Faschisten entwickelten mit Clearview gezielt die weltweit leistungsfähigste Gesichtserkennungstechnologie Techno-Faschismus

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Die Huffington Post, eine us-amerikanische Zeitung, hat im März 2020 enthüllt, wie sehr die Gesichtserkennungssoftware „Clearview AI“ von Faschisten und sog. Neoreaktionären gezielt entwickelt worden ist.

Überwachungskameras in London.
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Überwachungskameras in London. Foto: Genesis12 (PD)

26. Februar 2021
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Der rechtsradikale Milliardär Peter Thiel (Paypal-Gründer, Vorstandsmitglied von Facebook und Berater von Trump) gab dafür Geld. Ein ganzes Netzwerk von US-Nazis bildet den Hintergrund für einen technologischen Angri , dessen Dimension uns erschaudern lässt.

Dieser Text ist zum grössten Teil eine stark gekürzte Zusammenfassung der gut dokumentierten und sehr ausführlichen Recherchen der Huffington Post und ergänzt diese teilweise durch eigene Einschätzungen.

Wir haben bereits einige Recherchestränge weggelassen, aber es tauchen trotzdem noch viele Namen im Text auf. Lasst euch davon nicht abschrecken.

Clearview AI ist nicht irgendeine Gesichtserkennungssoftware. Sie ist weltweit die derzeit leistungsfähigste. Mit mehr als 3 Milliarden Fotos, die v.a. aus Social-Media-Profilen und Websites extrahiert wurden, ist seine Bilddatenbank fast sieben Mal so gross wie die des FBI. Die mobile App kann Namen und Gesichter durch Antippen auf dem Touch-screen zuordnen. Die Technologie wird bereits in Augmented-Reality-Brillen integriert, so dass die sie tragenden Menschen fast Jeden identi zieren können, den sie anschauen. Im Zuge der Corona-Pandemie be ndet sich Clearview in Gesprächen mit staatlichen Stellen, um seine Technologie zum Aufspüren in zierter Personen einzusetzen.

Clearview hat bereits Verträge mit der Einwanderungs- und Zollbehörde und der US-Staatsanwaltschaft für den südlichen Bezirk von New York und FBI-Agenten, Mitglieder der Zoll- und Grenzschutzbehörde und Hunderte von Polizeibeamt_innen gehören USA-weit zu seinen Nutzer_innen. Insgesamt sind etwa 2200 Repressionsbehörden, Konzerne und Universitäten weltweit Kunden von Clearview (Stand Februar 2020).

Ton-That

Der CEO und Mitbegründer von Clearview, Cam-Hoan Ton-That, sowie mehrere Personen die für ihn und das Unternehmen gearbeitet haben, haben nicht nur tiefe, langjährige Verbindungen zu Rechtsradikalen – die meisten sind selber welche. Clearview gab an, sich sofort von einigen dieser Personen getrennt zu haben, als die Huffington Post um einen Kommentar zu dieser Geschichte bat, aber die weiterhin existierenden Verbindungen zwischen dem Unternehmen und der radikalen Rechten lassen sich nicht über einige wenige Entlassungen abschütteln. Clearview ist nicht zu trennen von dem Netzwerk aus dem das Unternehmen entstanden ist. Es ist sozusagen die DNA der Firma.

Über Ton-That, einen 31-jährigen australischen Hacker, der 2007 nach San Francisco zog, ist wenig bekannt. 2015 hatte er sich mit Faschisten zusammengetan, die daran arbeiteten, Trump zum Präsidenten zu machen. Zu ihnen gehörten Mike Cernovich, ein Propagandist aus Trumps Umfeld, Andrew „Weev“ Auernheimer, ein Neonazi-Hacker und Webmaster des Daily Stormer, und Pax Dickinson, der rassistische ehemalige Chief Technology Officer von Business Insider (einer Finanz-Nachrichten-Website die dem deutschen Axel-Springer-Konzern gehört), der mit Neonazis in Charlottesville marschierte.

In dieser rechten Clique traten zwei von Ton-Thats Mitarbeitern dank ihrer engen Verbindung zum Milliardär Peter Thiel (Paypal-Gründer, Vorstandsmitglied von Facebook und Berater von Trump) stärker in Erscheinung: Je Giesea, ein Thiel-Protegé und geheimer Geldgeber für rechtsextreme Anliegen, und Charles „Chuck“ Johnson, ein ehemaliger Breitbart-Schreiberling.

