Internet und P2P Die Entstehung von offenem Design und offener Produktion

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Das Internetzeitalter hat freie Software wie Linux und offene Inhalte wie Wikipedia hervorgebracht - komplexe Produkte, die durch freie Kollaboration vieler geschaffen wurden, und die als Allgemeingüter allen kostenlos zur Verfügung stehen.

Die Entstehung von offenem Design und offener Produktion.
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Die Entstehung von offenem Design und offener Produktion. Foto: Victorrocha / CC BY 3.0John Volbrecht, Merit Network, Inc. (CC BY-SA 3.0 unported)

4. Juli 2011
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Verschiedene Theoretiker haben festgestellt, dass dabei eine grundsätzlich neue Produktionsweise angewandt wird, genannt Peer-Produktion. Aktuell ist sie vor allem bei immateriellen Gütern erfolgreich - bei materiellen Produkten steckt sie noch in den Kinderschuhen. Michel Bauwens argumentiert, warum aber auch hier gerade eine Entwicklung stattfindet, die die Art, wie wir Dinge entwerfen und herstellen, revolutionieren könnte.

Die Leser dieser Zeitschrift werden vertraut mit der Entstehung und Verbreitung einer neuen Form der Wertschöpfung sein, der Peer-Produktion (wie zuerst von Yochai Benkler definiert).

Bei dieser schaffen Gemeinschaften von Freiwilligen (aber auch bezahlte Kreative und Programmierer, sobald das Projekt erfolgreich wird) (offene) Inhalte oder (freie) Software, die für alle nutzbar und zugänglich sind.

Typisch für die Peer-Produktion ist, dass die Produzenten Produkte schaffen (wobei in diesem Fall beide Konzepte eigentlich irreführend sind!), sodass diese eine Allmende bilden, die von anderen genutzt und verbessert in den gemeinsamen Pool zurückgegeben werden kann.

Diese Produzenten können Freiwillige oder bezahlte Programmierer und Autoren sein, und sie operieren häufig in einem kooperativen Ökosystem zwischen Communities und Unternehmen, die Produkte für den Markt aus derselben Almende schaffen. Als typisches Beispiel kommen Linux und dessen Ableger in den Sinn, die eine Ökonomie mit einem Volumen von 36 Milliarden Dollar hervorgebracht haben.

Es ist sehr verlockend, dieses Phänomen auf das Gebiet der immateriellen Produktion zu beschränken. Wir wollen jedoch in diesem Artikel zeigen, dass dieselbe Produktionsweise, die die Welt der Open-Source-Software und freier (oft nutzergenerierter) Inhalte im Internet dominiert, jetzt auch tiefgreifend beeinflusst, wie wir über Design und Produktion nachdenken. Bevor wir diese Entwicklung beschreiben, folgen ein paar Definitionen sowie eine grundlegende Erklärung, warum die Peer-Produktion so viel Sinn ergibt.

Das Aufkommen des Internets ermöglicht Peer-Produktion

Vor dem Aufkommen des Internets als Werkzeug, das jetzt von mindestens einer Milliarde Menschen genutzt werden kann, gab es bereits drei Modelle der Produktion. Das erste ist das jetzt fast nicht mehr existierende, auf dem Staat basierende System, das im sowjetischen System verkörpert war. In diesem waren die produktiven Ressourcen Staatseigentum, der Staat organisierte die Produktion und teilte Ressourcen auf Grundlage zentraler Planung zu.

Die zweite ist natürlich marktbasierter Kapitalismus, in dem die Produktionsmittel in Privatbesitz sind, Unternehmen intern als Hierarchien organisiert sind, und Ressourcen anhand von Marktpreissignalen zugeteilt werden. Wenn der Gewinn interessant genug ist, werden Unternehmen Ressourcen in diese Richtung investieren und das notwendige Personal bezahlen. Die dritte und weniger bedeutende Form ist kooperative Produktion, bei der die Arbeiter oder andere Mitglieder das kollektive Kapital besitzen, und eine Form von interner, demokratischer Entscheidungsfindung praktizieren.

