Was wir tun müssten, damit Daten wirklich offen werden Open-Data-Debatte revisited

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Schon oft wurden die Vorzüge von Open Data (offenen Daten) besungen. Das Lied wurde von ganz unterschiedlichen Stimmen intoniert, darunter WirtschaftsvertreterInnen, Behörden und auch AktivistInnen – meist halbwegs harmonisch.

Big Bang Data exhibit at CCCB.
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Big Bang Data exhibit at CCCB. Foto: Kippelboy (CC BY 3.0 unported - cropped)

20. Juni 2017
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Daten für BürgerInnen zugänglich machen, das klingt doch sinnvoll! Doch die Stimmung wandelt sich, denn trotz eines Konsens über den Sinn und Nutzen von Open Data, sieht die Umsetzung in der Praxis schlecht aus. Der Digitalexperte und Berliner Gazette-Autor Chris Piallat berichtet:

Das Konzept Open Data (Offene Daten) ist beseelt von der Idee, dass Offenheit gut für gesellschaftliche Innovationen ist. Open Data bedeutet, dass Daten, insbesondere die von öffentlichen Institutionen produziert werden, öffentlich frei verfügbar und weiter nutzbar sein sollen. Denn nicht nur multinationale Datengiganten, auch der Bund, Kommunen, öffentliche Einrichtungen wie Ministerien, Behörden oder Verwaltungen produzieren eine Unmenge an Daten, die sich bisher aber kaum produktiv für das Gemeinwohl wenden lassen.

Die Daten sind sehr unterschiedlicher Natur. Es können Rohdaten wie Klimadaten von Messstationen, Geodaten von Landschaftsvermessungen, Verkehrsdaten des öffentlichen Personennahverkehr oder bearbeitete Daten in Form von Gesetzen, Urteilen, Gutachten und Verordnungen sein.

Was genau sind offene Daten?

Die Wikipedia beschreibt die Daten so: „Offene Daten sind sämtliche Datenbestände, die im Interesse der Allgemeinheit der Gesellschaft ohne jedwede Einschränkung zur freien Nutzung, zur Weiterverbreitung und zur freien Weiterverwendung frei zugänglich gemacht werden. Die wissenschaftliche Literatur zitiert beispielhaft Lehrmaterial, Geodaten, Statistiken, Verkehrsinformationen, wissenschaftliche Publikationen, medizinische Forschungsergebnisse oder Hörfunk- und Fernsehsendungen. Bei Open Data kann es sich über Datenbestände staatlicher Stellen hinaus auch um Daten privatwirtschaftlich agierender Unternehmen, Hochschulen sowie Non-Profit-Einrichtungen handeln.“

Angesichts dieses ungehobenen Datenschatzes für (politische) Problemlösung verfallen nicht nur Wissenschaft und engagierte Zivilgesellschaft, sondern auch zahlreiche (junge) Unternehmen in Goldgräberstimmung. Sie wittern neue Geschäftsmodelle, wie beispielsweise Apps für die Parkplatzsuche, für die spontane Wahl des Verkehrsmittels oder für die Vorhersage von Pollenbelastungen.

Kritische Stimmen sehen darin wiederum eine weitere ökonomische Inwertsetzung eines öffentlichen Gutes. Andere sehen Open Data als Teil einer modernen Standortpolitik, denn ein Staat und eine Verwaltung, die verkniffen auf Wissen in Form von Papierakten hocken, sind wenig attraktiv für eine digitale Wirtschaft.

Open Data und Wissensgesellschaft

Ob vorranging datengetriebene Unternehmen von der Öffnung der Daten profitieren oder auch zivilgesellschaftliche Akteure gemeinwohl- sozial- oder ökologisch orientierte Modelle entwickeln können, hängt massgeblich davon ab, unter welcher (Urheberrechts)Lizenz Daten frei gegeben werden.

Die Bundesregierung hat ein Portal für einige staatliche Daten aufgesetzt. Entgegen den Empfehlungen zivilgesellschaftlicher Organisationen wurde für GovData eine eigene Lizenz entwickelt, die nur bedingt kompatibel zu offenen Modellen wie Creative Commons, die weitgehende, auch kommerzielle Nutzungen der Datensätze ermöglicht.

Open Data rüttelt damit auch an einer gesellschaftspolitischen Grundfrage der Wissensgesellschaft. Sollte die Nutzung von öffentlich produzierten Daten von der Gnade der Verwaltung abhängen oder sollten Daten als Gemeingüter (Commons) verstanden werden? Sollte Daten-Eigentum mit absoluten und restriktiven Rechten erhoben werden oder offene Daten einen allgemeine Wissensallmende anreichern?

Die Openness-Bewegung

Open Data ist ein Puzzleteil eines grösseren Unterfangens, der Openness-Bewegung: Dazu gehört „Open Source“, also quelloffene, überprüfbare und veränderbare Software. „Open Access“, also freier Zugang zu Ergebnissen wissenschaftlicher Arbeit, insbesondere wenn sie öffentlich finanziert ist. Offenheit in der Wissenschaft, die gerade in postfaktischen Zeiten und angesichts der sich beim „March for Science“ manifestierenden Angst vor evidenzloser Meinungsmache nötig ist.

Weiterhin gibt es die „Open Educational Resources“, also freie und kostenlose Bildungsmaterialien, die beispielsweise in Schulen eingesetzt werden. Unter dem Stichwort „Open Government“, wird die Öffnung von Regierungs- und Verwaltungshandeln gegenüber der Bevölkerung beschrieben. „Offene Standards und Schnittstellen“ beschreibt die Nutzbarmachung von Daten, die interoperabel und über verschiedene Plattformen hinweg nutzbar sein müssen.