Die Personen, die mit Clearview zu tun haben, scheinen grosse Anstrengungen unternommen zu haben, um ihre Verbindungen zum Unternehmen und untereinander zu verbergen. Johnson zum Beispiel erscheint auf keinem der Gründungsdokumente und hat über einen Facebook-Post hinaus kaum öffentliche Spuren seiner Verbindung zu Ton-That hinterlassen. Aber mehrere rechtsradikale Quellen, die Johnson kennen, sagten, dass er und Ton-That mindestens schon 2016 in engem Kontakt standen und dass Johnson ihnen sagte, er arbeite mit Ton-That an der Gesichtserkennung.

Johnson sagte Ende des Jahres, dass er die Technologie als eine Möglichkeit betrachte, potenziell „jeden illegalen Ausländer im Land zu identi zieren“. Anfang 2017 stellte Johnson Ton-That einer anderen Quelle vor und sagte, er sei ein begnadeter Programmierer, den er für die Entwicklung des Gesichtserkennungs-Tools engagiert habe. Etwa zur gleichen Zeit gab Johnson auf Facebook an, dass er „Algorithmen zur Identi zierung aller illegalen Einwanderer für die Abschiebekommandos entwickelt“ habe.

Clearview wurde also vor allem entwickelt, um Migrant_innen zu identi zieren und abzuschieben. Clearview war von Anfang an ein rassistisches und faschistisches Projekt.

Milliardär Thiel selbst hat ein offensichtliches Interesse an Massenüberwachung: Palantir, sein Big-Data-Analyse-Konzern, sammelt riesige Mengen persönlicher Informationen über Immigrant_innen und undokumentierte Arbeiter_innen und liefert die Analyseinstrumente für Razzien der US- Einwanderungs- und Zollbehörde. Im Jahr 2017 wurde Thiel einer der ersten Investoren von Clearview. Und jedes Mal, wenn die Polizei Clearview benutzt, lädt sie Bilder von Personen, die sie zu identi zieren versucht – auch Opfer von sexuellem Kindesmissbrauch, von rassistischer Gewalt, Antifas etc. - in Clearviews sich ständig erweiternde Datenbank hoch, wo sie auf unbestimmte Zeit gespeichert werden.

Clearview scheint selbst die Suchanfragen der Strafverfolgungsbehörden auszuwerten. Nachdem eine Times-Reporterin Polizeibeamte ihr Foto durch die App laufen liess, erhielten die Beamten Anrufe von Clearview-Angestellten, die fragten, ob sie mit einem Journalisten sprechen würden.

Ein Mitarbeiter von Clearview verbreitet gerne Propaganda des Dritten Reichs über Juden. Ton-That behauptet nun, sich von ihm getrennt zu haben. Er war massgeblich daran beteiligt, 2016 Desinformationen von Kreml-Agenten zu säen, um die Trump-Kampagne zu unterstützen. Er gehört zu einer in Washington ansässigen konspirativen weissen nationalistischen Crew.

Ein weiterer Clearview-Mitarbeiter, der das Unternehmen erst nach einer Anfrage von Hu Post verliess, ist ein in Kroatien geborener Rechter, der 2015 schrieb, dass er „Rassismus, Ethnozentrismus, Islamophobie, Eurozentrismus und Antisemitismus von ganzem Herzen befürwortet“. „Damit eine stabile und nachhaltige globale Ordnung existieren kann“, schrieb er, „muss die Regierung der Vereinigten Staaten, wie wir sie kennen, zerstört werden“.

Ein weisser Nationalkonvent

Im Juli 2016 kamen Faschisten für den republikanischen Nationalkonvent nach Cleveland. Das intellektuelle Aushängeschild der Alt-Right-Bewegung, Richard Spencer, war dort, ebenso wie Cernovich; auch Johnson, der zu dieser Zeit GotNews betrieb, eine Website, die weisse Nationalisten beschäftigte, um rassistische Inhalte für Trump-Anhänger zu verbreiten.

Spencer nahm in diesem Rahmen an einem Abendessen mit Johnson und anderen Mitgliedern der extremen Rechten teil. Er sass an einem Tisch mit Ton-That. Dieser erzählte begeistert von seinen faschistischen Phantasien und seine Nähe zur „neoreaktionären Bewegung“ wurde deutlich.