Allerdings operieren solche Genossenschaften in der Regel immer noch auf dem Markt und unterliegen der gleichen externen Dynamik wie Konzerne.

In unserem Zusammenhang werde ich sie daher nicht als eine separate Produktionsweise betrachten, sondern eher als eine Variante des Marktes. Peer-Produktion ist aber eine wirklich neue Form der Produktion. Sie basiert auf dem, was ich "genehmigungslose Selbstaggregation um die Schaffung gemeinsamer Werte" nenne.

Sie kann in drei verschiedene Prozesse unterteilt werden:

Auf der Input-Seite haben wir freiwillig Mitwirkende, die nicht um Erlaubnis zur Teilnahme bitten müssen. Sie verwenden offene, freie Ressourcen, die frei von restriktiven Urheberrechten sind, sodass sie frei verbessert und modifiziert werden können. Wenn keine offenen und freien Ressourcen verfügbar sind, bleibt Peer-Produktion möglich, solange es die Option gibt neue zu schaffen.

Auf der Prozess-Seite basiert sie auf partizipativem Design, niedrigen Hürden für die Beteiligung, frei verfügbaren modularen Aufgaben statt Arbeitsplätzen, und kommunaler Bewertung von Qualität und Exzellenz. (Ich nenne dies Peer Governance).

Auf der Output-Seite schafft sie eine Allmende - mithilfe von Lizenzen, die garantieren, dass der resultierende Wert für alle verfügbar ist, wieder ohne Genehmigung. Dieser gemeinsame Output wiederum schafft quasi eine neue Schicht von offenem und freien Material, das für die nächste Iteration verwendet werden kann.

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Bild: Overlay network. / Gustavo Lacerda (PD)

Unvollständige Variationen dieses Modells sind möglich. Zum Beispiel können Mitwirkende bezahlt werden, sogar für hierarchische Unternehmen arbeiten, aber dennoch die daraus entstehenden Werke zur Allmende beitragen, wo sie für weitere Peer-Verbesserungen zur Verfügung stehen. In der Tat ist dies für Linux und viele freie und Open-Source- Software-Projekte eine wichtige Realität, wobei fast drei Viertel der Linux-Programmierer von Unternehmen bezahlt werden.

Diese Produktionsweise funktioniert, weil bestimmte technische Voraussetzungen für die immaterielle Produktion geschaffen worden sind. Vor allem besitzen und kontrollieren heutige "Knowledge Workers" (Wissensarbeiter), im Gegensatz zu Fabrikarbeitern, im Grunde ihre eigenen Produktionsmittel, d.h. ihr Gehirn, Computer und Zugang zum sozialen Netzwerk, welches das Internet ist. Weil sie ihre eigenen Beiträge kontrollieren, können sie diese freiwillig leisten.

Weil Inhalte und Software digital reproduziert werden können, und die Kosten einer solchen Reproduktion marginal sind, sobald zum ersten Mal produziert wurde, können sie durch digitale Kopie universell verfügbar gemacht werden und sind damit nicht knapp. Sie bewegen sich somit ausserhalb des Spannungsfeldes von Angebot und Nachfrage, das für einen Markt notwendig ist. Durch das Internet ist es nun möglich, kostengünstig eine Vielzahl von Einzelpersonen und kleinen Gruppen global zu koordinieren, ohne Hierarchien zur zentralen Steuerung und Kontrolle zu benötigen.

Es ist nicht schwer zu begreifen, warum eine solche Form der Produktion hochgradig produktiv ist. Vorkapitalistische Produktionsweisen basierten im Grunde auf Zwangsmassnahmen (Sklaverei, Leibeigenschaft, etc.), benötigten also einen aufwendigen Zwangsapparat. Solche angstgetriebenen Prozesse waren sehr nachteilig für Motivation und Innovation, und brachten Fatalismus als allgemeine Haltung in solchen Kulturen hervor. Kapitalismus dagegen, basierend auf Eigennutz und dem Austausch von gleichem Wert, schafft eine positive externe Motivation aufgrund der erwarteten Rendite.

