Thomas Meyer: Die Unbelangbaren. Wie politische Journalisten mitregieren Mediokratie – Macht – Monopol

Sachliteratur

Eine Untersuchung des aktuellen Status von (politischem) Journalismus liefert interessante Beobachtungen, scheitert aber beim Versuch einer kritischen Analyse.

Pressekonferenz in Kairo mit dem ägyptischen Aussenminister Nabil Fahmyund US-Aussenmimister John Kerry.
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Pressekonferenz in Kairo mit dem ägyptischen Aussenminister Nabil Fahmyund US-Aussenmimister John Kerry. Foto: usds (PD)

14. November 2016
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Thomas Meyers 2015 erschienener Band hat den Anspruch, über die Art und Weise, wie politische Journalisten mitregieren – so der Untertitel – aufzuklären. Das für das gemeine Publikum unübersichtliche und oft undurchschaubare Spannungsfeld von Politik und Medien soll verständlich gemacht werden. Das Bild, das Meyer entwirft – sollte eine entsprechende Aufklärung und Reformation des Journalismus nicht gelingen – ist dramatisch bis düster: Möglicherweise werden wir dann „bald wie Blinde von unbekannten Mächten durch die Landschaften des Politischen geführt“ (S. 15). In Klappentext und Einleitung heisst es: „Autonomie sieht anders aus“ (S. 15).

Breitband-Kritik am aktuellen Mediensystem

Vorwort und Einleitung sind Rundum-Einblicke in das Thema und Rundumschlag zugleich – vor allem gegen die sich selbst überschätzenden und ermächtigenden Journalist*innen. Meyer steigt dabei mit einer Referenz auf die systemtheoretische Analyse der Massenmedien bei Niklas Luhmann ein. Von ihm wird die Beobachtung übernommen, dass alles, was über das System (der Medien) veröffentlicht werde, zunächst selbst das System durchlaufen müsse. Dies ist grundlegend für eine zentrale These Meyers: Das journalistische System ist immun gegen (Selbst-)Kritik. Jede Kritik kann unterdrückt, dekontextualisiert oder relativiert, mit Verweis auf die Pressefreiheit entkräftet oder als „Medienschelte“ abgetan werden. Für dieses Phänomen führt Meyer den titelgebenden Ausdruck der „Unbelangbarkeit“ (S. 17) ein.

Auch werden die Strukturen und Funktionsweisen der journalistischen Praxis erläutert, die als Begleiterscheinung oder als Grund für die problematische Verzahnung von Medien und Politik identifiziert werden. Da werden zunächst Schlagwörter wie „Veröffentlichungsmonopol“, „Homogenisierung“ und „Nachrichtenfilter“ in den Raum gestellt, und es wird auf die interne Hierarchisierung des Mediensystems abgehoben. Dabei dürfen Signalwörter wie „Alphajournalisten“ und „Gatekeeper“ nicht fehlen, „die entscheiden, was aus der unbegrenzten Fülle der Ereignisse und Veröffentlichungsangebote […] auf die öffentliche Bühne gelangt und in welchem Licht Ereignisse und Personen gezeigt werden“ (S. 22). Nur nebenbei sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass Meyer nicht nur bei den Alphatieren auf eine gegenderte Ausdrucksweise verzichtet – die (mächtigen) Journalisten sind scheinbar männlich. Auch auf die gesellschaftlich-ökonomischen Produktionsbedingungen, unter denen Journalist*innen gegenwärtig arbeiten, wird kurz eingegangen – allerdings spielen sie in den weiteren Ausführungen leider kaum mehr eine Rolle.

Der Punkt, an dem Meyer besonders kritisch ansetzt, ist die Bedeutung der Medienarbeit für die politische Ordnung. Anschaulich wird erläutert, dass Journalist*innen mit ihrer Berichterstattung eine zentrale Funktion in einer demokratischen Gesellschaft zukommt. „Kommunikationsmakler wie die Journalisten der Mediendemokratie“ (S. 107) haben, wie Meyer schreibt, das demokratische Ideal in der Hand. Unter diesem Ideal versteht er die Vorstellung, dass „alle, die von einer Entscheidung betroffen sind, die Möglichkeit haben, gleichberechtigt und wohlinformiert an ihrem Zustandekommen mitzuwirken“ (ebd.).

Erst so konnten die Massenmedien überhaupt zu der gesellschaftlichen Bedeutung gelangen, die sie heute innehaben. Nehmen die Journalist*innen diese Aufgabe nicht ernst oder kommen sie ihren Pflichten nicht nach, indem sie etwa selbst als politische Akteure auftreten, gerate das labile Gleichgewicht aus den Fugen: Es komme dann zu „defekten Demokratien“ (S. 19). All das steht schon in der Einleitung. Das könnte man dicht nennen – oder überfrachtet. In diesem Fall ist es informativ und lohnt die Lektüre.

