Aber die Dichotomie zwischen Markt und Staat war schon immer bloss eine analytische, eine künstliche Trennung zweier aufeinander bezogener und wechselseitig aufeinander angewiesener Bereiche. So verhält es sich auch mit der Abgrenzung der Commons von diesen beiden Koordinationsprinzipien.
Die wechselseitige Bedingtheit von Markt und Staat ist seit der Finanzkrise (wieder) Common Sense: Genauso wie ein „freier“ Markt auf die rechtlichen, im Gewaltmonopol letztlich kulminierenden Garantien des Staates angewiesen ist, braucht ein moderner (Wohlfahrts-)Staat zu seiner Finanzierung auch Zonen produktiven und innovativen Wettbewerbs auf Märkten. Im Fall von Commons werden diese Zusammenhänge noch viel weniger anerkannt. Genau diesen Punkt macht aber Felix Stalder in seinem Beitrag Dinosaurier des 21. Jahrhunderts? Zur Zukunft von Gemeingut, Staat und Markt stark, wenn er betont: „Das Gemeingut steht nicht jenseits von Markt und Staat, es ergänzt beide.“
Der Eiserne Urheberrechtsvorhang
Besonders offensichtlich wird die Abhängigkeit einer „neuen Ökonomie des Teilens und des offenen Zugangs“ von den „alten“ Bereichen Staat und Markt, wenn diese im Weg stehen: Die Automatik eines All Rights Reserved-Urheberrechts in Kombination mit einer Schutzfrist von bis zu 70 Jahren nach dem Tod des Autors bzw. der Autorin behindert die Freiheit der Kreativität wie einst der Eiserne Vorhang die Reisefreiheit. Gefahr droht dem Austausch von und dem Aufbau auf vorhandenen Ideen. Dem nicht genug: Der Markt und die ihn beherrschende Rechteverwertungsindustrie sucht – vom faktischen Schutz der Urheberrechtsnorm enttäuscht – ihr Heil in noch viel restriktivererDigitaler Rechteverwaltung (DRM).Besonders restriktiv sind Kreativitätsbarrieren dort, wo marktliche und (quasi-)staatliche Mechanismen ineinandergreifen. Zum Beispiel, wenn sich grosse Medienkonzerne gemeinschaftlich ein neues Leistungsschutzrecht „erlobbyieren“. Oder wie im Falle von Verwertungsgesellschaften, die ihr staatlich abgesichertes De-facto-Monopol dazu nutzen, ihren Mitgliedern mit De-facto-Gesetzen die Freigabe auch nur einzelner Werke (z.B. mittels einer Creative-Commons-Lizenz) zu verbieten. Entweder-oder. In oder Out.
Während die exzessiven Schutzfristen im Urheberrecht das Baumaterial für die Fundamente einer neuen „Sharing Economy“ über die Massen begrenzen, drohen DRM und Trusted Computing auch noch die kleine aber fruchtbare Allmende desFair Use auszutrocknen. Zusammen haben beide das Potential, neue Formen von Produktion und Kreativität auf Basis von Gemeingütern in die Nische zu verbannen bzw. sie dort festzuhalten.
Wo ist der Markt für Freie Software?
Aber nicht nur rechtliche Altlasten und neue Vermarktungsstrategien stehen im Weg. Auch dort, wo die schöne neue Urheberrechtswelt schon Realität ist, in den Gefilden von Wikipedia und Creative Commons, von Social Media und Blogosphäre, steht sie auf tönernen Beinen. Denn immer ist das Funktionieren der Community auf das jeweils andere angewiesen. Sie braucht stabilisierende, marktliche oder staatliche Strukturen, auf denen sie gedeihen und prosperieren kann. Ein Umstand, der bereits im meistzitierten Imperativ des Freie-Software-Papsts Richard Stallman mitschwingt, der sagt, bei Freier Software gehe es um Redefreiheit, nicht um Freibier.Stallman stellt klar, dass bei beiden Bedeutungen des Wortes „free“ der Akzent eindeutig auf „frei“ und nicht auf „gratis“ liegt. Darin verbirgt sich auch die Einsicht in die Notwendigkeit eines Marktes für Freie Software, wenn diese zum dominanten Modell der Software-Erzeugung und -Nutzung werden soll. Zumindest in diesem Punkt gibt es auch völlige Übereinstimmung zwischen den Philosophien von Open Source und Freier Software. Auch abseits von Software sind die Verfechter von Peer-Produktion und Open Content beständig auf der Suche nach brauchbaren Geschäftsmodellen – also Märkten für und auf Basis von Communities. Gerade auch anlässlich des zehnten Geburtstags von Creative Commons werden vor allem kommerzielle Anwendungen wie Jamendo oder Magnatune (zu Recht) als Pioniere gefeiert.