Doch diese Motivation ist abwesend, sobald eine solche Rendite nicht zu holen ist. Innovation kann in einem profitorientierten System nur relativ sein, wegen der Notwendigkeit den Rivalen auszustechen, aber kommt zum Stillstand, sobald eine Monopolstellung erreicht wird.

Schliesslich betrachten Akteure auf dem Markt nur ihr eigenes Interesse und sind strukturell nicht in der Lage externen Faktoren zu berücksichtigen. In anderen Worten: Das Ziel des Marktes ist weder Innovation per se, noch ein gutes oder das beste Produkt, und tatsächlich wenden Unternehmen viel Energie dafür auf ihre Produkte suboptimal zu machen. Beispielsweise ist es typisch für proprietäre Software, dass dir die Verbesserung des Produktes verboten ist!

Der Kontrast zur Dynamik der Peer-Produktion könnte nicht grösser sein. Diese basiert auf passionierten Individuen, und offene Gemeinschaften streben absolute Qualität und Innovation an, nicht nur relative Qualität und Innovation. Beispielsweise ist das Ziel des Firefox-Projektes kontinuierlich den bestmöglichen Browser zu machen, und weil er nicht proprietär ist, ist es allen gestattet diesen durch eine Vielzahl von Plug-Ins zu verbessern.

In der Praxis jedoch verbündet sich ein Grossteil der Peer-Produktion mit einem Ökosystem aus Unternehmen. Es ist nicht schwer zu verstehen, warum dies der Fall ist. Selbst bei sehr niedrigen Kosten brauchen Commmunities eine grundlegende Infrastruktur, die finanziert werden muss. Zweitens sind diese Communities zwar nachhaltig, solange sie neue Mitglieder gewinnen und den Verlust von Mitwirkenden kompensieren können, allerdings ist es auf lange Sicht nicht nachhaltig ohne Kompensation zu einem kollektiven Projekt beizutragen.

In der Praxis folgen die meisten Peer-Projekte einer 1-99-Regel, mit einem Prozent als sehr engagierter Kern von Individuen. Wenn ein solcher Kern keine Finanzierung für seine Arbeit bekommt, kann das Projekt nicht überleben. Zumindest müssen solche Individuen in der Lage sein, sich zwischen Allmende und Markt hin und her zu bewegen, wenn ihr Engagement nachhaltig sein soll.

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Bild: RedEagle (PD)

An Peer-Projekten beteiligte Personen können für ihre Arbeit an der Entwicklung der ersten Iteration von Inhalt oder Software bezahlt werden, oder um auf den Bedarf einer privaten Firma zu reagieren, obwohl die entstandenen Werke dem gemeinsamen Pool hinzugefügt werden. Schliesslich können selbst auf Grundlage einer frei verfügbaren Allmende viele Mehrwertdienste auf dem Markt angeboten werden.

Auf dieser Basis werden kooperative Ökosysteme geschaffen. Üblich im Open-Source-Bereich ist zum Beispiel, dass solche Unternehmen eine duale Lizenzstrategie verwenden.

Neben der Bereitstellung von abgeleiteten Dienstleistungen wie Schulungen, Beratung, Integration etc., bieten sie in der Regel eine verbesserte Profiversion mit gewissen Extra-Features an, die nicht kostenlos verfügbar ist. Die Regel dabei ist, dass 1% der Kunden für die Verfügbarkeit von 99% des gemeinsamen Guts zahlen. Solche Modelle beinhalten ebenfalls sogenannte "Benefit Sharing"-Praktiken, bei denen Open-Source-Unternehmen zur Infrastruktur der Kooperation für die jeweiligen Peer Communities beitragen.

