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Tobias Straumann: 1931 – Debt, Crisis, and the Rise of Hitler | Untergrund-Blättle

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Tobias Straumann: 1931 – Debt, Crisis, and the Rise of Hitler Austerität und der Aufstieg Hitlers

Sachliteratur

Tobias Straumann – Professor für Wirtschaftsgeschichte an der Universität Zürich – hat die Krisenjahre vor der Machtergreifung Hitlers analysiert.

Besuch von Adolf Hitler in Paris, Juni 1940.
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Besuch von Adolf Hitler in Paris, Juni 1940. Foto: Bundesarchiv, Bild 183-H28708 (CC BY-SA 3.0 DE cropped)

26. November 2019
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Er kommt zu dem Schluss, dass die Deutschland durch externe Umstände und eigenes Versagen in der Aussenpolitik aufgezwungene Austeritätspolitik zum Aufstieg Hitlers beitrug. Starre internationale Abkommen nahmen den Staaten den notwendigen Handlungsspielraum zur Lösung der Schulden- und Reparationskrise.

Schulden und eine endlose Wirtschafts- und Finanzkrise trugen massgeblich zum Aufstieg und zur Machtergreifung der Nazis bei. Die europäischen Staaten und die USA fanden keine Lösung für die Schuldenproblematik. Durch starre internationale Abkommen nahmen sie sich den notwendigen Handlungsspielraum zur Lösung der Schulden- und Reparationskrise. Das sind die zentralen Aussagen von Tobias Straumanns Buch „1931 – Debt, Crisis, and the Rise of Hitler“. Das gut recherchierte und flott geschriebene Buch des Professors für Wirtschaftsgeschichte an der Universität Zürich lehrt uns einiges über die heutige Krise in Europa.

Die Welt am Ende der 1920er Jahre: Die Ökonomien Grossbritanniens und Frankreichs leiden unter hohen, kriegsbedingten Staatsschulden. Sie sind zur Rückzahlung ihrer Kriegsschulden an die USA verpflichtet und stark von der Weltwirtschaftskrise 1929 gebeutelt. Deutschland hat immense Auslandsschulden und muss Reparationen an die Siegermächte des 1. Weltkriegs leisten. Die deutsche Gesellschaft hat die Hyperinflation von 1923 erst gerade hinter sich gebracht: Ersparnisse und Löhne sind entwertet.

Straumann erklärt mit gutem Blick für Details wie 20 europäische Staaten und Japan Anfang des Jahres 1930 versuchen, die Mängel vorheriger Abkommen zur Beilegung der Schuldenproblematik und den Reparationszahlungen Deutschlands auszuräumen. Sie beschliessen den Young Plan. Die Weimarer Republik soll jährlich nur noch 2 statt 2,5 Milliarden Reichsmark an Reparationen zahlen, mehr finanzpolitischen Eigenständigkeit erhalten und die Alliierten sollen ihre Truppen fünf Jahre früher aus dem Rheinland zurückziehen, fasst Straumann zusammen. Gleichzeitig werden die Reparationszahlungen für 55 Jahre festgeschrieben. Und es wird festgehalten: Zwischenstaatliche Reparationszahlungen geniessen Priorität und müssen geleistet werden, bevor Deutschland seine Schulden bei privaten Kreditgebern bedient.

Statt Druck von Deutschland zu nehmen, vergrössert der Young Plan die Probleme, so Straumanns Befund. Um die Mittel zur Zahlung der Reparationen bereitzustellen, muss die Weimarer Republik einen Haushaltsüberschuss erwirtschaften. Zur Erwirtschaftung der Devisen zur Begleichung der Auslandsschulden ist zusätzlich ein Handelsüberschuss notwendig. Und hätte Deutschland die Reparationszahlungen phasenweise eingestellt – was nach Young Plan erlaubt war – hätten die privaten Kreditgeber das Vertrauen in die Wirtschaft Deutschlands verloren und keine neuen Kredite mehr vergeben.

Den deutschen Politikern blieb nur ein Ausweg: Austerität. Straumann erläutert die Details mehrerer eng aufeinanderfolgender Spar- und Kürzungsrunden: Steuern und Sozialabgaben wurden erhöht, Löhne im öffentlichen Dienst sowie öffentliche und Sozialausgaben gekürzt. Mit jedem Austeritätsprogramm sank die Zustimmung für die gemässigten Parteien. Hitler und die NSDAP waren von Beginn an gegen den Young Plan und hatten leichtes Spiel, die Wut gegen die Sparpolitik auszunutzen, so Straumann. Bei den Wahlen im September 1930 gewannen die Nazis fast 20% und wurden zur zweitstärksten Macht.

Straumann betont im abschliessenden Kapiel, dass kein direkter Weg von der Krise des Jahres 1931 zur Machtergreifung Hitlers 1933 führte. Doch die Diplomatie versagte dem Autor zufolge darin, die Wirtschafts- und Finanzkrise einzudämmen, wodurch die Nazis kontinuierlich an Zuspruch bei den Wählern gewannen. Die Siegermächte und die Regierungen der Weimarer Republik hätten die Krise lösen können, so Straumann. Doch es fehlte ihnen an Weitsicht und der Erkenntnis, dass Staatsschulden in einer auch schon damals globalisierten Welt nicht mehr alleiniges Problem von Nationalstaaten seien.

Historische Vergleiche sind häufig problematisch – vor allem, wenn sie einen Zeitraum beinhalten, der zur Schreckensherrschaft Hitlers führte. Und dennoch lehrt Straumanns Buch, internationale Abkommen so zu gestalten, dass sie den Handlungsspielraum der Staaten nicht zu sehr einschränken. Im Euro-Raum ist Austerität für viele Staaten wieder zur einzig möglichen Politik geworden. Über die beiden letzten Jahrzehnte hat sich Deutschland durch Lohnkürzungen einen Wettbewerbsvorteil gegenüber seinen Nachbarländern verschafft.

Als Teil der Währungsunion können Italien, Griechenland und Co. ihren Wettbewerbsnachteil nicht durch Währungsabwertungen ausgleichen. Geraten europäische Staaten in Wirtschaftskrisen, dürfen sie sich aufgrund der Maastricht Regeln nicht stärker verschulden. Ähnlich wie den Regierungen der Weimarer Republik bleibt auch den heutigen Krisenländern der Euro-Zone nur ein vermeintlicher „Ausweg“: Den Gürtel enger schnallen, Staats- und Sozialausgaben sowie Löhne kürzen und Steuern erhöhen. Europa steht kurz vor einer Rezession. Sollen Nationalisten und Rechtspopulisten im Abschwung nicht noch mehr Stimmen gewinnen, müssen die europäischen Staaten dringend einen Weg finden, die Krisenauswirkungen zu minimieren – das ist die eindringliche Lehre aus Straumanns Buch.

Nico Beckert
zebralogs.wordpress.com

Tobias Straumann: 1931 – Debt, Crisis, and the Rise of Hitler. Oxford University Press, 2019. 240 Seiten, ca. 25.00 SFr. ISBN 978-0198816188

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