Peter Samol: Die Leistungsdiktatur Die apokalyptischen Reiter der Moderne
Sachliteratur
Der Titel ist formuliert gleich der Überschrift zu einer Erzählung, und das Possessivum „uns“ nimmt Leserin und Leser sogleich in diese hinein – tua res agitur.


Peter Samol: Die Leistungsdiktatur. Foto: Mario Sixtus (CC BY-NC-SA 3.0 cropped)
Er tut dies, orientiert an den Kategorien der Wertkritik, mit scharfem analytischem Instrumentarium und einer Realitätsfülle, die dem Simplicissimus an Farbigkeit in nichts nachsteht. Trotz der Brutalitäten des Dreissigjährigen Krieges gibt es bei Grimmelshausen manches zu lachen, bei Samol freilich nichts, und will es angesichts der abstrusen Beispiele sich einmal einstellen, bleibt es einem gleich im Halse stecken.
Erscheinen die Gräuel jenes Krieges noch als Ausnahmen vom damaligen gewohnten Leben, so sind die hier geschilderten Absurditäten nichts andres als unsre Normalität selbst. Die apokalyptischen Reiter der Moderne – Konkurrenzdruck, Profitmaximierung, Effizienzsteigerung, Selbstoptimierung – jagen den Menschen vor sich her. Kaum geboren, mutiert dieser zur Ware Arbeitskraft, die sich unentwegt selbst optimieren muss, propagandistisch verklärt mit der Phrase vom „lebenslangen Lernen“, um sich als marktgerechten Leistungsträger feilzubieten und im allgegenwärtigen Konkurrenzkampf sich durchzusetzen.
Samol entfaltet dies entlang den individuellen Lebensetappen: Kita, Schule, Ausbildung, Bewerbungsprozedur, Praktikum, Zeitarbeit, Minijob, Evaluierung als high performer oder low performer und dem ganzen Parcours der Menschendressur samt, wegen Hürdenreissens, Einweisung in die Erziehungsanstalten des Sozialstaats zwecks Neuzurichtung für den Markt. Jungen Eltern, die das lesen, möchte dabei der Angstschweiss ausbrechen. Der Rezensent, geborgen im ökonomisch gesicherten Rentnerdasein, verspürt eine kolossale Erleichterung darüber, diesen Zumutungen nicht mehr ausgesetzt zu sein.
Man braucht das Buch nicht von Anfang an zu lesen, sondern kann da, wo es für einen interessant erscheint, einsetzen. Am Schluss gibt Samol eine knappe eingängige Darlegung seiner theoretischen Grundlage. – In der nächsten Nummer der „Streifzüge“ wird ein Auszug aus dem Buch zu lesen sein, da kann man sich überzeugen, in welch klarem und flottem Stil das Buch geschrieben ist. – Der Göttinger Rezensent schliesst mit einer Empfehlung seines Lokalheiligen Georg Christoph Lichtenberg: „Wer zwei Paar Hosen hat, versetze eines und kaufe dieses Buch.“
Peter Samol: Die Leistungsdiktatur. Wie der Konkurrenzdruck unser Leben zur Hölle macht. Schmetterling Verlag Stuttgart 2021. 234 Seiten. ca. SFr 22.00. ISBN 978-3-89657-196-0
09.02.2021
- Schlag am Morgen ich die Zeitung auf, stockt der Atem mir, mein Blut gerinnt, zu grausig spiegelt sich der Weltenlauf in jeder Zeile wider, mein armes, armes Kind.
mehr...23.09.2016
- Mit fortschreitendem Alter wird das Lesen zu einem immer schwierigeren Unterfangen.
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