Nun wissen wir, dass die Welt der freien Software eine überlebensfähige Ökonomie von Open-Source-Software-Unternehmen hervorgebracht hat. Die nächste wichtige Frage wird: Kann dieses Modell exportiert werden - als Ganzes oder mit Anpassungen - um die Produktion von materiellen Gütern zu organisieren?

Die Ausweitung der Peer-Produktion auf die Welt der materiellen Produktion

Die allgemeine Regel, um diese Dynamik und die Trennung zwischen der immateriellen und der materiellen Welt zu verstehen, ist die folgende: Bei immateriellen Projekten können Wissensarbeiter zusammenarbeiten, solange es dafür eine allgemeine Infrastruktur gibt, sowie offene und freie Ressourcen zur Verfügung stehen oder geschaffen werden können. Doch bei der Produktion materieller Güter gibt es unvermeidliche Kosten, um das Kapital zusammenzubekommen, und es muss zumindest Kostendeckung möglich sein.

In der Tat herrscht bei solchen Gütern per Definition Rivalität, d.h. wenn sie im Besitz eines Einzelnen sind, sind sie schwieriger zu teilen. Einmal aufgebraucht, müssen sie erneuert werden. Aufgrund dieser wesentlichen Unterschiede können wir leicht sehen, dass für die Herstellung materieller Dinge nicht genau derselbe Prozess verwendet werden kann.

Dennoch gilt - und das ist ein Schlüsselargument: Alles, was produziert wird, muss zunächst entworfen werden. Und das Design eines physikalischen Objekts, sei es ein Auto, ein Solardach oder eine Leiterplatte, ist ein immaterieller, auf Software basierender Prozess, abhängig von zusammenarbeitenden Gehirnen. Also kann man sich zunächst eine Zusammenarbeit zwischen Open-Design-Communities einerseits und produzierenden Fabriken andererseits vorstellen. Dies ist in der Tat, was gerade geschieht und im globalen Massstab aufkommt.

Im Wiki der P2P Foundation habe ich dies in der Kategorie "Open Design" dokumentiert, und man kann ein ganzes Verzeichnis solcher Projekte in der Rubrik "Product Hacking" finden. Eric von Hippel hat in seinem wegweisenden Buch "Democratizing Innovation" solche Kooperationen massiv dokumentiert: Es gibt sie in vielen Bereichen der Industrie, und einige Bereiche, wie z.B. Extremsport, beruhen hauptsächlich auf freiwilligen Tüftlern und ihren Werkstätten.

Dennoch müssen wir anerkennen, dass es grössere Schwierigkeiten zu überwinden gibt. Zunächst einmal ist eine viel intensivere Rückkopplung zwischen Konstruktion und Produktion notwendig, da reale Produkte in der physischen Welt getestet werden müssen. Auch sind die Werkzeuge anders, es müssen 3D-basierte Design-Tools wie CAD zur Verfügung gestellt werden, und Video sollte verwendet werden, um die praktischen Aspekte der Nutzung zu zeigen, und Zusammenarbeit in Echtzeit muss über grosse Distanzen stattfinden können. Aber schwierig heisst nicht unmöglich!

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Bild: Jon Postel (PD)

Der andere wesentliche Unterschied ist, dass Kapital für die materielle Implementierung und Produktion benötigt wird. Dadurch müssen Open Design Communities viel enger mit bestehenden Akteuren zusammenarbeiten. Was nützt es ein Open-Source-Auto zu designen, wenn niemand bereit ist es herzustellen?

Aber ich hoffe, dass die Leser intuitiv merken, wie sinnvoll dieser Ansatz ist, vielfach aus den gleichen Gründen wie freie Software und offenes Wissen: Materielle Produkte können so von allen verbessert werden, nicht nur von bezahlten Mitarbeitern, und solche Mitwirkende haben keinen fundamentalen Grund Produkte suboptimal zu entwerfen, d.h. weniger gut als sie sein könnten.