Die neoreaktionäre Bewegung, auch bekannt als „NRx“ oder „Dark Enlightenment”, ist eine Untergruppe der rassistischen, frauenfeindlichen Rechten, die sich seit über einem Jahrzehnt in den libertären Kreisen des Silicon Valley ausweitet, vor allem innerhalb der Krypto-Währungsszene. Ihre Mitglieder verehren Thiel. Mit ihren technischen Fähigkeiten und ihrem Zugang zu grossem Reichtum haben sie einen Ein uss, den die Männer in Spencers Umlaufbahn (Alt-Right) nicht haben. Ton-That hatte sich dieser neoreaktionären Vereinigung schon vor 2016 angeschlossen.

Der Hohepriester der Bewegung, Curtis Yarvin, ist ein Programmierer, der ein von Thiel nanziertes Kryptocurrency-Startup hat. Yarvin, der Sklaverei und die Apartheid befürwortet, hat argumentiert, dass die USA besser dran wären, wenn sie von einem CEO-König regiert würden. Um dies geschehen zu lassen, plädiert er für einen sanften Staatsstreich. Unter Neoreaktionären wird Trump oft als der „Gott-Kaiser“ bezeichnet, der die Ordnung - in einer angeblich von Einwanderern über uteten Nation unter der Fuchtel eines fortschrittlichen medien-akademischen Komplexes - im neonazistischen Sprachgebrauch „globales Judentum“ - wiederherstellen wird.

Giesea, dessen Verbindungen zu Thiel seit Jahrzehnten bestehen, organisierte das Abendessen in Cleveland. Er arbeitete für Thiels ersten Hedgefonds und dann für das Büro für ö entliche Angelegenheiten von Koch Industries, dem zweitgrössten Privatkonzern der USA. Thiel stellte Startkapital bereit, als Giesea seine eigene Firma gründete. Im Vorfeld der Wahlen 2016 arbeitete Giesea eng mit Cernovich zusammen, um einen Aufstand in den sozialen Medien zu organisieren, der die Energie der Rechten auf ein einziges Ziel lenken sollte: die Wahl von Trump.

In dem Leitfaden „How to Fund the Alt-Right“, der 2016 unter dem von Giesea benutzten Pseudonym online gestellt wurde, wurden Spender ermutigt, Geld an weisse nationalistische und neonazistische Organisationen zu spenden. Der Leitfaden betonte die Bedeutung der Anonymität und empfahl Spendern die Verwendung von Bitcoin und PayPal, dem von Thiel gegründeten Online-Geldtransferunternehmen.

WeSearchr

2016 richtete Johnson einen Slack-Kanal für WeSearchr ein, eine jetzt geschlossene Crowdfunding-Plattform, die er ins Leben gerufen hatte. In privaten Nachrichten aus dem Jahr 2015 beschrieb Johnson ein Treffen mit Thiel in jenem Jahr, um seine Crowdfunding-Idee vorzustellen: „Thiel gab mir alles Geld, das ich brauche“, sagte Johnson. „Stellte mir einen Scheck vor Ort aus.“

Johnson hatte einen wohlverdienten Ruf als Troll, aber er war auch ein zentraler Knotenpunkt in einem Netz radikaler Rechter.

Zu Johnson's WeSearchr-Slack gehörten Giesea, Cernovich und auch Ton-That. Insgesamt befanden sich etwa 400 Personen in der Gruppe. Ein weiteres Mitglied des WeSearchr Slack-Kanals und enger Mitarbeiter von Johnson war Auernheimer, der Webmaster von The Daily Stormer, der beliebtesten Neonazi-Website der USA.

Aurenheimer und Ton-That hatten schon 2015 über twitter Kontakt miteinander. Auernheimer sprach oft von seinem Wunsch, jüdische Kinder abzuschlachten, einen Rassenkrieg zu beginnen und die Vereinigten Staaten zu zerstören. Er hat ein riesiges Hakenkreuz auf der Brust tätowiert.

Wie Ton-That hatte auch Auernheimer ein Interesse an der Biometrie. Etwa 2016 erzählte er einem Freund, dass er „an der Gesichtserkennung arbeite, speziell über Schwarze“. Als Auernheimer von Hu Post kontaktiert wurde, stellte er klar, dass er „ein Projekt zur Rassen- und nicht zur Gesichtserkennung aufgebaut hatte, das Merkmale des gesamten Körpers, nicht nur des Gesichts, aufnahm“. Damals sei das System zu kostspielig gewesen, um es auf Drohnen zu montieren, sagte er, aber er plane, die Idee bald wieder aufzugreifen.