Auch die „Maker-„, „Do-it-yourself-“ und -Repair-Bewegung ist auf offene Wissenszugänge und Systeme angewiesen. Um es am Beispiel der Maker-Bewegung zu verdeutlichen: „Ziel vieler Anhänger ist es, mit eigenen Mitteln ein technisches Problem zu lösen, ohne den Einsatz kostspieliger Speziallösungen. Ein typisches Beispiel ist der Einsatz von 3D-Druckern, mit denen Ersatzteile für Geräte hergestellt werden. Ein anderes Beispiel wäre, einem Auto weitere Sensoren hinzuzufügen und diese auszulesen. Es gibt auch viele Mitglieder, die anderen zum Beispiel rein künstlerischen oder akademischen Projekten nachgehen. Dort stehen die Individualität und das Finden von Alternativen zu bestehenden, kommerziellen Lösungen im Vordergrund. Ein Würfel aus Leuchtdioden wäre ein Beispiel für eine rein künstlerische Zielsetzung. Für viele Mitglieder sind auch Wissensaneignung und Neugierde die Triebfedern.“

Für diese Art der Problemlösung braucht man Daten und eben offene Lizenzen, die das Rechtsregime der Nutzung festlegen. Die Open Knowledge Foundation, die seit Jahren für die Idee der Openness eintritt, definiert „open“ so:

„Wissen ist offen, wenn jedeR darauf frei zugreifen, es nutzen, verändern und teilen kann – eingeschränkt höchstens durch Massnahmen, die Ursprung und Offenheit des Wissens bewahren.“ Open Data entstammt also einerseits der Openness-Bewegung. Andererseits wurde die Idee auch stark von der Debatte um Transparenz getrieben. Für eine vitale Demokratie ist es essentiell, dass der Staat transparent agiert.

Behörden geben Daten nicht frei

Denn nur informierte BürgerInnen können mündig über die gesellschaftliche Zukunft mitbestimmen. Zugänglichkeit und Nachvollziehbarkeit staatlichen Handelns sind Grundpfeiler der Legitimität des Staates. Open Data ist also auch eng mit der Idee einer modernen und partizipativen Demokratie verwoben.

Aus dieser Idee heraus wurden Informationsfreiheitsgesetze (IFG) verabschiedet. Diese gestehen den BürgerInnen ein Recht auf Zugang zu Informationen gegenüber Behörden zu. Ein grosser Schritt, aber noch kein Dogmenwechesel. Denn Behörden sitzen wie zu Zeiten des preussischen Obrigkeitsstaates auf Daten und geben sie nur auf einzelne Nachfragen frei, oder auch nicht.

Neben den erwähnten Urheberrechten, wird immer wieder das Feigenblatt der Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse zur Ablehnung angeführt, da diese einen höheren verfassungsrechtlichen Stellenwert geniessen. Daten per IFG-Anfrage zu befreien ist ein teilweise kostspieliges und zeitaufwendiges Unterfangen. Nur wenige Akteure der engagierten Zivilgesellschaft verfügen über das technische und rechtliche Wissen dafür beispielsweise Gutachten des Wissenschaftlichen Dienster öffentlich zugänglich zu machen. Trotz der Hürden nehmen die IFG-Anfragen jährlich drastisch zu.

Nur Lippenbekenntnisse der Regierung

Open Data verlangt eine echte Umkehr eines Verwaltungsprinzips und einen Kulturwandel. Behörden müssen selber proaktiv sämtliche Daten freigeben. Nur in begründeten Einzelfällen, wenn beispielsweise die Wahrung von Grundrechten wie Persönlichkeits- Datenschutz dagegen sprechen, dürfen einzelne Informationen zurückgehalten werden. Getreu der alten Ethik des Chaos Computer Clubs „Öffentliche Daten nützen, private Daten schützen“.

Die Enquete-Kommission „Internet und Digitale Gesellschaft“ des Bundestages hat in ihren Handlungsempfehlungen an die Bundesregierung als Kriterien formuliert, damit Open Data zur vollen Entfaltung kommt. Den BürgerInnen müssen von öffentlichen Stellen Daten nutzerfreundlich, vollständig, primär, zeitnah, kosten- und barrierefrei, maschinenlesbar, nicht diskriminierend, interoperabel, nicht proprietär und lizenzfrei zugänglich gemacht werden.

Und doch, zahlreiche Studien der EU-Kommission, des Normenkontrollrats und der Open Knowledge Foundation konstatieren, dass trotz Milliarden-Euro-Potentialen von offenen Daten, Deutschland zu den Schlusslichtern beim Zugang zu öffentlichen Datenbeständen gehört. Und das, obwohl es die letzten Jahre wahrlich nicht an (Lippen-)Bekenntnissen gefehlt hat.

Alle Fraktionen im Bundestag haben in zahlreichen Anhörungen und Plenardebatten den Wert von Open Data gepriesen, die G8 hat eine Open Data Charta verabschiedet, die Bundesregierung ist nach Jahren des Zauderns der Open Government Partnership beigetreten und lässt einen nationalen Aktionsplan erarbeiten.

Nur geschehen ist in den Jahren sehr wenig. Immerhin hat die Bundesregierung angekündigt, auf den letzten Metern der Legislatur ein Open-Data-Gesetz zu liefern, dass Behörden zur Befreiung der Daten verpflichtet. Die Krux liegt hier wie so oft im Detail. Wie weit ist der Geltungsbereich des Gesetzes, werden Daten als öffentliche Güter eingestuft, wenn ja, welche, gilt dann Entglefreiheit und was ist mit dem Datenschutz? Ende offen, aber der Zwang zur Freiheit kommt vielleicht doch noch.

Chris Piallat
berlinergazette.de

Dieser Artikel steht unter einer Creative Commons (CC BY-NC-ND 3.0) Lizenz.