Damit dieser grosse Wandel stattfinden kann, ist es auch notwendig, sich materielle Produktion auf eine viel modularere Weise vorzustellen. Dies ist beispielsweise der Ansatz von Bug Labs, die ein modulares elektronisches Gerät anbieten, wobei der Kunde die Einzelteile zusammenstellt. Statt einer Community, die mit einem Unternehmen zusammenarbeitet, wie bei vielen Co-Design-Projekten, stelle man sich eine globale Gemeinschaft von Tüftlern vor, aber auch eine globale Gemeinschaft von materiellen Produktionsstätten, welche die Designs herunterladen und die Dinge viel lokaler produzieren können.

Das Erreichen eines solchen grundlegenden Paradigmenwechsels in der Produktion würde eine komplette Neugestaltung der gesamten globalen Lieferkette voraussetzen, und obwohl es unwahrscheinlich klingt, passiert dies gerade.

Erinnern wir uns daran, dass Peer-Produktion erfordert, dass die Produzenten sich freiwillig um gemeinsame Projekte zusammenschliessen. In materieller Hinsicht bedeutet dies, dass wir eine solche Miniaturisierung und Verteilung von physischen und finanziellen Investitionsgütern brauchen, dass sich die Produzenten genauso zusammenschliessen können und sagen können: Lasst uns das tun, hier ist mein Stück Kapital.

Die Verbreitung von Open Manufacturing

Fabrikation unterliegt in der Tat dem gleichen Prozess der Miniaturisierung, wie es Computer einmal taten. Man betrachte die folgende Trends: Mail-Order-Produktion bedeutet, dass du dein eigenes Produkt designen kannst, und ein Unternehmen liefert dann den gewünschten Artikel direkt an deine Haustür (siehe spreadshirt, threadless). Desktop Manufacturing bedeutet, dass du nicht nur dein eigenes Produkt entwirfst, sondern es auch selbst herstellst.

Dies ist wegen der Entwicklungen im Bereich 3D-Druck bereits möglich, womit Kunststoff-Designs mit immer günstigeren Maschinen hergestellt werden können. Die Industrie selbst wird zunehmend zu schnellen und flexible Fabikrationstechniken greifen, die eine grundlegend neue Philosophie in Bezug auf Maschinen erfordern: weniger überspezialisierte, extrem teure Maschinen, die Zentralisierung benötigen, sondern Produktion durch universelle Maschinen, die schnell und kostengünstig an neue Bedürfnisse und Prozesse angepasst werden können.

In dem Masse, wie solche Maschinen kleiner, weiter verbreitet und billiger werden, wird ihre Verwendung für lokalere Produktion dramatisch zunehmen. Persönliche Fabrikation, wie sie durch FabLab und RepRap entwickelt wird, ist der Höhepunkt eines solchen Prozesses. Im Rahmen der P2P Foundation beobachten wir diese Trends.

P2Peering in der materiellen Welt

Wir sehen die gleichen Innovationen auf den Finanzmärkten. Nach dem Zusammenbruch im Zuge der Schuldenkrise sehen wir deutliche Bestrebungen, Finanzdienstleistungen auf eine verteilte Art besser erhältlich zu machen. Einer der Trends ist Social Lending, was Individuen erlaubt sich gegenseitig Kredite zu geben. Ein weiterer ist die Wiederbelebung komplementärer Währungen basierend auf gegenseitigem Kredit.

Der Vorteil ist, dass Kredit durch die Teilnehmer selbst geschaffen wird, ohne vom immer knapperen offiziellen Geld abhängig zu sein, und dass eine Unabhängigkeit von zentralisierten Banken erreicht wird. Komplementäre Währungen sind auch dafür bekannt, einen grösseren Teil der Finanzströme innerhalb der lokalen Gemeinschaften zu halten. Damit wird das neue Bild klarer: Billige Produktionsmittel, verbunden mit Peer-to-Peer-Finanzierung und Peer-to-Peer-Geld, ermöglichen es uns materielle Produktion viel näher am Ort des Bedarfs stattfinden zu lassen.