Auernheimer hatte jahrelang eng mit Johnson zusammengearbeitet, und auch er behauptete eine Verbindung zu Thiel. Einen Monat nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis im Jahr 2014 sagte Auernhemier einem befreundeten Hacker in direkten Nachrichten, dass er sich „mit Peter Thiels rechter Hand“ treffen würde.

Johnsons Adressbuch war gut gefüllt: Der republikanische Senator Ted Cruz aus Texas, die fremdenfeindliche Kommentatorin Ann Coulter, Blackwater-Gründer Erik Prince, der hochkarätige Anwalt Alan Dershowitz - und Ton-That, dessen technische Fähigkeiten Johnson einen anderen Weg zur Macht boten. In dieser Zeit, in der er sich unter Faschisten online und offline aufhielt, begann Ton-That mit dem Aufbau des Unternehmens, aus dem Clearview werden sollte.

Die Geburt von „Smartcheckr“

In der Wahlnacht 2016 feierte Ton-That mit den Faschisten Johnson und Dickinson in New York inmitten eines Meeres roter MakeAmerikaGreatAgain-Mützen.

Einige Monate später wurde das Unternehmen „Smartcheckr“ in New York registriert. Es wurde später in Clearview umbenannt.

Im Januar 2017 gab Johnson auf Facebook an, dass er „Algorithmen entwickelt, um alle illegalen Einwanderer für die Abschiebekommandos zu identi zieren“. Bald prahlte er vor Freunden und Bekannten damit, dass er an einem leistungsfähigen Gesichtserkennungsinstrument arbeitete.

Eine Person, die Johnson nahe stand und aus Sorge um ihre Sicherheit Anonymität verlangte, erzählte, dass sie ihn „mit einer ganzen Reihe wirklich wichtiger Leute“ im Frühjahr 2017 im Trump Hotel gesehen habe, „und er redete ununterbrochen über diese Gesichtserkennungssoftware, für deren Entwicklung er Leute angeheuert hatte“. Johnson arbeite mit „irgendeinem Programmier-Zauberer“ mit langen Haaren und Pferdeschwanz. „Er stellte ihn immer wieder als Wunderkind vor, das die Software entwickelte“, erinnerte sich die Quelle. Es handelte sich um Ton-That.

Kurz nach der Wahl sagte Johnson, „dass sie eine Möglichkeit hätten, jeden illegalen Ausländer im Land zu identi zieren“.

Ungefähr zur gleichen Zeit arbeitete Johnson hinter den Kulissen mit Giesea und Thiel - einem Mitglied des Trump'schen Übergangs-Exekutivausschusses - zusammen, um Alt-Right-Kandidaten für Ernennungen in Wissenschaft und Technologie für die neue Regierung zu empfehlen.

Im Januar 2017 leugnete Johnson den Holocaust: „Ich glaube nicht und habe nie an die Sechs-Millionen-Zahl geglaubt“, schrieb Johnson. „Ich halte die Zahlen des Roten Kreuzes von 250.000 Typhus-Toten in den Lagern für realistischer“.

Zwei Wochen nach Johnsons Holocaust-Leugnung wurde SMART-CHECKR, LLC in New York registriert. Die damit verbundene Adresse gehörte Richard Schwartz, einem Spitzenberater von Rudy Giuliani (Trump-Anwalt und ehemaliger Bürgermeister von New York). Schwartz gab später zu, einer der Gründer von Smartcheckr gewesen zu sein und er ist Präsident von Clearview AI.

Thiel war einer der frühesten Investoren des Unternehmens. Er gab im Jahr 2017 200.000 Dollar, die zwei Jahre später in Aktien von Clear-view AI umgewandelt wurden.

E-Mails und Nachrichten zeigen, dass Ton-That und Johnson 2017 über Smartcheckr in Kontakt standen. In einem E-Mail-Thread besprachen Johnson und Ton-That die Möglichkeit, Schwarze im Netz zu identizieren. „Ich arbeite daran für smartcheckr“, schrieb Johnson an Ton-That. „Planen Sie, diese Tools für unsere Jungs verfügbar zu machen.“

Noch ein Nazi bei Smartchekr: Tylor Bass. Er war einer von Ton-That's Leuten. Er war ein überzeugter Rassist. Er gehörte 2017 zu einer Gruppe weisser Nationalisten, die sich „DC Helicopter Pilots“ nannte. Die Gruppe war ein in Washington ansässiger Ortsverband von The Right Stuff, einer ein ussreichen Pro-Trump-Organisation, die aus Neonazis besteht. Die Mitglieder der DC Helicopter Pilots - wahrscheinlich eine Anspielung auf die Praxis des chilenischen Diktators Augusto Pinochet, Dissidenten hinzurichten, indem er sie aus Hubschraubern werfen liess - trafen sich regelmässig, mindestens einmal, um hakenkreuzförmige Kekse zu essen. Ein Chapterleiter war ein dem Büro für Energieressourcen zugeordneter Beamter des Aussenministeriums, der sich für einen nuklear bewa neten weissen Ethnostaat einsetzte.

