als Unternehmer, Selbständige, Ex-TEMPO-Journalisten etc. gehören sie einer anderen Klassenlage an, vertreten also andere politische Ansichten und Ästhetiken.

Auf der anderen Seite stehen Künstler, Kreative oder Aktivisten im klassischen Sinne. Darunter Rocko Schamoni, Schorsch Kamerun, Diedrich Diederichsen oder Andrej Holm. Da sie Teil dieser Prozesse waren oder sind, wissen sie erfahrungsmässig immer mehr über diese Zusammenhänge als die eben genannten Journalisten. Sie dürfen darüber aber nicht in den Feuilletons schreiben, das hätte einen anachronistischen Zug im momentan allgegenwärtig gehypten Imaginären der neuen Urbanität. Man könnte es die Diskursmacht der Kulturherrschenden nennen.

Zeitungen sagen, wo es hip ist

In diesem Sinne ist der öffentliche Diskurs der wichtigsten Wegbegleiter der Gentrification. Denn woher sollen Umzugswillige oder beruflich dazu Verpflichtete wissen, wohin sie in Hamburg oder Berlin ziehen sollen? Die Journale, Zeitschriften etc., die “den Prenzlberg” Ende der 1990er Jahre erfunden haben, sind da ein gutes Beispiel: Jetzt wusste der zugezogene Westler, wo er wohnt oder wohnen wollte.

Anders ist auch das derzeitige bizarre Interesse an Neukölln nicht zu erklären und die gegenwärtigen Exzesse auf dem Wohnungsmarkt ebendort. Vor zehn Jahren haben mir Insider und Gentrification-Geschädigte in Friedrichshain und Prenzlauer Berg halb im Jux erzählt, Neukölln wird das nächste Ding und sie wären froh, wenn die Karawane endlich vorbeigezogen wäre.

Man muss für die Menschen heute vielleicht noch erwähnen, was der Signifikant “Neukölln” vor zehn oder 15 Jahren bedeutete: das Gegenteil von Hipness, Ort für hängen gebliebene Problemfälle und Losertum (aber nicht der Ort von »muslimischen Migranten«, das kam erst später mit der Islamdebatte). Mittlerweile gibt es nichts mehr zu lachen. Auch Neukölln wird Teil des globalisierten, rituellen Spiels der urbanen Hipness und wird in allen Deutschland-Reiseführern dieser Erde stehen.

Gentrification-Gegner – vereinigt euch!

Mittlerweile benutzen Leute den Begriff Gentrification – ein absolut nerdiger Fachbegriff – als wäre es für sie das normalste der Welt. Es findet natürlich auch eine kritische Auseinandersetzung damit statt. Er wird vielleicht vermehrt medial von kleinen Kanälen begleitet, nicht aber von den grossen, wie oben erwähnt. Aber es wird wie immer bleiben: Keine Diskussion kann etwas ausrichten gegen die Macht der Kapitalinteressen, begleitet von politisch gewollten Prozessen wie der Studentification (die gewünschte Ansiedelung von Studierenden, um Migrantinnen u.a. der Unterschicht zu verdrängen wie z.B. in Hamburg). Und: je mehr in den Medien über ein Viertel steht, desto schlechter ist das für die Lebensqualität dort, in welchem Sinne auch immer.

Zudem sind die Gegner der Gentrification äusserst zerstritten und verteidigen lieber kleine ideologische Vorgärten, als um das grosse Ganze zu kämpfen. In diesem Sinne sehe ich keine positiven Entwicklungen, weil sich kein temporär-kollektives Subjekt gegen diese Enteignungspolitik wendet. Spannend wird es erst, wenn die politischen Eliten selber Umschwenken, wie etwa beim Hamburger Gängeviertel geschehen.

Hier ist sogar den grünen und schwarzen Konservativen aufgegangen, dass sie damit urbane Lebensqualität verlieren würden. In diese Richtung könnte organisiert werden: politisch lagerübergreifend klarmachen, dass mit dem Verlust von Urbanität nicht nur für linke Subgruppen oder Alternativkünstler etwas wichtiges verlorengeht. Sondern auch für die Bürgerlichen, da “Urbanitas” ja immerhin seit Altertumszeiten deren erzieherisches Ideal der Stadtgesellschaft war.

Aufs Land ziehen um zurückzukommen

Dass der gegenwärtige Kapitalismus endlich und endgültig beim Cultural Mode of Production angekommen ist, also der Produktion von kulturellem Mehrwert als vielversprechendstes Feld kapitalistischer Investition, steht ausser Frage – zumindest in den westlichen Gesellschaften, aber teils auch in den globalen Metropolen des Südens, des Ostens etc. Das Urbane wird urbar gemacht durch seine Kulturalisierung, durch seine imaginäre Aufwertung als Must-Go.

Das wiederum lässt anderen, ratlos über den Bilanzkurven brütend, Investments dort lukrativ erscheinen. Wenn alle neue Urbanität wollen, ist es sinnvoll, hier Geld anzulegen. Zumal werden Immobilien derzeit als “Betongold” gehandelt: sichere Rendite, wenig Risiken, aber Planungssicherheit. Volkswirtschaftlich betrachtet ist das aber totes Kapital, da es nicht der Reinvestition in technische Modernisierung oder ähnlichem zur Verfügung steht. Es wird also auch bald zu ernsten Krisensymptomen kommen, wie sie ab 2005 in England oder Spanien auftraten.

Für Freischaffende, Künstler und Leute, die an einem nichtkommerziellen, alternativen Lebensentwurf interessiert sind, kann ich also nur raten: Zieht aufs Land, gründet Kommunen und globale Netzwerke mit wenig technischem Aufwand, und wartet, bis die Innenstädte wieder Wüsten des Kapitalismus werden, um dann dort abermals neue Chancen realisieren zu können. Detroit ist das derzeit beste Beispiel dafür.

Thomas Dörfler
berlinergazette.de

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