Ähnliches – allerdings bezogen auf staatliche Urheberrechtsregulierung – gilt auch für den Kern aller neuen Urheberrechtsökonomien: das Copyleft-Prinzip. Wie neben Stallman auch Lawrence Lessig, der Gründer von Creative Commons, nicht müde wird zu betonen, ist Copyleft eben nicht das Fehlen von Copyright, sondern eine alternative, quasi gegen sich selbst gerichtete Anwendung des Urheberrechts. Für das Funktionieren (zum Beispiel im Rahmen von Märkten) ist jede noch so freie Urheberrechtslizenz genauso auf staatliche (Vertrags-)Garantien angewiesen, wie es ihre etablierten All-Rights-Reserved-Pendants in der „Old Economy“ auch sind.
Überleben im „Community-Gehege“
Die Angewiesenheit auf das „Andere“, das „Alte“ geht aber noch weiter, noch tiefer und schwankt zwischen subtil und offensichtlich. Social Media und Blogosphäre dürfen hierfür als Paradebeispiele dienen: Einerseits ist es erst das Zusammenspiel von Wikis, Feeds und sozialen Netzwerken, die das im Web seit Beginn angelegte Potential für Kooperation und Teilen zur Blüte bringt. Andererseits tragen sich die allerwenigsten Plattformen selbst und wenn, dann nur mit Hilfe des „Aal-Prinzips“ – „Aal“ als Akronym für „Andere arbeiten lassen.“Nun basieren strenggenommen auch gemeinnützige und politische Projekte wie Wikipedia oder grosse Teile der Blogosphäre auf diesem Aal-Prinzip. Hier profitieren alle – auch die übergrosse Mehrheit der Nur-KonsumentInnen – von der Arbeit der aktiven Wikipedia- oder BloggerInnen-Community. Dass dabei jeder und jede gleichzeitig Konsument und Beitragender ist oder sein kann, ist hier Teil der Lösung sowie des Problems.
Denn diese Umstände sind heute solange kein Problem, wie Unternehmen gewillt sind, mit in anderen Märkten verdientem Geld und der Hoffnung auf irgendeine zukünftige Rendite das „Community-Gehege“ weiterhin zu betreiben und zu pflegen. Alle Rechte das konkrete Gehege betreffend, bleiben dabei selbstverständlich vorbehalten, denn das Internet wird den Nutzern – in den Worten von Sascha Lobo – „nur geborgt“. Freie Projekte werden weiterhin überleben und wachsen, solange sie genug bzw. immer mehr SpenderInnen – mit Beiträgen in Form von Geld und Arbeitszeit – finden, die sich ebenfalls anderswo ihren Lebensunterhalt verdienen.
Dieser Situation inhärent ist aber eine Gefährdung genau jener Tugenden und Vorzüge, die einer neuen Ökonomie von und in Communities zugeschrieben werden, nämlich ihrer Freiheit, Offenheit und ihres egalitären Charakters. Wie steht es um mehr Meinungsfreiheit und -vielfalt sowie umYochai Benklers Bottom-Up-Media, wenn die übergrosse Mehrheit aller Blogs und Podcasts auf kommerziellen Plattformen gehostet und damit prinzipiell kommerzieller Willkür überantwortet sind?
Wie frei und offen sind Peer-Produktion und Communitys, wenn der Eintrittspreis vor allem in Bildung, Zeit und Zugang zum Netz besteht? Was nützt die freie Lizenz eines Videos auf YouTube, wenn ich mit dem Upload nicht nur sämtliche Rechte mit übertrage sondern sich gleichzeitig YouTube-Eigner Google das Recht vorbehält, jegliches Material jeder Zeit und ohne Angabe von Gründen wieder zu löschen? Von der Wahl des Videoformats ganz zu schweigen. So gross ist der Fortschritt vom „All Rights Reserved“ des Urheberrechts zum „All Rights Reserved“ des Webspace-Inhabers also nicht.