Einige Wochen nach der tödlichen Kundgebung von Unite the Right in Charlottesville im August 2017, an der er teilgenommen hatte, fand er einen Job als „Ermittler“, der „ferngesteuerte Softwaretests“ bei Smartcheckr durchführte. Aus seinen Lebensläufen geht hervor, dass er Johnson geholfen hat, Kandidaten für das Übergangsteam der Trump-Administration zu überprüfen. Die Regierung lehnte einen Kommentar ab.

Ein weiterer früher Angestellter bei Smartcheckr war Douglass Mackey, der 2016 unter dem Decknamen „Ricky Vaughn“ zum Alt-Right-Superstar wurde. Der Verfechter der „globalen Vorherrschaft der Weissen“ war so e ektiv bei der Verbreitung von Pro-Trump-Nachrichten, antisemitischer Propaganda und vom Kreml stammender Desinformation, dass das MIT Media Lab seinen Twitter-Account auf einer Liste der Top-Einflussfaktoren auf die Wahl 2016 nannte, noch vor NBC News.

In einem Vorschlag, den Mackey 2017 verschickte, versprach Smart-checkr potenziellen Wählern und Spendern für 2.500 Dollar pro Monat eine Mikro-Zielgruppe. Das Unternehmen würde „unkonventionelle Datenbanken“ anzapfen. Ton-That's „proprietäre Such- und Gesichtserkennungstechnologie“ würde eine Analyse der sozialen Medien der Wähler und ihrer Ansichten zu verschiedenen Themen ermöglichen.

Anfang 2018 wurde enthüllt, dass Mackey „Ricky Vaughn“ sei - etwas, das zuvor nur hochrangigen Mitgliedern der Alt-Right bekannt war. „Einem meiner engsten Kumpels wurde gerade sein Leben ruiniert“, sagte Auernheimer über Mackey im Forum des Daily Stormer. Andrew Auernheimer war verärgert, nachdem Mackeys Identität aufgedeckt worden war.

Angestellte und Mitarbeiter von Smartcheckr verbargen nach dem Vorfall ihre Verbindungen zum Unternehmen und untereinander. Schwartz, der Helfer von New Yorks ehemaligem Bürgermeister und jetzigem Trump-Anwalt Giuliani, hat dann sein LinkedIn-Profil bereinigt. Smartcheckr nutzte einen Reputationsmanagement-Dienst, um Informationen über sich selbst und Schwartz zu unterdrücken, indem er die Google-Suchergebnisse mit gefälschten Webseiten trübte.

Schliesslich liess die Aufregung nach. Ton-That und Smartcheckr verschärften die operative Sicherheit. Sie hatten Clearview AI in Delaware im Vorjahr über einen registrierten Drittagenten gegründet und würden für das Gesichtserkennungsgeschäft zu diesem Namen wechseln.

Clearview

Im Januar 2018 tauchte Ton-That bei der von Cernovich in New York organisierten „Nacht für Freiheit“-Party auf. Auf der Bühne scherzte Gavin Mcinnes, der kanadische Gründer der neofaschistischen Proud Boys-Bande, über „Schwuchteln“ und die Genitalien von transgender-Frauen. Der Neonazi Jack Posobiec tauchte auf. Ebenso der kanadische Kultführer Stefan Molyneux und James O'Keefe, der 2009 ein von Thiel nanziertes Video drehte, in dem er sich über Farbige lustig machte.

Clearview hatte stetig mehr Investoren gefunden, u.a. Hal Lambert, einen texanischen Geldmanager und grossen Spendensammler, der Senator Ted Cruz nahe steht und behauptete, in Trumps Eröffnungskomitee zu sitzen. Lambert hatte auch früh in Anduril investiert, ein von Thiel unterstütztes Verteidigungsunternehmen, das autonome Überwachungssysteme zur Überwachung der Südgrenze der USA baut.

Während des gesamten Jahres 2018 und bis in das folgende Jahr hinein arbeitete Ton-That mit Schwartz, dem ehemaligen Helfer von Guillani, zusammen, um Strafverfolgungsbehörden für Clearview zu gewinnen.