Eine solche Relokalisierung wäre jedoch nicht regressiv, sondern High-Tech, und würde nicht zu Isolation führen, weil sie gleichermassen abhängig von globalen Communities aus Bastlern und Designern wäre, die in weltweitem Massstab arbeiten.

Die Vision wird also klarer. Wir haben bereits eine Peer-to-Peer-Infrastruktur für Technologie und Medien, und wir haben neue organisatorische Modelle basierend auf offener Zusammenarbeit im Bereich Wissen, Software und Design.

Wir haben einen besseren Zugang zu immer mehr verteilter Maschinerie, die es uns ermöglicht, uns vermehrt lokale Produktion von solchen offenen Designs vorzustellen. Wir haben viel niedrigere Kapitalanforderungen, aber wenn wir Kapital zur Kostendeckung bei materieller Produktion brauchen, haben wir Zugang zu viel mehr verteiltem Kapital durch gegenseitigen Kredit und Social Lending.

Keiner dieser Trends ist voll verwirklicht, doch obwohl sie möglicherweise gestoppt werden könnten, gibt es sehr starke Hinweise auf eine Bewegung und Entwicklung in diese Richtung. Du kannst diese Entwicklungen in unseren Rubriken Open Manufacturing und Open Money beobachten.

P2P-Energie

Was brauchen wir sonst noch? Nun, das fehlende Puzzleteil ist nicht schwer zu erraten: Es ist ein verteiltes P2P-Energienetz! Die Gründe für die Dezentralisierung von Energie liegen auf der Hand: Den Menschen die Werkzeuge zur Erzeugung erneuerbarer Energie zu geben bedeutet auch Unabhängigkeit von zentralistischen Einrichtungen und mehr lokale Produktion. Überschüssige Energie kann geschenkt, getauscht oder verkauft werden, mit dem zusätzlichen Vorteil, dass diejenigen von uns, die nachweislich weniger Energie verbrauchen ein Einkommen von denen erhalten, die ein Übermass an Energie nutzen. Trends zu Energie und Nachhaltigkeit werden durch die P2P Foundation in der Rubrik Ökologie beobachtet.

Fazit

Ich hoffe, die Leser dieser Übersicht haben nun ein klareres Bild davon, wie eine Peer-to-Peer-Welt gestaltet werden könnte. Sie würde aus offenen Wissens-, Software- und Design-Communities bestehen, deren Mitglieder mit Produktionseinheiten (Unternehmen, Genossenschaften) vernetzt sind, die ihre Mitglieder direkt bezahlen, aber auch indirekt die Infrastruktur für die Zusammenarbeit unterstützen.

Produktionsstätten wären besser dazu in der Lage lokal zu produzieren, mit Energie aus einem Peer-to-Peer-orientierten Stromnetz und Peer-to-Peer-Geld für den Austausch von rivalisierenden Gütern, während immaterielle Güter und Kultur von der ganze Menschheit frei ausgetauscht und geteilt würden.

Das ist keine Utopie, sondern eine blosse Notwendigkeit für das Überleben unseres Planeten. In der Tat machen wir nur zwei Dinge falsch, und wir müssen sie umkehren: Wir glauben, dass die Natur unendlich ist, was falsch ist, und so praktizieren wir eine Pseudo-Fülle, die den Planeten zerstört. Wir denken, dass geistige und kulturelle Güter künstlich knapp gehalten werden sollten, und damit lähmen wir den Austausch von Innovationen. Wenn wir beides umkippen können, d.h. die Anerkennung der wirklichen Knappheit an materiellen Gütern mit der realen Fülle von immateriellen Gütern kombinieren können, haben wir eine neue und nachhaltige Zivilisation, basierend auf Peer-to-Peer-Prinzipien.

Michel Bauwens