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«Tracking & Profiling» Was Sie schon immer über den Überwachungskapitalismus wissen wollten, aber nie zu fragen wagten

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Die meisten von uns konsumieren täglich Internetdienste wie Suche, E-Mail, Nachrichten, Karten und Navigation.

Was Sie schon immer über den Überwachungskapitalismus wissen wollten, aber nie zu fragen wagten.
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Was Sie schon immer über den Überwachungskapitalismus wissen wollten, aber nie zu fragen wagten. Foto: Mario Sixtus (CC BY-NC-SA 2.0 cropped)

17. Oktober 2022
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Wir nehmen diese Dienste als umsonst wahr, schliesslich bezahlen wir ja kein Geld dafür. In Tat und Wahrheit bezahlen wir jedoch mit unseren Daten und/oder unserer Aufmerksamkeit, die wir im Gegenzug den Internetdiensten zur Verfügung stellen. Mit diesem Artikel beginnen wir eine Serie zu einem Thema, welches von der Wirtschaftswissenschaftlerin Shoshana Zuboff unter dem Begriff «Überwachungskapitalismus» zusammengefasst wird.

Wie sieht dieser Deal «Internetdienstleistungen gegen Daten» eigentlich genau aus? Ohne in diesem ersten Artikel zu sehr ins Detail zu gehen, lässt sich zusammenfassen, dass dieser Handel nicht nur massive negative Auswirkungen für einzelne Nutzer:innen und Konsument:innen hat, sondern auch für die Gesellschaft in ihrer Gesamtheit:
  • Aus unseren Daten, die sich die Techfirmen aneignen, lassen sich unsere privatesten und intimsten Lebensumstände ablesen, und sie können gegen uns verwendet werden (so legte beispielsweise der Generalsekretär der US-amerikanischen Bischofskonferenz sein Amt nieder, nachdem ihn seine Smartphone-Daten als Nutzer der Dating-App Grindr und als Besucher von Homosexuellenbars outeten).
  • Die Betreiber:innen Sozialer Medien (nicht nur, aber in erster Linie Facebook) haben dank unserer Daten die Macht, ganze Wahlen zu beeinflussen und somit ganze Gesellschaften zu manipulieren. Auch in der Schweiz wurden bereits Nutzer:innendaten für Wahlkämpfe gekauft und genutzt.
  • In den USA wurde das Ausmass und die Detaillierung der Datensammlung bereits als Bedrohung der nationalen Sicherheit erkannt, zumal feindliche Akteure die Daten nicht einmal selbst erheben müssen, sondern bequem einkaufen können.
Als Informatiker:innen und netzpolitisch Interessierte beschäftigen wir uns nicht nur aufgrund der Sorge um unsere eigene Privatsphäre mit diesen Themen, sondern werden auch immer wieder im Rahmen von Interviewanfragen und Hintergrundrecherchen damit konfrontiert. Deshalb haben wir – die Fachgruppe «Tracking & Profiling» der Digitalen Gesellschaft – uns vorgenommen, die zugrundeliegenden Mechanismen zu verstehen und in Form eines allgemeinverständlichen Dossiers zu dokumentieren.

Wir werden in einer Folge von Artikeln die verschiedenen Aspekte des Trackings und Profilings beschreiben. In diesem ersten Artikel wollen wir ausser einer Einführung auch einen Überblick geben, damit in den darauffolgenden Texten der Kontext klar ist, wenn wir zu einzelnen Aspekten mehr in die Tiefe gehen.

Tracking und Profiling sind nur zwei Phasen der gesamten «Verarbeitungskette» unserer Daten. Es handelt sich natürlich nicht um eine simple Abfolge von einzelnen Schritten, wir stellen sie aber der besseren Verständlichkeit halber schematisch und vereinfacht dar: Tracking ist der erste Schritt. Hier werden die Daten erhoben, sei es in Apps, die wir auf unseren Smartphones benutzen, sei es durch Cookies oder andere Mechanismen auf Webseiten, die wir besuchen.

Je mehr Daten verwendet werden können, desto mächtiger werden sie in der Summe. Deshalb werden Daten über uns aus verschiedenen Quellen (Apps, Browser etc.) zusammengeführt, oft auch aus solchen der Offline-Welt. Dieser Schritt wird meist als Linking oder Aggregation bezeichnet. Ziel ist die Zusammenführung der Daten, die zum gleichen Datensubjekt gehören. Hier tummeln sich die Datenbroker, unbekannte und obskure Firmen, die ihr Geld mit Datenhandel verdienen.

Im nächsten Schritt, dem Profiling, werden weitere Eigenschaften abgeleitet und Profile gebildet. Dies bedeutet, wir kommen in Schubladen mit anderen Datensubjekten, die die gleichen Eigenschaften haben: Was sind unsere demographischen Eigenschaften, Interessen, Kaufabsichten etc.?

Diese Informationen werden dann im nächsten Schritt, beispielsweise der personalisierten Werbung, dazu verwendet, uns mehr oder minder passende Werbung anzuzeigen. Werbeplätze in Apps und Webseiten werden unter Werbetreibenden in Sekundenbruchteilen versteigert. Durch diese Versteigerungen verdienen in erster Linie Google und Facebook, aber auch andere ihr Geld. Jedes Jahr nehmen sie so Dutzende von Milliarden Dollar ein. Natürlich können Firmen unsere Profile nicht nur für personalisierte Werbung und Inhalte nutzen, sondern auch für automatisierte Entscheidungen. Kriminelle und Geheimdienste können diese Daten missbrauchen. Politische Parteien und Organisationen könnten sie für politische Werbung und Kampagnen oder für politische Manipulation einsetzen.

Auf jeden dieser Schritte werden wir in den folgenden Artikeln genauer eingehen. An manchen Stellen werden wir Umwege über Spezialthemen nehmen. Wir werden beispielsweise die Ankündigung von Google, Third-Party-Cookies nicht mehr zu unterstützen, genau unter die Lupe nehmen und abschätzen, ob dieser Paradigmenwechsel wirklich eine Verbesserung bringt. In einem anderen Abstecher untersuchen wir, ob personalisierte Werbung wirklich die einzige erfolgversprechende Form der Werbung im Internet ist (Spoiler: nein; je nach Bereich ist kontextbasierte, also nicht-personalisierte Werbung, sogar besser).

Andreas Geppert / dg

Dieser Artikel steht unter einer cc by-sa 4.0 Lizenz und ist zuerst im Blog der Digitalen Gesellschaft erschienen.

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