Das Unternehmen behauptete, „Berge“ von Daten in seiner „proprietären Bilddatenbank“ zu haben. Das Clearview-Team begann, alle in den letzten 15 Jahren in den USA aufgenommenen Fahndungsfotos zusammenzufassen. Schwartz ging auf Konferenzen der Strafverfolgungsbehörden mit der Technik hausieren.

Mittlerweile meldeten sich mehrere Strafverfolgungsbehörden bei Clearview an, um die Software zu nutzen: die Staatspolizei von Indiana, die Staatspolizei von New York, die Polizei von Chicago, die Polizei von Atlanta, die Polizeidienststellen in New Jersey und Florida und das Heimatschutzministerium. Ebenso die Abteilung für Nachrichtendienste und Terrorismusbekämpfung des Texas Department of Public Safety. Im Sommer 2019 setzen „über 200 Strafverfolgungsbehörden im ganzen Land“ Clearview ein. Diese Zahl würde sich nach Angaben der New York Times innerhalb weniger Monate verdreifachen. Das Unternehmen fand auch einen grossen Kunden in der Rudin Management Company, einer Multimilliarden-Dollar-Immobilien rma, die „Hintergrund-Screenings von Pächtern und Mietern“ durchführte.

Paul Clement, der ehemaligen Generalstaatsanwalt der USA und ständige Rechtsbeistand für den Obersten Gerichtshof, bot der Polizei einen legalen Deckmantel, um Bürgerrechtsbelange zu umgehen. Dabei identifiziert eine Mehrheit der Algorithmen fälschlicherweise weibliche und dunkelhäutige Gesichter mit einer viel höheren Rate als weisse männliche Gesichter.

In seinem Lebenslauf vom April 2018 schrieb Bass, er identifiziere „Prostitution und Bandenverbindungen von Subjekten innerhalb von 24-Stunden-Fristen“. In Clearview-Werbematerialien heisst es, das Unternehmen habe 2018 „begonnen, Verbrechen mit Hilfe neu entwickelter Gesichtserkennungstechnologie aufzuklären“, was bedeutet, dass Ton-That und seine Mitarbeiter fast zwei Jahre lang ungehindert in der Lage gewesen sein könnten, bei polizeilichen Durchsuchungen und strafrechtlichen Ermittlungen zu schnü eln und Bilder von Verdächtigen für ihre Datenbank zu sammeln.

Liaison mit den Strafverfolgungsbehörden

Als Clearview immer mehr Polizeidienststellen unter Vertrag hatte, interagierten die Faschisten des Unternehmens stärker mit den Strafverfolgungsbehörden. In einer E-Mail vom Dezember 2019 schlug Clearview-Mitarbeiter Marko Jukic einem landesweiten Polizeilistendienst einen kostenlosen Test der Technologie vor: „Wir laden Sie ein, die Grenzen selbst zu testen.“

Jukic veröffentlichte viel in neoreaktionären Blogs. Er war gegen den Multikulturalismus und schrieb, dass Juden nicht zu den Menschen mit europäischem Erbe gehörten.

Jukic war anfällig für wilde, neoreaktionäre Phantasien und stellte sich eine Zukunft vor, in der ein König Amerika regieren und die „Wohlfahrtsausgaben“ in Angri nehmen würde, indem er das Militär und schwer bewa nete Milizen entsandte, um die „Ghettos“ mit tödlicher Gewalt zu „befrieden“. Journalisten, die einen Fuss in die besetzten Zonen setzen, würden ermordet werden. „Gewalt ist ganz sicher die Antwort“, schrieb er. Er befürwortete den „grosszügigen Einsatz“ von rassistischen Profilen, um die Einwanderung einzudämmen, sowie eine Mauer entlang der Grenze zu Mexiko, die mit Hightech-Kameras und Drohnen ausgestattet ist.

Viele von Jukics Texten erschienen etwa zwei Jahre, bevor er nach eigenen Angaben bei Clearview zu arbeiten begann. Jukic hatte viel über seine Taktik nachgedacht und den o enen Aktivismus vermieden, den sich die Alt-Right, vor allem in Charlottesville, zu eigen gemacht hatten. Stattdessen befürwortete er das neoreaktionäre Konzept des „Passivismus“: Untertauchen, versteckte Netzwerke scha en, im Stillen die „Maschinerie“ aufbauen, um das System zu untergraben. „Der Sieg wird nicht an der Wahlurne errungen werden“, schrieb Jukic 2016. „Donald Trump wird sein eigenes Regime, seinen eigenen Staat aufbauen und ihn so gut machen müssen, dass das bestehende Regime aus Angst und Ehrfurcht vor seiner Macht zu ihm überläuft. Er wird sein eigenes Aussenministerium brauchen, seine eigene CIA, seine eigene Harvard“. Drei Jahre später wollte Jukic Clearview an die Strafverfolgungsbehörden verkaufen.

