Nachrichten aus der Debattiermaschine (XVII) Begriffe und Ereignisse

Gesellschaft

Es ist Zeit, umgekehrt vorzugehen. Statt einem Ereignis, kaum, da es geschehen ist, quasi reflexhaft und dumpf eine eingängige Benennung zu verpassen -, sollten wir die Benennung erfinden und das Ereignis dazu erschaffen, mindestens aber herbeierwarten.

Haupteingang der T-Mobile-Zentrale in Bonn.
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Haupteingang der T-Mobile-Zentrale in Bonn. Foto: H005 (PD)

20. April 2012
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Schwupps, haben wir das Etikett schon auf der Flasche, in der der Weltgeist fest verkorkt steckt. Schwer verständlich? Ein Beispiel. Kaum fing es an der Nordküste des afrikanischen Kontinentes an. Was? Das Rumoren. Das Demonstrieren. Der Prostest. Der Aufstand. Kaum fing das alles an, schrieben die Zeitungen und nölten die Sender von „Revolution“ und vom „arabischen Frühling“.

Schon klar, dachte ich. Es muss schnell eingeordnet werden. Es muss schnell vermittelt werden. Es muss noch dazu knackig rüber- und reinkommen. Wohin und wo rein?

Ins Hirn des Rezipienten, von dem die allermeisten Journalisten meinen, er sei das Gegenteil einer eierlegenden Wollmilchsau (= mündiger, omnipotenter, leistungstragender Leser resp. Leserin), nebbich ist er nur ein dämlicher Hund, dessen vornehmste Aufgabe es ist, mit der Zeitung von heute die Zeitung von gestern zu vergessen. Damit man ihn aufs Neue belabern kann.

Also werden gleich „Diktatoren“ gestürzt, ruft Arabien (oder wie das da hinten heisst) nach der „Demokratie“, und das alles in einem mehr oder weniger blutigen Vorgang, „Revolution“ und „arabischer Frühling“ genannt. (Wie gesagt, nur mal als Beispiel.)

So viel Zeit ist da nicht, den Begriffen „Diktatur“, „Demokratie“, „Revolution“ nachzuhorchen und ihnen den Rang zu lassen, den sie nun mal in der politischen Sprache belegen. Dabei bieten diese Begriffe so weiten und nachlässigen Ausdeutungs-Raum nicht, dass mit ihnen nach Belieben gekegelt werden kann.

Oder ist da so viel Kenntnis nicht? Fehlt es an Bildung? Drängt der redaktionelle Alltag an die Oberfläche und nur an die Oberfläche? Oder ist es der blanke Zynismus, gepaart mit dem Willen zur Manipulation? Wie es den eigenen Zensor geben soll (gegeben haben soll in Zeiten der Diktatur des Proletariats, nicht in Zeiten der parlamentarischen Demokratie; „ja, wo leben Sie denn, Mieder!“), gibt es vielleicht auch den unbewussten Manipulator?

Ich zwinge mich in die Spur zurück. Zum Vorschlag:

Ich schlage vor, eine Liste zu erstellen und zu verbreiten. Eine Liste, auf der Begriffe stehen, die noch schneller zu den bald einzutretenden Geschehnissen passen. Oder, wie sich später herausstellt: eben nicht passen. (Aber dann gibt es längst andere Geschehnisse und andere Begriffe, und der Rezipient … siehe oben. Und abwägen, sich entschuldigen oder sich in Selbstzweifeln wiegen – is nich.).

Quasi wie es in Fernsehsendern und Zeitungsredaktionen vorgefertigte Nachrufe auf abgelebte Promis gibt. Kaum isser tot, isser noch mal aufm Sender und im Feuilleton.So sollen die Begriffe in vorauseilender Selbstbestätigung auf der Liste gesammelt werden.

Ganz oben könnte „Chinesischer Abend“ stehen. Wenn es dann endlich soweit ist, und ein paar hundert Millionen Chinesen in die parlamentarische Demokratie, wie wir sie haben, trippeln. Wenn die Sonne nicht mehr rot über China aufgeht, sondern blutig unter.

Oder „Chinesische Nacht“? Wobei das zu düster ist, da es sich zweifelsfrei auch wieder um eine „Revolution“ handeln wird, an deren Ende, na was? natürlich die „Demokratie“ steht. Also das Lichte, menschenrechtlich Durchwachsene; wie wir das haben, ich wiederhole mich da gern.

Auch wäre, eine andere Baustelle, ein „Amerikanischer Herbst“ denkbar. Es fehlt noch an einer schlüssigen Benamsung des untergehenden Imperiums U.S.A. Auch wenn es noch dauert, bis das Coca-Cola-Rezept von asiatischen Wirtschaftsspionen entzaubert wird und statt des Schriftzuges HOLLYWOOD in den Hollywood Hills die Buchstaben VEB PEKINGFILM stehen. Der Herbst hat bekanntlich auch viele schöne Seiten und manchmal sonnige, warme Tage.

Oder, um das Gebiet des Politischen zu verlassen und ins Harmlosere auszuschreiten, die Kultur. Es gab mal ein „Fräuleinwunder“ in der Literatur; längst gibt es das „Greisendebakel“. Es gab mal eine „Generation Golf“ und noch ein paar andere Generationen; es wird demnächst eine „Generation Krebs“ geben, der die „Generation Hoppehoppereiter“ folgt. Deutet sich schon an: das Zeitalter des Infantilen, der Daumenlutscher …

Mein Freund und Ratgeber Johannes Tütenholz, dem ich von der Absicht erzählte, eventuell ein Lexikon zukünftiger, schlagfertiger, schnell in Umlauf zu bringender Termini zusammenzustellen, war begeistert und schickte mir zur Unterstützung folgende Knittelei:

„Das Undenkbare wird erdacht,/Bevor es als Ereignis vollbracht./Erst schaffen wir das Wort,/Dann das Geschehen vor Ort./Es heisst doch ohnehin - /Und erhält so seinen Sinn -,/Dass das Wort im Anfang war:/Alles klar?“

Eckhard Mieder