Kulturgeschichte des Zuckers Die süsse Macht: Zuckerbrot & Peitsche
Sachliteratur
Essen steht buchstäblich seit Menschengedenken im Zentrum des Lebens unserer Gattung und dient den Menschen als Mittel, um sich selber zu definieren und von anderen abzugrenzen.

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Zuckerproduktion im 19. Jahrhundert in Saint-Domingue auf Haiti. Foto: Élisée Reclus (PD)
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Zusammenhängen untersuchte der
Anthropologe Sidney Mintz die Rolle
des Zuckers in der Entstehung der modernen
Welt. Das wohl aus Indien stammende
Zuckerrohr wurde von arabischen
Eroberern im 8. und 9. Jh. im östlichen
Mittelmeerraum angesiedelt.
Zwei Jahrhunderte
später gelangten deren Produktionsanlagen,
die ein unter Königen
und Reichen begehrtes, als Gewürz,
Medizin und Statussymbol verwendetes
Luxusgut herstellten, unter westeuropäische
Kontrolle. Portugiesen und Spanier
dehnten den Anbau auf westliche Mittelmeerinsel
aus, bevor sie das Zuckerrohr
auf ihren Eroberungen über den Atlantik
mitführten. In der Karibik wurde die
Zuckerwirtschaft von den Briten ausgeweitet.
Sklav_innen leisteten die extrem
arbeitsintensive Ernte, die jeweils ein
halbes Jahr dauerte.
Weil die süsse Substanz
nach dem Schlagen des Rohrs rasch
gelöst werden muss, speiste man damit
fortlaufend lokale Zuckermühlen, die
auf Schichtbetrieb und hierarchischer
Arbeitsteilung basierten. Raffiniert wurde
die Substanz in Grossbritannien. Den
mit Zuckerkonsum protzenden Oberschichten
diente die Karibik zugleich
als Absatzmarkt für Nahrung, Kleider,
Werkzeug und Foltergerät; Staatliche
Strukturen profitierten von Flottenbau
und Steuern. In diesem Kolonialsystem
sieht Mintz eine wichtige Grundlage
des Kapitalismus und der Industrialisierung.
Vier Jahrhunderte hindurch
stieg die Produktion von Zucker und
fiel sein Preis; wie der von Tabak, Tee,
Kaffee und Kakao ging sein Konsum in
die Breite. Im 19. Jh. stellte er einen gewichtigen
Teil des Kalorienbedarfs britischer
Arbeiter_innen und ermöglichte
deren schnelle Stärkung und Ablenkung
vom harten Arbeitsalltag.
Der Zucker
stimmte so die Ausgebeuteten in Europa täglich kurzzeitig zufrieden, während
sich in den Kolonien an der Wirtschafts-,
Sozial- und Infrastruktur seit Jahrhunderten
nur wenig geändert hatte (vor allem:
mehr Anbaufläche).
Das Buch führt
noch näher an die Gegenwart und regt
zum Nachdenken an über das globale
geschichtliche Gemacht-Sein von fast
allem, was wir täglich benutzen und allzu
sehr für selbstverständlich halten.
Sidney W. Mintz: Die süsse Macht. Kulturgeschichte des Zuckers. Campus, 2007. 305 S., 29 SFr, ISBN 978-3593383255