Enthüllungskrise und Nachschlag

Nachdem die „Times“ im Januar 2020 ihre Untersuchung zu Clearview verö entlicht hatte, ordnete der Generalstaatsanwalt von New Jersey an, dass die gesamte Polizei des Bundesstaates aufhören solle, dieses Instrument zu benutzen. Zwei demokratische Senatoren führten ein Gesetz ein, das ein Moratorium für die Verwendung der Gesichtserkennung durch Regierungsbeamte und Auftragnehmer vorsieht, bis der Kongress die Technologie regulieren kann.

Social-Media-Firmen feuerten Unterlassungserklärungen ab, in denen sie Clearview au orderten, Fotos und Daten nicht mehr zu verwenden. Das Unternehmen wurde mit mehreren Klagen von Personen konfrontiert, die behaupteten, dass Clearview ihre biometrischen Daten illegal erfasst habe.

Clearview rotierte, um Schadensbegrenzung zu betreiben. Ein „Benutzer-Verhaltenskodex“ wurde auf der Website des Unternehmens veröffentlicht, zusammen mit dem Versprechen, dass die Technologie keine Verbraucheranwendungen haben würde und nur Strafverfolgungsbehörden und „ausgewählten Sicherheitsexperten“ zur Verfügung stünde. Aber das stimmte nicht - Clearview warb aggressiv und erfolgreich um Unternehmen und Privatkunden wie Macy's, Bank of America und Walmart.

Clearview erlaubte auch Investoren und Trump nahestehenden Eliten, mit seiner App und seiner Datenbank zu arbeiten. Das Unternehmen richtete ein Konto für die Firma des ehemaligen Trump-Kampagnensprechers Jason Miller ein. Sein Unternehmen hat fast 20 Suchanfragen durchgeführt. John Catsimatidis, der milliardenschwere Spender von Trump und Besitzer von Gristedes Foods, der grössten Lebensmit-telkette in Manhattan, testete die Gesichtserkennungstechnologie in einem seiner Supermärkte, um Ladendiebe zu fangen. Aber Catsimatidis, der mit Schwartz befreundet ist, nutzte die App auch, um einem Mann nachzuschnü eln, den er bei einer Verabredung zum Essen mit seiner Tochter entdeckt hatte.

Ton-That schlängelte sich durch Fernsehinterviews und liess mehr Details durchsickern, während er gleichzeitig ein Recht auf Zugang zu allem, was in sozialen Medien gepostet wird, geltend machte. Eine Reihe von Banken benutzten Clearview, sagte er gegenüber CNN, aber er weigerte sich, sie beim Namen zu nennen. Er gab zu, sich mit Gesetzgebern getroffen zu haben, sagte aber nicht, was sie besprochen hatten. Er lehnte es auch ab, diese beim Namen zu nennen.

Ein weiterer Clearview-Anwalt, Tor Ekeland, tauchte auf, um Medienanfragen zu beantworten. Ekeland war ebenfalls Auernheimers Anwalt und hatte sich einen Namen gemacht, indem er diesen Neonazi aus dem Bundesgefängnis befreit hatte.

Eine weitere Runde der Schadensbegrenzung folgte, nachdem Huffington-Post mit Fragen an Jukic herangetreten war. Ton-That sagte durch einen Sprecher am 27. März, dass Clearview die Verbindungen sowohl zu Bass als auch zu Jukic abgebrochen habe.

Als HuffPost Ende März Johnson kontaktierte, gab er vor, ein verdeckter Mitarbeiter des US-Geheimdienstes zu sein, der aus der High School rekrutiert worden war. „Ich würde es vorziehen, aus allem, was Sie tun, herausgehalten zu werden“, sagte er. „Letztes Mal wurde ich fast von einer fremden Regierung getötet.“ Johnson sagte, sein Regierungsvertrag verbiete ihm, mit der Presse zu sprechen. Dann sprach er ausführlich mit der Hu Post und sagte, wenn dieser Artikel erscheint, „werden Sie unserem Land schaden, da China, Russland, Israel und Grossbritannien alle Gesichtserkennungsprodukte auf den Markt bringen, die unsere Freiheiten einschränken“.

