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Thomas Wagner: Die Angstmacher. 1968 und die Neuen Rechten

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Thomas Wagner: Die Angstmacher. 1968 und die Neuen Rechten Auf Kuschelkurs mit Kubitschek

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Sachliteratur

Ich schätze den Autor Thomas Wagner sehr, insbesondere „Demokratie als Mogelpackung“ und „Robokratie“ habe ich mit grossem Gewinn gelesen.

Götz Kubitschek (rechts unten im Bild) an einer Pegida-Demo in Dresden, Januar 2015n.
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Götz Kubitschek (rechts unten im Bild) an einer Pegida-Demo in Dresden, Januar 2015n. Foto: blu-news.org (CC BY-SA 2.0 cropped)

Datum 17. September 2018
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KorrekturKorrektur
Mit seinem neuen Buch „Die Angstmacher“ präsentiert er ein Patchwork aus linker und rechter Geschichte seit 1968, Schnipseln aus Philosophie und Kultur, sowie Gesprächen nicht nur über Rechte, sondern auch mit rechten Vordenker*innen wie Alain de Benoist, Götz Kubitschek, Ellen Kositza und anderen. Ich bin weder davon überzeugt, dass es notwendig ist, ausgerechnet mit diesen Personen zu sprechen, noch mag ich dem Autor rigoros widersprechen. Ist das nicht alles viel komplexer?

Die Ausgangsthese seines Buches formuliert der Autor in einem Argument-Beitrag prägnanter als im Buch selbst:

„Weil sich die Protagonisten der Neuen Rechten vom Nazi-Faschismus distanzieren, keinen autoritären Führerstaat, sondern mehr direkte Demokratie propagieren, von der Linken die Bedeutung der Theoriearbeit gelernt haben, an die Popkultur andocken, gewaltfreie Methoden verwenden, die Provokationsmethoden der Studentenbewegung als rechte Spassguerilla adaptieren [...], ist es heute und wird es in Zukunft schwerer sein, sie als politische Gegner erfolgreich zu bekämpfen.“ (Wagner 2018, S. 110)

Seine Schlussfolgerung leuchtet ein: „Nur wer begreift, wie die Akteure wirklich denken, ist in der Lage, angemessen auf ihre Provokationen zu reagieren“ (S. 28).

Allerdings irritiert mich bereits seine Einleitung, in der er eine Kundgebung in Berlin im Jahr 2015 schildert. Dort wird sowohl die Parole „Merkel muss weg“ als auch in Richtung der Gegendemonstranten „Nazis raus!“ gerufen. Tourist*innen fragen, wer hier eigentlich die Nazis, wer die Guten und wer die Bösen seien. Der Autor klärt auf: „Die militanten Jungs sind von der Antifa, also Linke. Die Alten mit den Blumen von der AfD, also Rechte“ (S. 11). Warum stellt er die politischen Gegner*innen von der AfD verharmlosend als sanftmütige „Blumenkinder im fortgeschrittenen Alter“ (ebd.) dar, und kontrastiert sie mit jungen, militanten, schwarzgekleideten linken Männern?

So viel Männlichkeit

Wagner geht es nicht darum, herauszufinden, „was an dem Denken der Neuen Rechten ‚falsch' ist“, sondern sich „den Wahrheitskernen ihrer Weltsicht anzunähern und deren Faszinationskraft nachzuspüren“ (Wagner 2018, S. 108). Mutig räumt er ein: „Ursprünglich hatte ich auch mehr von meinen eigenen Berührungspunkten zum rechten Denken (und Fühlen) erzählen wollen. An dieser Selbsterkundung bin ich jedoch gescheitert – schon aus Zeit- und Platzgründen.“ (ebd.) Einen kleinen Einblick gibt er jedoch, indem er berichtet, dass er vor 30 Jahren von dem japanischen Schriftsteller Yukio Mishima und der „Radikalität, mit der dieser Autor sein ganzes Leben auf einen selbst erdachten Entwurf zu stellen schien“ (S. 199), fasziniert war. Der „sensible Autor“ (ebd.) Mishima galt lange als Linker und wendete sich erst spät der radikalen Rechten zu. „Für mich war der japanische ‚Faschist' ein Wegweiser der eigenen Befreiung“ (ebd.) gesteht Wagner. Mishima verarbeitete auch seine Homosexualität literarisch, und beging 1970 rituellen Suizid. Thomas Wagner schildert diesen qualvollen Akt so ausführlich, als wäre er selbst dabei gewesen.