Neofeudalismus im Web
Neue Formen digitaler Ökonomie sind auf einen Dreiklangdigitaler Freiheiten aus freiem Netz, freier Universalmaschine Computer und freiem Webspace angewiesen. Wie jede Form von Freiheit stellen sich auch die digitalen Freiheiten nicht von alleine ein und sind prekär: Die Neutralität des Internets gegenüber den transportierten Daten wird von den Netzbetreibern schon längstunterlaufen.Überwachungschips (Trusted Platform Modules) nehmen BenutzerInnen in immer mehr Geräten – vom PC bis zum Mobiltelefon – die Kontrolle über deren Verwendungsweise. Und selbst die wachsenden, mit freien Inhalten gefüllten Reservate einer digitalen Allmende sind oft nur Untermieter in proprietären Gemäuern, wie zum Beispiel die offen lizenzierten Fotos auf Flickr.
Einher mit diesen Bedrohungen geht eine seltsame Ohnmacht vieler kritischer AkteurInnen: Netzneutralität wird auf staatlicher, wenn nicht gar supranationaler Ebene verhandelt. Die Überwachung und Beschränkung der Nutzbarkeit von Computern mittels „Trusted Computing“ und DRM wird von schwer fassbaren, transnationalen Konzernen und Konsortien vorangetrieben. Und was freien Webspace angeht, basiert das Web 2.0 auf neofeudalen Strukturen, wo Unternehmen Speicher gnädig im Austausch gegen Wohlverhalten und Werbung zugestehen.
Was tun?
Wie dagegenhalten, wenn auf der anderen Seite mächtige und ressourcenstarke, globale Player stehen? Wo dagegenhalten, wenn sich diese Auseinandersetzungen in transnationalen Arenen entgrenzter Staatlichkeit abspielen? Vielleicht lohnt es, dem Betrunkenen gleich, den Schlüssel dort zu suchen, wo das Licht der Laterne leuchtet, wo Selbstermächtigung in Diskurs, Auseinandersetzung und Kooperation mit – im doppelten Sinne – angreifbaren Akteuren möglich, ja die Regel ist: auf der lokalen, der kommunalen Ebene.Je mehr und stärker der Zugang und die Nutzung digitaler Technologien Voraussetzung für die Teilhabe an Gesellschaft und sozialem Leben wird, umso mehr wird auch eine Grundversorgung in diesem Bereich zu einer öffentlichen und damit kommunalen Aufgabe. Manches ist in diesem Zusammenhang auch bereits im Gange: Eine Stadtteilbibliothek ohne Internet-Terminals und freies WLAN ist bereits ein Makel. Internet- und Computerkurse gehören mittlerweile zum Standardrepertoire von Volkshochschulen und ähnlichen (Weiter-)Bildungseinrichtungen.
Anderes aber ist selten oder gar nicht auf der (kommunalpolitischen) Agenda: Von wenigen Leuchtturmstädten wie München abgesehen, scheuen die allermeisten Kommunen ein dezidiertes Bekenntnis zu Freier bzw. Open-Source-Software in ihrer Verwaltung und an den von ihnen ausgestatteten Schulen. Weder bei der Förderung noch bei der Verwendung freier Lizenzen für digitale Inhalte nehmen Kommunen eine Vorreiterrolle ein. Und im Infrastrukturbereich, wenn es um die Schaffung digital-öffentlicher Räume oder um eine Basisversorgung mit Internet geht, lassen sich kaum noch (erfolgreiche) Beispiele finden.
Dabei ist eines klar: In dem Masse, in dem Meinungsbildungsprozesse in virtuelle Räume ausgreifen oder sogar dorthin wandern, stellt sich auch die Frage nach Zugangsbarrieren zu digital-öffentlichem Raum; nach virtuell-öffentlichen Plätzen ohne Konsumzwang, ohne vor- oder nachgelagerte Zensur und ohne unmittelbar-reziproke Pflicht zur Gegenleistung.