„Charles Johnson ist kein leitender Angestellter, Angestellter, Berater und hat keinen Sitz im Vorstand von Clearview AI“, sagte Ton-That gegenüber Hu Post eine Woche nach seiner ersten Erklärung. Er weigerte sich, offenzulegen, ob Johnson eine Kapitalbeteiligung an dem Unternehmen hatte.

Im April 2016 sagte Johnson in einem Video: „Was ist das Alt-Right? Ich schätze, ich be nde mich hier sozusagen im Erdgeschoss, da ich mit Curtis Yarvin alias Mencius Moldbug befreundet bin.“ Yarvin zu lesen bedeutet, nach den eigenen Worten des neoreaktionären Paten, „Anweisungen“ für einen stillen „faschistischen Putsch“ in Amerika zu finden, der 25 Jahre, vielleicht 50 Jahre dauern könnte. Alles im Namen einer neuen Weltordnung. Autoritäre, reaktionäre und faschistische Technologie-Autoritäten entwickelten also durch ihre eigenen Unternehmen und die Komplizenschaft der Strafverfolgungsbehörden ein allsehendes Auge. Dahinter steht der Trump-Berater und Milliardär Peter Thiel. Und der meint es ernst.

Jetzt wird es die Einen geben, die sagen: „Gesichtserkennung ist scheisse. Das war doch vorher schon klar“. Und es wird die Anderen geben, die rufen: „Verschwörungstheorie!“ Wir denken, es ist o ensichtlich geworden, dass hinter der Entwicklung konkreter Technologien Menschen stecken. Finanziers, Programmierer, Netzwerker, Vordenker, Firmen und Konzerne. Der vorgeblich natürliche technologische Fortschritt ist in Wirklichkeit ein gezielt vorangetriebener. Der technologische Angri ist nicht nur ein kapitalistischer, er ist einer der reaktionären Eliten – er ist ein Herrschaftsprojekt. Gesichtserkennung ist aber nicht nur übel, wenn sie von Clearview kommt. Gesichtserkennung ist an sich ein reaktionäres, repressives Instrument, das alle soften Spielarten nur zur Verschleierung seines Wesenskerns entwickelt. Es ist im Grunde ein zutiefst patriarchales, faschistoides Allmachtsinstrument. Wie der grösste Teil der smarten Hölle.

Es wird auch nochmal deutlich, dass Trump als Repräsentant einer faschistischen Rechten an die Macht gebracht wurde. Das wurde in den letzten vier Jahren manchmal vergessen. Bei der Wahl 2020 haben über 7 Millionen Menschen mehr für Trump gestimmt als 2016 – im Wissen um ihn und seine Politik. Das faschistische und rassistische Projekt der us-amerikanischen Rechten hat zwar durch die Abwahl von Trump einen Rückschlag erlitten, ist dennoch weiterhin quicklebendig. Und es bleiben uns einige Dinge erhalten. Clearview zum Beispiel – mit steigenden Gewinnen.

Gesichtserkennung unter Corona

Noch im Juli hatte eine Vorgänger-Studie herausgefunden, dass selbst die besten der untersuchten Gesichtserkennungsalgorithmen nicht gut mit maskierten Gesichtern zurecht kamen. Die Fehlerrate gegenüber den maskenlosen Bildern lag beim Tragen einer Maske zwischen fünf und 50 Prozent.

Das hat sich inzwischen leider geändert: Die genauesten Algorithmen haben nur noch eine Fehlerquote von fünf Prozent, selbst wenn 70 Prozent des Gesichtes mit einer Maske bedeckt sind. Die Mehrzahl der untersuchten Algorithmen hat zwar weiterhin schlechtere Erkennungsraten, wenn die Personen maskiert sind, aber der Trend geht zu einer tre sicheren Identi zierung trotz Maske.

Viele Algorithmen schnitten zudem besser ab, wenn sowohl das in der Datenbank abgelegte Referenzbild wie auch das überprüfte Bild ein Gesicht mit Maske zeigen - Herzlichen Dank an alle Facebooker, Insta-Nutzer und TikToker.

Die Ergebnisse basieren auf einer Untersuchung des US National Institute of Standards and Technology (NIST), die 152 unterschiedliche Gesichtserkennungsalgorithmen geprüft hat. Nicht untersucht wurden mit Gesichtern bedruckte Masken.

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