Bei seinen kulturellen Erkundungen spürt Wagner erschreckende Bilder von Männlichkeit und Gewalt auf. Dabei zitiert er fast ausschliesslich Männer. Beispielsweise aus der von Götz Kubitschek herausgegebenen Zeitschrift Sezession zur Loveparade: „Techno war Krieg […] Trommelfeuer- und Stahlgewitter-Ersatz“ (S. 107). Er führt den von Armin Mohler beschriebenen „faschistischen Stil“ an, geprägt von der „Ästhetisierung von Kampf, Krieg, Heldentat und Opfertod“ (S. 123). Auch Peter Sloterdijk kommt zu Wort, der „Herrentugenden“ und „Wehrbereitschaft“ (S. 235) gegen muslimische Einwanderer_innen fordert. Der Philosoph vermisst den Thymos, eine als männlich definierte Vitalität, ebenso wie Götz Kubitschek, der die „Entmännlichung des deutschen Volkes“ (S. 237) beklagt.

Wagner hat einen beeindruckenden Fundus an Quellen zusammengetragen. Seine Darstellungen scheinen zwischen Abscheu und Faszination zu schwanken. Zwischen den Zeilen zieht sich die Frage nach männlicher Identität durch das ganze Buch, ohne jedoch ausdrücklich thematisiert zu werden. Der Autor möchte herausfinden, was die Rechten attraktiv macht „gerade auch für intelligente und empfindsame junge Leute“ (S. 108). Ich übersetze: Warum fühlen sich ausgerechnet sensible junge Männer von den martialischen Rechten angezogen? Und dann fallen mir die militanten Linken aus der Einleitung ein...

Ein Gesprächspartner des Autors ist der Schriftsteller und frühere APO-Aktivist Frank Böckelmann. Dieser war schon Mitte der 1960er Jahre – zusammen mit dem kürzlich verstorbenen Dieter Kunzelmann – bei der Subversiven Aktion, die sich an der Situationistischen Internationale orientierte. Mit provokanten Aktionen sollte die Gesellschaft verändert werden. Auch in der Schilderung dieses Teils der linken Geschichte tauchen ausschliesslich männliche Namen auf. Frank Böckelmann geht heute zu Pegida-Demos.

Einzige Gesprächspartnerin ist Ellen Kositza. Die Publizistin und Ehefrau von Götz Kubitschek findet Alice Schwarzer sehr sympathisch und beschäftigt sich mit Feminismus, ohne sich selbst als Feministin zu verstehen. Starke Bilder von Weiblichkeit finde ich in dem Gespräch mit ihr nicht.

Zu Gast bei Kubitschek

Götz Kubitschek und Ellen Kositza leben am Sitz des neurechten Think-Tanks Institut für Staatspolitik in Schnellroda in Sachsen-Anhalt. Wagner betont: „Ich habe Kubitschek und Kositza als angenehme Gesprächspartner in Erinnerung, aufmerksam, konzentriert, sachlich und neugierig auf ihr Gegenüber, von dem sie wussten, dass er aus der radikalen Linken kommt“ (Wagner 2018, S. 112). Bei Kartoffelchips und Rotwein fragt er die beiden freundlich, warum sie mit dem, was sie innerlich bewege, „von aussen so viel Widerstand bekommen“ (S. 261). Als Kubitschek erzählt, dass er gewaltlosen Widerstand für angemessen hält, scheint es fast, als wolle der Autor mit ihm gemeinsam herausfinden, wo der Verdacht der Gewaltbereitschaft nur herkäme. Die Gewalttätigkeit in Kubitscheks Gedankengut aufdecken? Fehlanzeige.