Enthüllen, Anprangern, Lamentieren

Problematisch wird es nach der Einleitung, was schon in der Anlage des Buches begründet ist: Der Politologe Meyer verfolgt weniger eine wissenschaftlich fundierte als eine essayistische Herangehensweise. Das hat erstens zur Folge, dass theoretische Grundlagen, wie etwa die Systemtheorie Luhmanns, nur unzureichend eingeführt werden. Besonders bedauernswert ist diese mangelnde Wissenschaftlichkeit in den Passagen über Demokratietheorie – gerade hier wären fundierte Analysen wünschenswert gewesen. Ein zweites Resultat des Aufbaus ist das ständige Wiederholen von Argumenten und Thesen: In vielen Kapiteln wird hauptsächlich schon in der Einleitung Beschriebenes aufgegriffen und aufgeplustert – und selbst wenn dies im Wortlaut geschieht, wird die entsprechende Erkenntnis präsentiert als eine aus dem betreffenden Zusammenhang erarbeitete.

Daran schliesst sich ein drittes Problem an: Anstatt auf wissenschaftliche Texte zurückzugreifen, um seine Thesen zu belegen, zitiert Meyer grösstenteils aus journalistischen Texten oder populärwissenschaftlicher Literatur – wobei Ausnahmen natürlich die Regel bestätigen. Zu Gute zu halten ist ihm allein, dass eine notwendige öffentliche Auseinandersetzung mit den Lügenpresse-Vorwürfen und den entsprechenden ideologischen Grundlagen von seinem Text mit befördert worden ist.

Bezeichnend für den gesamten Aufbau des Buches ist zweitens, dass Meyer auf das Internet, beispielsweise als Möglichkeit, die „bösen“ Gatekeeper zu umgehen, erst ganz zum Schluss eingeht. Zuvor hat man sich schon etliche Male gefragt, wo etwa die Blogger*innen bleiben, wenn von den journalistischen Hierarchien die Rede war. Das Wort „Gegenöffentlichkeit“ fällt ein einziges Mal. Das Potential, das Meyer dem Netz zugesteht, ist jedoch ausserordentlich gering. Seine Verurteilung des Internets, beispielsweise als „Pöbelmaschine“ (S. 180), stützt sich dabei – Überraschung! – wiederum auf Artikel aus den (Print-)Medien. Das Internet vermag Meyer nur mit zweifelhaften Statistiken zu beschreiben, so seien „zwei Drittel der Internetnutzer lediglich an Unterhaltung interessiert [...] und nur ein reichliches Viertel an politischen Informationen“ (S. 179). Um in diesem „Dickicht der vielen Stimmen Orientierung zu schaffen“ (ebd.) verlangt Meyer am Ende etwa einen Zwang zum Klarnamen oder, ganz besonders ironisch, „Gatekeeping“.

Zurück in eine bessere Zukunft?

Gegenüber diesen Ideen wirken die zaghaften Vorschläge im Epilog dann fast schon wieder vernünftig: das Ausloben von Preisen für journalistische Selbstkritik oder eine Verpflichtung zur Richtigstellung oder Entschuldigung. So soll der Weg gebahnt werden, Journalist*innen öffentlich belangbar zu machen, wie es jeder Akteur in einer Demokratie zu sein habe. Aber die problematische Funktion von Medien in der Gesellschaft lässt sich nicht durch eine Reform des Journalismus beseitigen. Sie ist keine Krankheit, die es zu behandeln gilt, sondern ein Symptom.

In zahlreichen Passagen wird deutlich, dass viele der beschriebenen Dynamiken auf gesellschaftliche Phänomene zurückzuführen sind. Es ist beispielsweise auch die Leser*innenschaft, die die medialen Filter durch Nachfrage mitprägt. Ebenso ist es eine gesamtgesellschaftliche Tendenz, grün-konservative Politik zu befürworten – ein Neobürgertum, das sich in Politik, Stadtbild und eben logischerweise auch in den Medien und ihren Journalist*innen wiederfindet.

Diesen Schritt von der Medien- zur Gesellschaftskritik geht Meyer nicht. Er prangert die gegenwärtigen Entwicklungen auf medialer Ebene an und wünscht sich den guten, verlässlichen Vor-Wende-Journalismus zurück. Diese reaktionäre Haltung, gepaart mit der lamentierenden Grundstimmung, macht das Buch äusserst wenig lesenswert. Die auf der Verlagsseite als Leseprobe verfügbare Einleitung lohnt trotzdem einen Blick. Die verschiedenen dort und hier angesprochenen Beobachtungen verdienen allerdings eine vertiefende und wissenschaftliche Reflexion.

Judith Niehaus
kritisch-lesen.de

Thomas Meyer: Die Unbelangbaren. Wie politische Journalisten mitregieren. Suhrkamp, Berlin. 185 Seiten. ca. 18 SFr., ISBN: 978-3-518-12692-9

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