Auch Richard Gebhardt kritisiert, dass Thomas Wagner Kubitschek nicht auf dessen Aussage in seinem Buch „Provokation“ von 2007 angesprochen hat. Kubitschek hatte damals Gespräche und Runde Tische zurückgewiesen mit den Worten: „Nein, diese Mittel sind aufgebraucht, und von der Ernsthaftigkeit unseres Tuns wird Euch kein Wort überzeugen, sondern bloss ein Schlag ins Gesicht.“ (zit. nach Gebhardt 2017, S. 563) Wagner wiederum entgegnet, er habe Kubitschek aufgesucht, um ihn zu befragen, „nicht um mit ihm zu streiten“ (Wagner 2018, S. 112). Aber wäre eine Nachfrage zur Klärung schon Streit? Und welchen Sinn haben Gespräche mit Rechten, wenn sie ihnen nur die Gelegenheit zur unhinterfragten Selbstdarstellung bieten?

Zurück bleibt spürbares Unbehagen, das sich wenig später verstärkt. Wagner überschlägt sich geradezu beim Lob des Buches „Die Einzelfalle“ von Ellen Kositza. Ihrer Kritik an „Critical Whiteness“ und „einer jedes vernünftige Mass überschreitenden Political Correctness“ (S. 242) schliesst er sich bereitwillig an. Brauchen Linke wirklich rechte Autor*innen, um eigene Probleme zu thematisieren?

Inhaltliche Überschneidungen zwischen Rechts und Links werden zwar deutlich, zum Beispiel bei der Kritik an der Zerstörung der Lebensgrundlagen von immer mehr Menschen durch globale Konzerne, was zu Fluchtursachen führt. Die rechten Gesprächspartner*innen von Thomas Wagner sind gebildete Intellektuelle, die grossen Wert darauf legen, sich von stumpfen Nazis und dem Nationalsozialismus zu distanzieren. Flüchtlinge sind für sie Opfer, mit denen sie sich jedoch – und das ist der Unterschied zu den meisten Linken – nicht solidarisch erklären, sondern sie als Konkurrenz für marginalisierte Einheimische sehen.

Mit Rechten reden?

An Theatern in Zürich und Magdeburg wurden im Jahr 2017 Diskussionsveranstaltungen mit dem AfD-Politiker Marc Jongen und mit Kubitschek nach Protesten abgesagt. Wagner fragt, „ob es tatsächlich eine gute Idee sei, rechte Intellektuelle vom politischen Diskurs auszuschliessen, wie es immer wieder geschieht. Ist der offen geführte Streit nicht der viel bessere Weg, mit ihnen umzugehen?“ (S. 27) Seien nicht gerade Theaterbühnen geeignet, sich der offenen Auseinandersetzung mit Rechten zu stellen? Der Theaterdramaturg Bernd Stegemann bestätigt ihn. Falk Richter inszenierte die Auseinandersetzung mit der AfD an der Berliner Schaubühne, allerdings ohne deren Vertreter*innen persönlich auf die Bühne zu holen. Stattdessen verwendete er Fotos, wogegen die AfD klagte – erfolglos.

Mit Rechten reden? Warum sollten Bürgerinitiativen oder politische Veranstalter*innen die AfD zum Gespräch einladen, und damit ihrem brandgefährlichen und menschenverachtenden Gedankengut den Anschein von Normalität erteilen? Sollte da nicht besser das Motto gelten: „Mit Rechten spricht mensch nicht“? Es kommt doch darauf an, wer mit wem aus welcher Position heraus spricht, in welchem Kontext dies Sprechen stattfindet und was die Zielsetzung ist. In ausgewählten Situationen mit Rechten zu reden bräuchte gute Vorbereitung, und nicht zuletzt könnte eine feministische Perspektive hilfreich sein. Statt freundlicher Fragen wäre dann jedoch Konfrontation angesagt, um die Rechten mit Argumenten öffentlichkeitswirksam zu widerlegen – also genau das, was Thomas Wagner zwar vorschlägt, jedoch mit seinem Buch nicht einlöst. Die Menschenfeindlichkeit der Rechten auf Theaterbühnen zu entlarven, ist vielleicht gar keine schlechte Idee.

Elisabeth Voß
kritisch-lesen.de

Thomas Wagner: Die Angstmacher. 1968 und die Neuen Rechten. Aufbau Verlag, Berlin 2017. 352 Seiten, ca. 25.00 SFr, ISBN 978-3-351-03686-7

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